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Immer im Dienst, meist ehrenamtlich und engagiert: die Notfallseelsorger.

© dpa

Notfallseelsorger in Berlin: Und plötzlich ist die Liebe tot

Sie trösten, hören zu, eigentlich immer. Wenn jemand einen geliebten Menschen verliert, sind die Notfallseelsorger zur Stelle – und das seit 20 Jahren.

Von Sandra Dassler

Am schlimmsten ist es, wenn Eltern gerade ein Kind verloren haben. „Da gibt es keine Worte, keinen Trost“, sagt Justus Münster. „Da gibt es nur unendliche Trauer und die Frage nach dem Warum.“

Justus Münster ist einer von 140 Notfallseelsorgern in Berlin, der einzige, der dafür eine halbe hauptamtliche Stelle hat. Alle anderen arbeiten ehrenamtlich und meistens von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt.

In diesem Jahr besteht die von fünf Hilfsorganisationen und den beiden Kirchen finanzierte Berliner Notfallseelsorge und Krisenintervention 20 Jahre. Das wird mit Aktionwochen vom 11. bis zum 24. Januar begangen. „Es soll eine Aufmerksamkeitskampagne werden“, sagt Münster. „Nicht, weil wir eitel wären, sondern weil noch mehr Rettungskräfte, Polizisten und Feuerwehrleute erfahren sollen, dass es uns gibt.“ Denn die könnten und müssten entscheiden, ob sie während eines Einsatzes einen Seelsorger hinzuziehen.

Bei großen Katastrophen hat das jeder auf dem Plan, aber bei den vielen kleinen denkt mancher nicht daran. „Aber gerade die Notfälle in häuslichen Situationen machen den Großteil unserer Einsätze aus“, sagt Münster, „plötzliche Todesfälle durch Unfall, Krankheit oder auch aus unbekannter Ursache.“ Gerade wenn das wie in den meisten Fällen zu Hause passiert, stehen Angehörige oft hilflos da. Alles dreht sich um den Toten oder Schwerverletzten, es kommen fremde Menschen in die Wohnung, aber um den Partner, die Eltern oder Kinder des Opfers kann sich meist keiner so richtig kümmern.

Die ehrenamtlichen Notfallseelsorger haben dafür Zeit. Sie beruhigen, trösten, übernehmen Dinge, zu denen die Angehörigen nicht in der Lage sind: Manchmal benachrichtigen sie Verwandte, manchmal nehmen sie jemanden in den Arm, manchmal schweigen sie auch, sind einfach nur da. Manchmal müssen sie einen Betroffenen, der sich in einem schockähnlichen Zustand befindet, erst einmal in die Welt zurückholen, vielleicht mit der ganz simplen Frage, ob er etwas trinken möchte.

Auch den Helfern wird geholfen

Das alles geht natürlich nicht ohne entsprechende Ausbildung. 110 Unterrichtseinheiten umfasst die Qualifizierung zum Notfallseelsorger, von psychologischen und medizinischen Themen bis zum Bestattungsgesetz. Die Helfer kommen aus allen Bereichen, sind Ärzte, Lehrer, Bankangestellte. Nicht jeder, der helfen möchte, kann es auch. Mancher merkt das bei der Ausbildung oder erst bei den Einsätzen. „Vielleicht schafft er es nicht, Kontakt zu den Betroffenen aufzubauen, oder er bekommt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf“, sagt Münster. Das sei aber nicht schlimm, schließlich handele es sich nun mal um Extremsituationen: „Die machen auch etwas mit den Helfern.“ Für die Nachbereitung der Einsätze stehen den Notfallseelsorgern deshalb Supervisoren zur Seite. Münster findet oft Kraft in seinem Glauben. „Auch wenn es keinen nachvollziehbaren Plan Gottes geben kann, kleine Kinder sterben zu lassen, so kann ich meine Frage nach dem Warum doch jemandem antragen“.

6000 Mal waren die Notfallseelsorger in den vergangenen 20 Jahren im Einsatz, haben Tausenden geholfen. Ihre Festwochen mit Symposium, Gottesdienst, Regionalkonferenzen und einer Plakataktion begann am gestrigen Sonntag mit der Ausstellung „Mehr als Worte“ in der Hedwigskathedrale in Mitte. Zu sehen sind da unter anderem mehr als 60 von Kindern verschiedener Schulen gebastelte „Trostapparate“.

Kinder gehen sehr viel unbefangener mit Trauer um, sie wissen instinktiv, was in solchen Situationen gut tut, sagt Justus Münster: „Sie umarmen einfach jemanden, ohne wie wir Erwachsenen darüber nachzudenken, ob das schicklich ist“.

Die neunjährige Ecem aus Tempelhof hat einen „Trostofanten“ gebastelt. Der hat einen besonders langen und dicken Rüssel, aus dem er wunderschöne Trost-Geschichten pusten kann. Außerdem ist er sehr stark und kann Menschen, die sich gerade schwach fühlen, hochheben und festhalten.

Die Ausstellung ist bis zum 17. Februar zu sehen. Bis dahin werden die Berliner Notfallseelsorger noch einige Einsätze absolviert haben. Sie begleiten auf Anfrage übrigens auch Polizisten, die Angehörige informieren müssen. Es sei keine schöne Mission, aber eine notwendige, sagt Justus Münster. „Ich kann das Leid nicht aufwiegen, aber ich kann vielleicht sagen: es war gut, dass ich da war.“

Sehen Notfallseelsorger die alltägliche Welt eigentlich mit anderen Augen? „Nein und ja“, sagt Münster. Einerseits habe Alltag ja auch etwas Heilendes: „Andererseits bekommt man schon ein Gefühl für die Fragilität unseres Lebens, unserer Beziehungen, unserer Liebe. Man lebt bewusster, weil man immer wieder damit konfrontiert wird, dass sich von einem Moment auf den anderen alles ändern kann.“

Die Berliner Notfallseelsorger im Netz. Mehr finden Sie unter diesem externen Link.

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