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Zum Gebet: Der Islam werde in Deutschland anerkannt wie andere Religionen, meint der SPD-Politiker Ehrhart Körting.

© Christoph Soeder/dpa

„Urteile werden nicht im Namen Gottes gesprochen": Warum das Kopftuchverbot bei der Polizei und im öffentlichen Dienst richtig ist

Auch wenn noch viel Nachholbedarf besteht, kann von der häufig behaupteten Benachteiligung des Islams keine Rede sein. Ein Gastbeitrag.

Ehrhart Körting ist Mitglied der SPD und war von 1997 bis 1999 Justizsenator und von 2001 bis 2011 Innensenator des Landes Berlin.

Der Bundesrat hat am 7. Mai 2021 dem Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamtinnen und Beamten zugestimmt. Sie sollen bei Ausübung des Dienstes keine Kleidungsstücke, Schmuck, Symbole oder Tätowierungen tragen dürfen, welche im Erscheinungsbild die amtliche Funktion in den Hintergrund drängen.

Das gilt nach dem Gesetz auch für religiöse oder weltanschauliche Merkmale, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung zu beeinträchtigen. Die Gesetzesbegründung nennt die Polizei als Beispiel, aber auch die Rechtspflege.

Die neue bundesrechtliche Regelung, die sich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2020 stützt, stimmt für diese Berufsgruppen mit dem Berliner Neutralitätsgesetz überein, das in der politischen Diskussion von der Linken und den Grünen infrage gestellt wird. Ohne Not hat die Berliner Justiz unter Justizsenator Dirk Behrendt letztes Jahr das Kopftuch bei der Ausbildung, zum Beispiel durch Rechtsreferendarinnen, die für die Staatsanwaltschaft auftreten, zugelassen und damit eine seit 2001 bestehende Praxis geändert.

Die Kritik islamischer Verbände am Verbot religiöser Symbole bei Richtern und Richterinnen oder Staatsanwälten und Staatsanwältinnen oder bei Polizei und Justizvollzugsbediensteten verkennt die Funktion des neutralen Rechtsstaates. Um es etwas plakativ zu sagen: Urteile werden bei uns weder im Namen Gottes oder Allahs, sondern im Namen des Volkes gesprochen. Der Rechtsstaat hat jeden Anschein zu vermeiden, dass es anders sein könnte.

Ehrhart Körting (SPD) war von von 2001 bis 2011 Innensenator des Landes Berlin.
Ehrhart Körting (SPD) war von von 2001 bis 2011 Innensenator des Landes Berlin.

© Mike Wolff

Und natürlich kommt Kritik nicht nur von islamischen Verbänden, sondern auch von islamistisch-extremistischer Seite. So führt nach einem Tweet vom 6. Mai 2021 des Vorsitzenden der Deutschen Muslimischen Gemeinschaft, die von den Verfassungsschutzbehörden der verfassungsfeindlichen Muslimbruderschaft zugerechnet wird, das Gesetz angeblich zu einem faktischen Kopftuchverbot für Deutschland.

Er malt damit das falsche Bild eines deutschen Staates, in dem generell ein Kopftuchverbot angestrebt wird. Gerade nichtdemokratische islamistische Verbände stellen Musliminnen und Muslime gerne als Opfer einer Islamophobie dar. Auch andere Gruppierungen bei uns neigen dazu, in einer falschen Political Correctness jede kritische Frage zum Islam als Islamophobie oder Rassismus zu verteufeln.

Integration und Gleichberechtigung des Islam in Deutschland fortgeschritten

Es gibt Islamophobie, auch islamfeindliche Straftaten, keine Frage. Aber die Integration und Gleichberechtigung des Islam als Religion in Deutschland ist sehr viel weiter fortgeschritten, als das, was ständig über Benachteiligungen des Islam bei uns behauptet wird. Wir können selbstbewusst darstellen, was geht und was nicht geht. Das lässt sich an vielen Beispielen belegen.

