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Nur die Liebe zählt. Leila Mirzai (Mitte) und Asmahan Er (rechts) spielen mit traumatisierten Kindern. Foto: Laessig/Davids

© DAVIDS

Flüchtlingskinder feiern Ostern in Berlin: Therapie mit Eiermalen

Für die Kinder im Flüchtlingsheim Berlin-Hohengatow ist das Eierbemalen mehr als nur ein Riesenspaß.

Das dritte Ei, das Nur bemalt hat, ist rot. Es ist nicht vollständig rot, er hat winzige weiße Streifen übrig gelassen, es ist trotzdem sein Kunstwerk. Und der Siebenjährige streckt es seiner Betreuerin auch entgegen wie ein kleines Juwel. Der Oberkörper nach hinten gelehnt, die Hand ausgestreckt, der Blick erwartungsvoll und stolz. „Klasse“, sagt Asmahan Er, eine Frau mit wilden, blonden Locken, im Libanon geboren, seit 1981 in Deutschland, also 34 Jahre länger als Nur.

Weihnachten 2014 war Nur mit seinen Eltern noch auf einer wilden Flucht aus Afghanistan, inzwischen ist er hier gelandet, im Flüchtlingsheim der Arbeiterwohlfahrt in Hohengatow, Waldschluchtweg.

Und während Nur an einem niedrigen Tisch sein viertes Ei an diesem Tag bemalt, schaut Asmahan Er ihm versonnen zu. „Ich bin so froh, dass er malt“, sagt sie, „so ist er wenigstens zehn Minuten abgelenkt und kommt auf andere Gedanken.“

Perfekte Kulisse für Kinder-Idylle

Die Kindergartenräume des Heims sind eigentlich die perfekte Kulisse für kindliche Idylle. An der Wand kleben zwei Dutzend Bilder mit ausgemalten Hasen und Ostereiern, jedes Bild mit dem Namen des kleinen Künstlers versehen: Gaja zum Beispiel hat eine Ente bemalt, die einen rosaroten Regenschirm trägt und über ein Ostereier-Nest läuft. Von der Decke des Malzimmers hängen abgebrochene Zweige, an denen noch Blätter sprießen. Kinder und Betreuer haben sie gesammelt und selbst bemalte, ausgeblasene Eier angehängt. Es ist Gründonnerstag, das typische Bild eines Kindergartens kurz vor Ostern.

Aber die Bilder und die Erinnerungen in der Köpfen der Kinder hier sind nicht typisch. „Die haben auf der Flucht ganz viel miterlebt“, sagt Asmahan Er. Oft denkt sie, wenn die Kinder ihre Geschichten erzählen: „Die reden ja wie reife Erwachsene. Aber hey, das sind doch Kinder!“ Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren, die mit Schreckensszenen konfrontiert wurden, die auch Erwachsene überfordern würden.

Deshalb ist im Haus 6 am Waldschluchtweg das Eierbemalen nicht bloß ein herrlicher Spaß – sondern auch Therapie. 20 bis 40 Kinder insgesamt sind in der Kindergartenbetreuung des Heims, sie sind seit neun Monaten hier oder seit zwei Wochen, sie kommen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak oder vom Balkan.

Heute sitzen etwa 20 Kinder an den Tischen, sie haben einen grünen Strich unterm Mund wie Abu Fasel, fünf Jahre alt, geflohen aus Afghanistan. Oder sie malen konzentriert, die Zungenspitze an die Nase gepresst wie Zeinb, ebenfalls aus Afghanistan, gehüllt in ein pinkfarbenes T-Shirt. Zwischen ihnen die Betreuer, fünf insgesamt. Sie sprechen die Sprachen der Kinder.

Leila Mirzai kommt aus Afghanistan, sie ist eine elegante Frau mit kupferroten Haaren. „Warum bemalen wir Eier?“, fragen die Kinder. „Und was bedeutet Ostern?“ Mirzai, seit 30 Jahren Kinderbetreuerin, redet dann von Traditionen. Davon, dass Menschen in Deutschland schon seit vielen Jahren die Nester suchen, die der Osterhase versteckt hat.

Sofia, eine Betreuerin aus Eritrea, hat es etwas einfacher, weil in Eritrea Ostern durchaus ein Begriff ist – „aber dort feiert man eine Woche später als hier“.

Asmahan Er, die Libanesin, greift schlicht zu jenem Begriff, auf den jedes Kind sofort anspringt: Geschenke. Ostern kennen die Kinder nicht, aber bei dem Wort „Zuckerfest“ leuchten ihre Augen. Bei diesem Fest am Ende des Fastenmonats Ramadan erhalten muslimische Kinder tolle Sachen, also erklärt Asmahan Er: „Ostern ist in Deutschland wie unser Zuckerfest. Da gibt es Geschenke.“

Und die Eier, weshalb bemalt man die? „Um anderen eine Freude zu machen“, sagt Asmahan Er dann. Mit Kindern, die aus dem Iran kommen, hat sie es einfacher. „Im Iran ist Ostern richtig heilig, die feiern das dort so wie wir.“

Seit zwei Wochen werden die Kinder auf Ostern vorbereitet

Die Geschenke für die Kinder stehen zwei Räume weiter auf einem Tisch. 30 Tüten sind aufgereiht, in jeder stecken ein Kuscheltier und Schokoladeneier. Leila Mirzai zieht eine Schranktür zur Seite und greift nach einer Handvoll Schokoeier. Die Reserve. Kann ja sein, dass mehr als 30 Kinder Geschenke suchen. Die Zahl der Kinder im Heim schwankt fast täglich. Aber: „Wir haben genügend für alle“, sagt Leila Mirzai.

Aber alle werden nicht kommen. Diverse größere Kinder, mit dem Blick der Älteren auf die Kleinen, werden sich nicht nach Kuscheltieren bücken, sagt Leila Mirzai. Die Kleineren dürfen am Ostersonntag im Gebüsch an einem Weg an der Havel suchen.

Seit zwei Wochen schon werden die Kinder auf Ostern vorbereitet, sie malen ihre Vorlagen mit den Ostermotiven aus, sie zeigen sich gegenseitig ihre Farben, und sie reden mit Händen und Füßen. Als sie in einem Supermarkt bunte Eier entdeckten, fragten sie die Betreuer: „Kann man diese Eier essen?“

Ihre Fluchterlebnisse haben die natürliche Neugier der Kinder nicht gedämpft, sie saugen auf, was sie an Informationen bekommen. „Wenn ich ihnen etwas von Ostern erzähle“, sagt Asmahan Er, „dann jubeln sie: ,Hey, dann weiß ich ja etwas über Ostern, wenn ich in die Schule komme.‘“ Bei Nur, dem Siebenjährigen, der ihr stolz sein bemaltes Ei entgegenstreckte, beobachtete sie einen enormen Wissensdurst. „Er kann schon gut arabisch schreiben“, sagt sie. „Und er holt sich immer wieder Bücher.“

Aber auch die Eltern im Flüchtlingsheim lernen dazu, sie werden intensiv einbezogen. Eine Mutter fragte Asmahan Er mal, was denn an diesem Tag auf dem Programm stehe. „Eierbemalen“, lautete die Antwort. „Au ja, da würde ich auch gerne mitmachen.“ Natürlich durfte sie.

Irgendwann am Ostersonntag verschwinden die Kinder dann mit ihren Geschenken wieder in ihre Zimmer, zu ihren Eltern. Aber vorher werden im Haus 6, in den Räumen der Kinderbetreuung, alle zusammen tanzen.

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