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Künstler oder Botschafter? Auch vom Aussehen her entspricht Hüseyin Avni Karslioglu keinesfalls den Klischees.

© picture alliance / dpa

Diplomat Karslioglu im Porträt: Türkischer Botschafter geht in die diplomatische Offensive

Hüseyin Avni Karslioglu ist Hausherr in der neuen türkischen Botschaft in Tiergarten - auch wenn er eigentlich gar nicht aussieht wie ein Botschafter, sondern mehr wie ein Künstler. Als Botschafter will Karslioglu gegen Klischees über sein Land vorgehen. Ein Porträt.

Der Hausherr in der neuen türkischen Botschaft in Tiergarten heißt Hüseyin Avni Karslioglu und sieht eigentlich gar nicht aus wie ein Botschafter, sondern mehr wie ein Künstler. Er ist der Chef von rund 100 Leuten, die in dem 60-Millionen-Bau arbeiten. Für Karslioglu liegt ein ganz wichtiges Einsatzfeld aber außerhalb der Botschaftsmauern, bei den mehr als 100 000 Türken, die in der Stadt leben.

Er kommt etwas verspätet, aber ganz entspannt durch den Garten seiner Residenz angeradelt. Das ist verblüffend, denn eigentlich hatte er sich als Oldtimer-Fan vorgestellt und zur gemeinsamen Ausfahrt mit seinem alten Ford Prefect, Baujahr 1953, eingeladen. Der steht auch, noch von Bremsklötzen gehalten, rot und schwarz glänzend bereit vor der Tür der alten Bankiersvilla, in der sich heute die Botschafterresidenz befindet.

Die Fahrten mit dem Oldtimer sind sein Freizeitvergnügen. „Oldtimer habe ich immer schon geliebt“, sagt er. Und erzählt, wie er in den Sechzigern, als er in Donaueschingen lebte, für die Isetta schwärmte und den Mercedes 190. Ein Jahr nach der Ankunft in Deutschland trennten sich seine Eltern. Die Mutter ging zurück in die Türkei, der Vater blieb. Heute hat er die deutsche Staatsbürgerschaft und lebt in Regensburg. Deshalb spricht der Botschafter von Deutschland als seinem „Vater-Land“. Von den rund 170 000 Berlinern mit türkischem Migrationshintergrund haben immerhin 63 000 ebenfalls einen deutschen Pass.

Karslioglu selbst ging vor dem Abitur zurück in die Türkei, hat heute noch große Hochachtung vor den Deutschlehrern am Gymnasium von Istanbul. Wirklich prägend aber war „Oma Frieda“, die Vermieterin in Donaueschingen. Ihr ist es wohl zu verdanken, dass Karslioglu Deutschland als Heimat empfindet. „Sie war wie eine echte Oma für mich.“ Von ihr hat er zuerst sein geschliffenes Deutsch gelernt.

Von solchen Omas könnte es nach seinem Geschmack gar nicht genug geben, denn sie ist für ihn eine Hoffnungsträgerin dafür, dass sich die Integrationsprobleme, mit denen er ständig konfrontiert ist, lösen lassen. Bildung ist dabei für ihn „am allerwichtigsten“. In den vergangenen Monaten hat er mehr deutschsprachige Diplomaten nach Berlin geholt und schickt sie auf die Straßen, zum Beispiel nach Wedding, um gezielt die Jugendlichen zu finden, die Probleme haben und machen. „Die dürfen wir nicht verlieren“, sagt er. Ein Jahr Gefängnis koste 60 000 Euro. „Wie viel Gutes kann man erreichen, wenn man das Geld präventiv einsetzt.“

Eines seiner erklärten Ziele ist es, türkische Kindergärtnerinnen nach Berlin zu holen, damit Kinder, die bislang nur „Bauerntürkisch“ könnten, von klein auf auch ihre eigene Sprache richtig lernen. Viele Kinder haben nicht nur Probleme mit dem Deutschen, sondern beherrschen auch ihre Muttersprache unzureichend. Wenn man wirklich wolle, ließe sich das auch finanzieren, sagt der Botschafter. „Da könnten sich beide Länder beteiligen.“ Er persönlich will mit gutem Beispiel vorangehen. Einer seiner beiden Söhne hat etwa in Kreuzberg im Berufsbildungswerk ein Praktikum gemacht bei einem Koch und dadurch auch jede Menge Kontakte geknüpft mit Jugendlichen, die nicht in Grunewald leben. Immer wieder bittet der Botschafter arrivierte Türken, als Mentoren zu fungieren für junge Leute aus schwierigen Verhältnissen, um positive Netzwerke zu schaffen.

Die sorgfältig gestuften weißblonden Haare trägt Hüseyin Karslioglu lässig bis auf die Schultern, einen Blick auf seinen glitzernden Ohrstecker geben sie trotzdem frei. Dass er nebenbei tatsächlich auch Künstler ist, kommt im Laufe des Gespräches heraus. Der 56-Jährige liebt die Kalligrafie, die in der Türkei hoch geachtete Kunst der Schönschrift, und während des Gesprächs malt er kleine Kunstwerke, die sich rund um die Namen der Besucher ranken. „Das mache ich gern, wenn ich zuhöre oder mit anderen Menschen spreche“, sagt er.