Moscheebauten unterliegen den gleichen bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Vorschriften wie alle anderen Tempel und Kirchen. Ein Minarettverbot wie in der Schweiz kennt das deutsche Recht nicht, es wäre nach meiner Auffassung auch verfassungswidrig, Deutschland lässt die Finanzierung von Moscheebauten aus dem Ausland zu. Deutschland lässt ausländische Imame in unseren Moscheen arbeiten. In vielen Teilen Deutschlands gibt es an den Schulen Islamunterricht, wenn auch teilweise noch als Modellversuch. Berlin finanziert den Islamunterricht zu 90 Prozent.

An etlichen Hochschulen gibt es inzwischen Professuren für islamische Theologie. Im Haushaltsplan der Humboldt Universität waren für 2020 dafür dreieinhalb Millionen Euro veranschlagt. Islamische Sozialeinrichtungen, Kindertagesstätten, Schulen werden vom Staat – wie andere auch – gefördert. Zu islamischen Feiertagen werden die Schülerinnen und Schüler vom Unterricht befreit.

Beerdigungen nach islamischen Ritus in einem Leinentuch sind inzwischen weitgehend zugelassen. Auch finanziell werden die Moscheen und islamischen Verbände nicht benachteiligt. So sind Beiträge von Gläubigen an Moscheen oder gemeinnützige islamische Verbände bei der Einkommen- und Lohnsteuer absetzbar.

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Allerdings gibt es zu Recht keine staatliche Finanzierung der Moschen und islamischen Verbände. Den Vorwurf, dass es diese Finanzierung im Vergleich zu den Kirchen nicht gäbe, habe ich häufig gehört. Zu Unrecht. Die staatlichen Zahlungen an die Kirchen beruhen auf Entschädigungen für staatliche Enteignung von Kirchengütern in den letzten Jahrhunderten.

Man kann über die Höhe und eine Ablösung politisch streiten. Aber einen Anspruch von Moscheen und muslimischen Verbänden auf vergleichbare Zahlungen gibt es weder aus der Religionsfreiheit des Artikel 4 Grundgesetz noch aus dem Gleichheitssatz des Artikel 3 Grundgesetz.

Auch einen Anspruch auf Zuschüsse beim Bau neuer Moscheen gibt es nicht. Einen derartigen Anspruch haben auch nicht die christlichen Kirchen. Das manchmal vorgebrachte Argument der staatlichen Zuschüsse für alte Kirchenbauten verkennt, dass es hierbei nicht um eine Finanzierung der Seelsorge geht, sondern um den Erhalt zumeist jahrhundertealter Kulturdenkmale.

Die Beispiele zeigen, dass von der häufig behaupteten Benachteiligung des Islam in Deutschland keine Rede sein kann. Sicher gibt es noch Nachholbedarf, auch in der Praxis der Verwaltung. Es gibt in Einzelfällen voreingenommene Entscheidungen, gegen die aber islamischen Moscheen und Verbänden wie jeder anderen weltanschaulichen oder religiösen Gemeinschaft der Weg zum Gericht offen steht und Entscheidungen damit korrigierbar sind. Das belegen die vergangenen Jahre. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Urteil vom 15. Januar 2002 das betäubungslose Schächten von Tieren aus religiösen Gründen ausnahmsweise zugelassen.

Berliner Neutralitätsgesetzt muss verfassungskonform ausgelegt werden

Der Bundesgesetzgeber hat die Beschneidung eines männlichen Kindes aus religiösen Gründen durch eine Änderung in Paragraf 1631d Bürgerliches Gesetzbuch zugelassen. Die Zulassung der Beschneidung von Kindern und des betäubungslosen Schächtens von Tieren greifen dabei tief und durchaus nicht unproblematisch in andere Verfassungsrechte ein, bei den Kindern in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2, Absatz 2 Grundgesetz und bei den Tieren in den Schutz der Tiere nach Artikel 20a Grundgesetz. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Gegensatz dazu mit seinem Urteil vom 17. Dezember 2020 ein Verbot des Schächtens ohne Betäubung der Tiere in Belgien gerechtfertigt.

