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Vom Fischrestaurant zum „Falschen Fisch“: Ein Stadtlabor für Berliner Jugendliche und Geflüchtete
In Neukölln will der Kulturverein „Schlesische 27“ Jugendlichen beibringen, richtig zu feiern – und ihnen eine Perspektive geben, wenn sie nicht wissen, wie es im Leben weitergehen soll.
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Wer am Ufer des Neuköllner Schifffahrtskanals entlang läuft, kann derzeit beobachten, wohin sich Berlin entwickelt: Da entsteht auf der einen Seite mit dem Estrel Tower das höchste Wohngebäude Berlins, auf der anderen Seite feierte gerade mit „Shed“ eine Bürolandschaft für Kreative und Startups Richtfest. An allen Ecken wird gebaut, verwirklichen Investor:innen ihre neuesten Ideen.
Mittendrin und trotzdem gefühlt Welten entfernt, wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, hat sich ein ehemaliges Fischrestaurant in den vergangenen Monaten in die komplett andere Richtung entwickelt: Der Verein „Schlesische 27“ hat hier gemeinsam mit Künstler:innen und Jugendlichen aus aller Welt einen neuen Kulturort erschaffen: den „Falschen Fisch“.

© Luis Krummenacher/S27
Die Schlesische 27 versteht sich selbst als ein Haus für kulturelle Bildung, als „ein Experimentierfeld für junge Leute“, erklärt Geschäftsführerin Barbara Meyer. Gemeinsam mit dem Künstler und Kurator Matze Görig sitzt sie an einem Vormittag Anfang September im Garten des „Fisches“. Drum herum wird noch gewerkelt: Menschen tragen Holzlatten von einer Ecke in die andere, putzen die Bar, beugen sich über Computerbildschirme.
Zwischen alten Apfel- und Pflaumenbäumen stehen Skulpturen, Bauteile und ein alter Zahnarztstuhl, den Görig auf der Straße gefunden hat. Am Donnerstag soll der Falsche Fisch offiziell eröffnet werden: Geplant sind unter anderem eine Taufe, eine Virtual-Reality-Ausstellung, eine Gesprächsrunde und Live-Musik. Künftig solle das ehemalige Restaurant zum Stadtlabor werden, erzählt Matze Görig: Es soll Werkstatt, Bühne, Biergarten, Experimentierfeld und Ort des Lernens gleichermaßen sein. „Unser Arbeitstitel ist: Partyakademie“, ergänzt Barbara Meyer und lacht.
Was spaßig klingt, ist ernst gemeint: Der Kulturverein will Jugendlichen aus aller Welt, viele davon Geflüchtete, zeigen, wie man sein Leben und Arbeiten auch gestalten könnte – frei von den Zwängen von Unis, Ausbildungen und Ausländerbehörde. Gleichzeitig sollen die Jugendlichen aber auch lernen, dass Partys nicht nur Delirium bedeuten – sondern auch einen hohen organisatorischen Aufwand.
Der Verein arbeitet hauptsächlich mit Jugendlichen zusammen, die in irgendeiner Art von Sackgasse stecken: Die nicht wissen, wie es nach der Schule oder im neuen Leben in Berlin weitergeht, die sich ausprobieren wollen und dafür auch ein bisschen Freiraum brauchen. So soll das Team der Partyakademie sich künftig verschiedene Veranstaltungen für den Falschen Fisch ausdenken – und dabei eben lernen, wie das mit dem Organisieren eigentlich funktioniert. Aus ähnlichen Projekten seien auch schon Unternehmen entstanden, berichtet Meyer und verweist auf eine Cateringfirma.

© Mario Heller/Tsp
Das Haus war einfach fertig. Und wir haben gesagt: Gut, wir machen das neu.
Matze Görig, Künstler und Kurator
Übernommen hat das Team der Schlesischen 27 das Fischrestaurant im Frühjahr, nachdem sie eher zufällig über das brachliegende Areal gestolpert waren. Bis vor etwa drei Jahren befand sich hier das Restaurant „Marin“, in dem vor allem die anatolische Community rauschende Partys gefeiert haben soll. Das Grundstück gehört zum Areal des benachbarten Estrel-Hotels, wo man offenbar keine Verwendung für das alte, zweistöckige Gebäude mit der großen Terrasse hatte.
Sehr unkompliziert sei der Kontakt mit der Streletzki-Gruppe gewesen, sagt Meyer. Wie lange der Fisch bleiben darf, stehe nicht fest. Formell haben Künstler:innen und Jugendliche die Fläche als Zwischennutzung übernommen. „Als wir hier angefangen haben stand das Gras im Hof kniehoch, im Gebäude gab es einen Wasserschaden. Das Haus war einfach fertig“, sagt Görig. „Und wir haben uns dann gesagt: Gut, das machen wir neu.“

© Marla Gaiser/S27
Aus Brachflächen und vermeintlich nutzlosen Orten neue Treffpunkte für die Nachbarschaft zu entwickeln, das sei eines der Ziele des Vereins. „Das ist natürlich auch ein Statement im Verdrängungskampf“, sagt Meyer. „Ein Ort, der ein wahnsinnig schönes Gesicht bekommt, soll auch an anderen Orten Menschen Mut machen, einfach mal nachzufragen, wem das Land gehört und zu überlegen: Wie kann ich das zu etwas Lebendigem machen?“
Und dann könne, wie eben hier am Schifffahrtskanal, auch inmitten von Neubauflächen eine Fläche entstehen, auf der man sich einfach mal ausprobieren kann. Die Künstler:innen und der Verein nennen das „Urbane Praxis“ – und meinen damit die Menschen, die die Stadt neu beleben.
Die Eröffnung findet am 8. September von 16 bis 22 Uhr statt, Ziegrastraße 1. Weitere Infos: falscherfisch.net
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