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Der Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg soll für knapp 200 Millionen Euro zum "Inklusionssportpark" umgestaltet werden

© imago/Steinach

Verwirrung nach "Koalitionsbruch" in Pankow: Wie stimmten AfD und SPD tatsächlich?

Technikpanne und Zahlenchaos: Das umstrittene Votum zum Jahn-Sportpark bedroht die Zukunft der rot-rot-grünen Pankower Koalition. Eine Rekonstruktion.

Von Christian Hönicke

Hat die AfD der SPD geholfen, eine Mehrheit für ihren Antrag in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung zu erreichen? Nicht nur diese Frage ist zwischen Grünen und Linken auf der einen und der SPD auf der anderen Seite umstritten. Sogar um das Abstimmungsergebnis als solches wird immer noch debattiert. Klar ist nur: Mit der Annahme des SPD-Antrags setzt sich der Bezirk Pankow nun offiziell dafür ein, dass der Jahn-Sportpark wie vom Senat geplant umgebaut und das alte Stadion durch ein neues ersetzt werden soll.

In der Pankower BVV werden die Abstimmungen seit einiger Zeit mittels eines elektronischen TED-Systems erfasst. Die Verordneten drücken auf Ja, Nein oder Enthaltung, auf einer Leinwand hinter dem Rednerpult erscheinen dann alle Namen entsprechend farblich hinterlegt. Gespeichert wird dieses Stimmbild aus Datenschutzgründen jedoch nur nach einem Antrag auf namentliche Erfassung.

Endergebnis klar, aber umstritten

Einen solchen Antrag stellten die Grünen, um die Beschlusslage des SPD-Antrags zum Jahn-Sportpark festzuhalten. Das Ergebnis ist daher auf der BVV-Website detailliert nachzulesen: An diesem Abend waren 48 Verordnete anwesend. Für den SPD-Antrag stimmten 25 Verordnete, dagegen 15, 7 enthielten sich. Das sind zusammen nur 47 - die Auflösung dazu folgt am Ende.

Für die Grünen und die Linken geht es aber nicht um diese Abstimmung, sondern um die davor. Sie hatten nämlich einen Antrag auf Überweisung gestellt, also Vertagung und nochmalige Beratung der Sache – und erwartet, dass sie gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD dafür stimmen würden.

SPD-Gegenstimmen überraschen Grüne und Linke

Als über diese Überweisung abgestimmt wurde, begann das große Durcheinander. Linke und Grüne votierten wie angekündigt dafür, die SPD jedoch gemeinsam mit der CDU und der FDP dagegen. Das war das große Bild, doch weder die SPD noch Grüne und Linke registrierten offenbar in der Kürze der Zeit die detaillierte Stimmverteilung auf der Leinwand.

Die Stimmenverteilung für Überweisungsanträge wurde bisher aus erwähnten Datenschutzgründen generell nicht im Nachhinein durch die BVV dokumentiert. In der Regel wird lediglich durch den BVV-Vorsteher mündlich festgestellt, ob ein Überweisungsantrag angenommen oder abgelehnt wurde.

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Selbst die SPD kann die Ereignisse daher nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Sie verweist in ihrer öffentlichen Stellungnahme darauf, dass nur 19 Linke und Grüne für eine Überweisung gestimmt hätten – obwohl 20 anwesend waren. Normalerweise sind es sogar 25, doch es gab fünf Krankheitsfälle bei beiden Parteien. Die Koalitionspartner beharren unabhängig voneinander darauf, es hätten gemäß Zählgemeinschaftsvertrag wie angekündigt alle 20 Grünen und Linken dafür gestimmt.

SPD überrumpelte die Partner

Klar ist in jedem Fall: Durch die zahlenmäßige Überlegenheit an diesem Abend von 22:20 hatten die Überweisungsgegner SPD, CDU und FDP eine relative Mehrheit gegenüber Grünen und Linken. Es waren jedoch an diesem Abend noch sechs weitere Stimmen zu verteilen: die der anwesenden AfD-Politiker - drei aus der AfD-Fraktion, drei von inzwischen Fraktionslosen.

Um die von den Linksgrünen gewünschte Vertagung sicher abzublocken, musste die SPD mindestens Stimmgleichheit zwischen beiden BVV-Blöcken erreichen. Dazu waren bei zu erwartender Abgabe aller 48 Stimmen ohne Enthaltung 24 Stimmen nötig - also noch zwei Stimmen aus dem AfD-Lager.