Eine besondere Rolle spielt in der öffentlichen Diskussion das im Berliner Neutralitätsgesetz enthaltene Verbot des Kopftuchs für Lehrerinnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für einen Fall in Nordrhein-Westfalen ist dies zweifelhaft. Das noch von einer anderen Wertung ausgehende Berliner Neutralitätsgesetz muss insoweit verfassungskonform ausgelegt werden.

Kopftuchverbot für Lehrerinnen sollte aufgehoben werden

Das hat das Bundesarbeitsgericht in einem Fall getan und einer muslimischen Bewerberin einen Schadensersatzanspruch zuerkannt. Die Berliner Senatsschulverwaltung hat zwar nochmals das Gericht angerufen. Aber schon jetzt gilt das Gesetz nach seinem Paragraf 3 nicht für berufliche Schulen und für den zweiten Bildungsweg, zudem kann die Senatsschulverwaltung Ausnahmen zulassen. Das heißt, auch in Berlin sind schon bisher Schularten für Lehrerinnen mit Kopftuch zugelassen.

Ich habe meine Haltung zu dieser Frage geändert und plädiere seit Längerem für eine allgemeine Öffnung der Schulen für Lehrerinnen mit Kopftuch. Allerdings halte ich die Debatte, wie sie von den Linken und Grünen geführt wird, für unehrlich. Was wollten wir mit dem Neutralitätsgesetz? Wir wollten erreichen, dass junge Mädchen nicht gegen ihre Überzeugung und ihren Willen von Lehrerinnen unter Druck gesetzt werden, ein Kopftuch zu tragen.

Dieses Ziel halte ich nach wie vor für richtig. Wenn man das Kopftuchverbot für Lehrerinnen beseitigt, muss man einen effektiven Schutz der jungen Mädchen auf andere Weise sicherstellen. Im Ergebnis geht das nur mit einem strikten Kündigungsrecht beziehungsweise mit einer disziplinarischen Entfernung aus dem Dienst bei Verstößen von Lehrerinnen. Man muss also das Neutralitätsgesetz nicht aufheben, sondern ändern. Um diese Konsequenz drücken sich diejenigen herum, die heute eine Aufhebung des Kopftuchverbots für Lehrerinnen fordern.

Kein Handlungsbedarf für Verschleierungsverbot in der Öffentlichkeit

Was für das Kopftuch gilt, gilt nicht für Niqab (eine Verschleierung, die nur die Augen offen lässt) und Burka (Vollverschleierung des Frauengesichts). Es gibt keinen Anspruch auf Gesichtsverschleierung der Frauen aus der Religionsfreiheit des Artikel 4 Grundgesetz heraus. Anders als das Tragen eines Schals zur Bedeckung der Haare verstößt eine volle Gesichtsverschleierung (Burka) nicht nur gegen die Gleichberechtigung der Frau, sondern auch gegen das der Menschenwürde des Artikel 1, Absatz 1 Grundgesetz zugrunde liegende Menschenbild des freiheitlichen und demokratischen Staates. Insofern wäre sogar ein staatliches Burkaverbot in der Öffentlichkeit wie in Frankreich mit der Religionsfreiheit vereinbar.

Für ein gesetzliches Verbot der Verschleierungen in der Öffentlichkeit, auf der Straße, sehe ich in Deutschland aber keinen Handlungsbedarf. Es handelt sich um eine Frage, die bei uns keine wirkliche Rolle spielt. Die Debatte darüber bedient eher rechte Vorurteile in der Gesellschaft. Im öffentlichen Dienst, bei der Ausübung des Dienstes, ist sie nach dem neu beschlossenen Gesetz zur Reglung des Erscheinungsbildes von Beamtinnen und Beamten unzulässig.

Der Islam ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten angekommen. Die islamischen Religionsgemeinschaften haben die Freiheiten wie andere auch. Aber sie haben genauso auch Grenzen, die sich aus unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft ergeben. Es geht immer um eine Abwägung. Die Religionsfreiheit wird durch unsere Verfassung geschützt, aber sie steht nicht vor anderen Grundrechten.

Ehrhart Körting

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