Dann soll es endlich losgehen, breit lächelnd hält der Botschafter die Türen auf zu seinem Schatz – nur leider springt der Motor nicht an. Ein Blick in den Motorraum kann das auch nicht richten. Also muss die Fahrgemeinschaft erst mal wieder aussteigen und anschieben. Laut knatternd rollt der Wagen schließlich durchs Tor auf die Straße. Liebevoll legt Karslioglu die Gänge ein. „Schauen Sie mal, das ist die Aircondition“, sagt er strahlend wie ein Kind und dreht an einem kleinen Schalter, mit dem sich die Frontscheibe etwas aufdrehen lässt. „Gleich dürfen Sie auch mal fahren“, sagt er zu der Passagierin auf dem Sitz hinten rechts, dem Vip-Platz, wie er ihn nennt. Dort hat er selber in einem anderen Oldtimer gesessen, einem Cadillac, als er sich vor einem guten Jahr vom Bosporus verabschiedet hat. Am Steuer saß damals der türkische Staatspräsident Abdullah Gül, dessen Büro Karslioglu lange geleitet hat, daneben ein Unternehmer, dem das Auto gehörte.

Gut möglich, dass der Präsident sich von einem so wichtigen Mitarbeiter getrennt hat, weil er für Deutschland eine Dampfwalze gegen die Klischees suchte. Der Präsident habe ihn nach Deutschland geschickt, weil er die Sprache gut spricht, das Land schon kennt und weil es der allerwichtigste bilaterale Partner für die Türkei ist, sagt der Botschafter diplomatisch. Karslioglu kann gar nicht verstehen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft nicht erlaubt ist, weil es Loyalitätsprobleme geben könnte. „Wir haben nie Krieg gegeneinander geführt, wo soll da ein Problem sein?“, fragt er.

Wie Karslioglu Fan von Borussia Dortmund wurde

Während das alte Auto mit 40 km/h vorbeirauscht an hohen Bäumen, alten Villen und lauschigen Seen, weist er zwischendrin immer wieder stolz auf Details hin. „So fühlt sich doch ein richtiges Auto an“, ruft er begeistert und atmet genüssliche den strengen Benzingeruch ein. Die Beamten des Landeskriminalamtes, die ihn beschützen, folgen diskret in der großen schwarzen Dienstlimousine.

Als Karslioglu vor fünf Jahren als Botschafter in Baku, Aserbeidschan, stationiert war, hat er sich auch einen Oldtimer zugelegt. „Ich sah, wie die alten russischen Limousinen weniger wurden und neuen westlichen Autos weichen mussten.“ Sein Fahrer fand zunächst tausend Einwände, warum der Botschafter unmöglich mit einem alten russischen Auto fahren könne. Aber irgendwann hat er einen Lebensmittelhändler angesprochen und ihn gefragt, wie viel Geld er für seinen Gaz 21 haben wolle, der sogar einen Gepäckträger auf dem Dach hatte. „600 Dollar“, antwortete der Mann. Bei 550 Dollar wurden die beiden handelseinig. Da die türkische Botschaft in Baku über ein riesiges Grundstück verfügt, fuhr er meist innen um den Gebäudekomplex herum. Irgendwann berichtete das Fernsehen über den Botschafter mit dem russischen Oldtimer. „Und was geschah? Die Preise für diese Autos stiegen sofort an“, sagt er lachend.

Ein italienisches Restaurant in Halensee ist das Ziel der heutigen Spritztour. Elegant parkt der Botschafter rückwärts ein. „Sehen Sie da drüben die Villa, die gehört einem türkischen Unternehmer“, sagt Karslioglu stolz.

Privat sieht man ihn auch mal im Fußballstadion. Hat er denn einen Lieblingsverein? „Borussia Dortmund! Emmerich, Siggi Held, mit denen bin ich groß geworden.“ Das ist Andreas zu verdanken, seinem besten Freund in Kindertagen, der, wie Oma Frieda, einen erheblichen Anteil daran hatte, dass für ihn Deutschland rasch ein Zuhause wurde.

Auf dem Rückweg springt der Wagen gleich an. „Jetzt ist die Batterie auch warm.“

Im Wohnzimmer der Residenz hängen Bilder aus der Türkei, aus Aserbeidschan und aus Australien, wo er in den achtziger Jahren Vizekonsul war und eine Liebe für alles Bunte entwickelte, besonders für bunte Gesellschaften. Eines seiner Lieblingsbilder stammt aus Bulgarien, und man muss ganz genau hinschauen, um immer wieder neue Motive zu entdecken in dem Labyrinth aus Farben und Formen – Clowns, Musikinstrumente, Kirschen und ein Pferd mit wehender Mähne. In seiner Bibliothek blättert er liebevoll in antiquarischen Büchern über die Weltgeschichte. Die kauft er auf Flohmärkten. Auf einem alten Grammofon ist eine Platte mit Musik von Johann Strauss aufgelegt. Ihm selber ist aber Jazz am liebsten, auch türkische klassische Musik und Beethoven und Mozart.

Eine persönliche Frage muss zum Schluss noch sein: Warum trägt er eigentlich den glitzernden Knopf im Ohr? Das sei sein „Reminder“ sagt er. „Der erinnert mich daran, dass ich dazu da bin, den Menschen zu dienen und ihr Leben besser zu machen. Ich bin ein Diener des Volkes, meines Glaubens und aller Menschen.“ An einer bestimmte Religion will er seinen Glauben übrigens nicht festmachen. Schließlich seien alle Menschen Geschöpfe Gottes und es sei eine Pflicht, denen zu helfen, denen es nicht so gut geht. Ein bisschen was von dieser Haltung habe er von Oma Frieda mitgenommen. Die hat ihm zum Beispiel beigebracht, im Bus aufzustehen, wenn ältere Menschen einen Platz suchen.

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