Die Stimmen der sechs AfD-Politiker verteilten sich nun über beide Blöcke. Die SPD räumt dabei offiziell per Stellungnahme ein, dass sie zunächst eine AfD-Stimme auf ihrer Seite hatte, bei (nach ihrer Rechnung) vier AfD-Stimmen für die Gegenseite und zwei Enthaltungen.

Abstimmung musste wegen Technikdefekt wiederholt werden

Alle drei Koalitionsparteien sind sich immerhin einig dabei, dass die Überweisung (also Vertagung) zunächst mit dem Ergebnis von 23:22 Stimmen beschlossen wurde. Linke und Grüne reagierten verblüfft und bereits verärgert auf das unerwartet knappe Ergebnis und die Gegenstimmen der SPD, registrierten aber immerhin erleichtert ihren knappen Erfolg.

Komplett zur Verwirrung trug dann jedoch der Umstand bei, dass die Stimme des SPD-Fraktionschefs Roland Schröder nicht mitgezählt worden war. Er erklärte, er habe aber den Knopf für Nein gedrückt – damit wäre es 23:23 ausgegangen und die Überweisung wäre an dieser Stelle bereits abgelehnt worden.

Der BVV-Vorsteher Michael van der Meer (Linke) ließ die Abstimmung daraufhin wiederholen. Der SPD-CDU-FDP-Block blieb laut SPD-Darstellung geschlossen bei der Ablehnung und kam nun mit der Zählung von Schröders Stimme auf alle 22 Stimmen. Auch hier gilt wieder: Grüne und Linke erklären, wie vereinbart mit allen 20 Stimmen für die Überweisung gestimmt zu haben, die SPD listet auch bei der zweiten Abstimmung in ihrer Rechnung nur 19 Stimmen auf der Gegenseite auf. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass bei der namentlich erfassten späteren dritten Abstimmung tatsächlich nur 19 linksgrüne Stimmen abgegeben worden. Der Grund wird später erläutert.

Grüne und Linke sehen "Koalitionsbruch"

Laut SPD war das Endergebnis dann 24:22 gegen eine Überweisung. Dabei hätten drei AfD-Politiker für und zwei gegen eine Überweisung gestimmt. Das BVV-Büro teilte auf Nachfrage mit, es sei tatsächlich knapper gewesen - nämlich 24:23, bei einer Enthaltung. Die Auswirkungen waren dieselben: Die Überweisung wurde abgelehnt, und Abstimmung über den SPD-Antrag sofort nötig.

Bei der folgenden Abstimmung über ihren Antrag benötigte die SPD bei vollständiger Stimmabgabe ohne Enthaltungen mindestens 25 Verordnete, um eine tatsächliche BVV-Mehrheit im Vorfeld zu garantieren. Dazu waren mindestens drei zusätzliche Stimmen aus den Reihen der AfD nötig. Die bekam die SPD auch. Das eindeutige Endergebnis von 25:15 ist jedoch für die SPD der Beleg, dass sie die drei AfD-Stimmen auf ihrer Seite gar nicht benötigt hätte.

Viele Enthaltungen aus "Verunsicherung"

Auch hier widersprechen Grüne und Linke deutlich. Das klare Votum sei nur zustande gekommen, weil sich fünf Politiker beider Parteien enthalten hätten, betonen sie. In der Linken-Fraktion seien laut Fraktionschef Matthias Zarbock „viele Leute sehr verunsichert gewesen, weil wir in der Zählgemeinschaft keine Nein-Stimmen gegen den Antrag eines Zählgemeinschaftspartners vorsehen“. Umgekehrt gelte: „Man stellt keinen Antrag, von dem man weiß, dass die anderen dagegen stimmen würden. Insofern haben sich unsere Enthaltungen an die Regeln der Zählgemeinschaft gehalten, die aber gerade gebrochen worden sind.“ Bei den Grünen gab es eine Enthaltung, nach Aussage der Fraktionsspitze ebenfalls „aus Verunsicherung - lieber enthalten als gegen den Partner stimmen". Linke und Grüne erklären daher, man müsse die Enthaltungen im Nachhinein de facto als Gegenstimmen werten.

Linke verzichtet auf Protest

Ein Sonderfall war, dass der Linken-Politiker Wolfram Kempe in der dritten Abstimmung gar nicht votierte und deshalb nur 19 statt 20 linksgrüne Stimmen abgegeben wurden. Kempe habe mit Nein gestimmt, erklärte Zarbock danach, aber wie bei Schröder habe offenbar das technische System versagt. So kamen nur 47 statt 48 BVV-Stimmen zustande. Dass die Linkspartei die Abstimmung nicht ebenfalls anfocht, wertet sie im Nachhinein als eigenen Fehler.

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