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Schau mal, ich helf dir. Engagement ist viel wert – ersetzt aber kein Fachstudium. Und das haben zu wenige Lehrer in Berlin in den Fächern, die sie unterrichten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wenige Fachlehrer an Berlins Grundschulen: Total verrechnet

An den Grundschulen werden 70 Prozent des Unterrichts in Mathe und Naturwissenschaften nicht von Fachlehrern gegeben. Auch an den Sekundarschulen gibt es Probleme. Das bestärkt jene Eltern, die ihr Kind schon ab Klasse 5 aufs Gymnasium schicken.

Berlins schlechtes Abschneiden bei schulischen Ländervergleichen ist nicht nur dem großen Anteil bildungsferner und sozial prekärer Familien geschuldet, sondern auch hausgemacht: Sogar Hauptfächer wie Mathematik und Englisch werden zu einem Großteil von Lehrern unterrichtet, die das Fach nicht studiert haben. Besonders eklatant ist die Lage in den Grundschulen: Hier liegt die Quote des fachfremden Unterrichts in Mathematik und den Naturwissenschaften bei 70 Prozent. Dies geht aus einer Auswertung der Bildungsverwaltung hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.

In den Sekundarschulen setzen sich die Probleme fort. Der Mathematikunterricht wird auch hier oftmals von Lehrern erteilt, die das Fach nicht studiert haben. Dies ist bei 30 Prozent des Unterrichts der Fall, also bei 4600 von 14800 Wochenstunden.

Viele Neuntklässler beherrschen kaum die Grundrechenarten

Bei den Prüfungen zur Berufsbildungsreife 2013 hatten mehr als 25 Prozent der Neuntklässler an den Sekundarschulen das Ziel verfehlt. Die meisten scheiterten an den Mindestanforderungen in Mathematik, beherrschten oftmals kaum die Grundrechenarten. Von Sekundarschullehrern wird immer wieder eingewandt, dass die Schüler mit Defiziten aus den Grundschulen kämen. „Das Fundament, das ein Schüler aus der Grundschule mitbringen müsste, ist bei weitem nicht mehr sicher“, bestätigt Lothar Semmel vom GEW-Schulleiterverband.

Probleme mit dem Fachlehrermangel gibt es auch in anderen Bereichen, insbesondere beim Englischunterricht. Das Fach ist an den Grundschulen ab Klasse 3 Pflicht, aber nur 68 Prozent des Unterrichts wird von Fachlehrern bestritten. Die anderen Schüler müssen sich mit „Neigungslehrern“ begnügen, die das Fach nicht studiert haben, sondern nur eine gewisse Vorliebe dafür hegen und sich im Idealfall fortgebildet haben.

Immer wieder berichten Oberschullehrer von Kindern, die etwa mit einer miserablen Aussprache zu ihnen kommen. Besonders problematisch wird es dann, wenn diese Schüler auch in den Sekundarschulen auf Lehrer stoßen, die das Fach nicht studiert haben, was bei einem Viertel der erteilten Stunden der Fall ist.

Massive Probleme gibt es aber auch in anderen Fächern. So wird jede zweite Informatikstunde nicht fachgerecht unterrichtet. Ähnlich ist es auch in Ethik/Philosophie. Allerdings gibt es hier ebenfalls große Unterschiede zwischen den Sekundarschulen und Gymnasien. An den Gymnasien ist die Weiterbildung der Philosophielehrer inzwischen so weit vorangekommen, dass 70 Prozent des Unterrichts von Fachlehrern erteilt werden kann. In den Sekundarschulen ist dies nur bei einem Drittel der Unterrichtsstunden der Fall. Besser sieht es in Chemie aus: Hier gibt es genug Lehrer, um 87 Prozent der Chemiestunden an den Sekundarschulen von studierten Fachleuten unterrichten zu lassen.

Wenn das "Neigungsfach" zum "Kompetenzfach" wird

Der Mangel an Fachlehrern bestärkt all jene Eltern, die ihre Kinder schon ab Klasse 5 aus der Grundschule nehmen wollen: An den Gymnasien erwarten sie in fast allen Fächern ausgebildete Lehrer. Die Quote des fachgerechten Unterrichts liegt – abgesehen von Ethik – in fast allen Fächern bei weit über 90 Prozent.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bestreitet die Probleme nicht. „Rund ein Viertel der Viertklässler erfüllt die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik nicht oder nur gerade“, hatte sie schon vor zwei Jahren eingeräumt, nachdem entsprechende Ergebnisse der Vera-Vergleichsarbeiten bekannt geworden waren. Sie hatte sich daraufhin Rat bei Bildungsforscher Jürgen Baumert geholt. Im Ergebnis wurde entschieden, dass alle Grundschullehrer Mathematik und Deutsch studieren müssen. Dies wurde gesetzlich verankert. Selbst Quereinsteiger dürfen nur dann an eine Grundschule, wenn sie bereit sind, diese Fächer berufsbegleitend nachzustudieren.

Die Angaben zum fachfremden Unterricht beziehen sich auf das Schuljahr 2013/14. Scheeres’ Sprecherin Beate Stoffers gab am Dienstag zu bedenken, dass „fachfremd“ nicht unbedingt bedeuten müsse, dass es sich um reine „Neigungslehrer“ handele. Wenn ein Lehrer das entsprechende Fach viele Jahre unterrichtet und sich fortgebildet habe, liege eine andere Situation vor. Dann werde das „Neigungsfach“ zum „Kompetenzfach“, beschreibt Stoffers eine Möglichkeit. Es sei wichtig, dass es in jeder Schule zumindest einige Fachlehrer gebe, die ihren Kollegen helfen und „die Fachlichkeit stärken“, nennt Inge Hirschmann vom Grundschulverband einen weiteren Ausweg aus dem Dilemma.

In Berlin ist der Anteil an fachfremdem Unterricht traditionell hoch, weil in den Grundschulen und in manchen Sekundarschulen das Klassenlehrerprinzip gilt. Das bedeutet, dass ein einziger Lehrer fast alle Fächer unterrichtet, was der Beziehung zu den Schülern zugute kommt.

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