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Steffen Krach, Spitzenkandidat der SPD für die Berlin-Wahl 2026.

© picture alliance/dpa/Carsten Koall

„Von Islamisten unterwandert“: Was ist dran an Balcis Vorwurf gegen die SPD?

Die Behauptung der Neuköllner Integrationsbeauftragten stößt in der SPD auf großes Unverständnis. Differenzierter fällt die Bewertung anderer Vorwürfe Balcis gegen SPD-Linke aus.

Stand:

Die Vorwürfe wiegen schwer. Die Integrationsbeauftragte des Bezirks Neukölln, Güner Balci, hat der Berliner SPD vorgehalten, teilweise von Islamisten „unterwandert“ zu sein, und zielt dabei unter anderem auf den SPD-Fraktionschef Raed Saleh.

Anlass war das Wahldebakel um den Neuköllner Bürgermeister und SPD-Landesvorsitzenden Martin Hikel. Parteiinterne Kritiker aus dem linken Parteiflügel hatten dem SPD-Landeschef am Sonnabend bei der Nominierung zum Bezirksbürgermeisterkandidaten in Neukölln einen Denkzettel verpasst. Hikel erhielt ohne Gegenkandidat nur 68,5 Prozent der Stimmen – und nahm die Wahl anschließend nicht an.

Seitdem wird um die Deutungshoheit des Eklats gerungen. Klar ist: Viele SPD-Linke werfen Hikel unter anderem vor, beim Kampf gegen Clankriminalität im Bezirk zu pauschal vorzugehen und dadurch teilweise rassistische Narrative zu bedienen. Sie stört außerdem, dass Hikel den Begriff „Clankriminalität“ verwendet und den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ nicht.

Für den Berliner-SPD-Chef war die Kritik an seiner Politik sowie das schlechte Wahlergebnis Anlass, seine Nominierung nicht anzunehmen. „Wenn die SPD Neukölln dieses Angebot nicht breit unterstützt, bin ich für diesen Kreisverband der falsche Kandidat“, sagte Hikel im Tagesspiegel-Interview.

Güner Balci ist Integrationsbeauftragte von Neukölln.

© picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

In dieser angespannten Situation meldete sich nun Balci zu Wort. „Martin Hikel wurde in den letzten zehn Jahren von einem kleinen Flügel, der doch sehr hartnäckig ist, bekämpft“, sagte sie im „Spiegel“ unter anderem – um dann zu ihrem Vorwurf zu gelangen, Teile der SPD seien von Islamisten unterwandert.

Balci tätigte diese Aussage als Integrationsbeauftragte in Hikels Bezirksamt und nicht als Privatperson, wie der Bezirk dem Tagesspiegel bestätigte. Eine Freigabe durch das Bezirksamt habe jedoch nicht stattgefunden.

Die Aussage von Frau Balci ist eindeutig falsch.

Martin Hikel, Co-Vorsitzender der Berliner SPD und Neuköllner Bürgermeister.

Im Gegenteil: Hikel selbst sah sich noch am Mittwochabend genötigt, zu widersprechen. Er und seine Co-Chefin Nicola Böcker-Giannini sagten dem Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint: „Die Aussage von Frau Balci ist eindeutig falsch. Innerhalb der SPD diskutieren wir gemeinsam, demokratisch, vielfältig – immer unter der Maxime des gesellschaftlichen Zusammenhalts.“

Auch der SPD-Spitzenkandidat Steffen Krach übte scharfe Kritik an Balci. „Das muss ich wirklich in aller Form zurückweisen“, sagte er der „Berliner Morgenpost“. „Wir haben in der SPD viele gute Innenpolitikerinnen und Innenpolitiker mit einem klaren Standpunkt zum Extremismus. Die Aussagen der Integrationsbeauftragten sind einigermaßen absurd.“ 

Für Nachfragen war Balci am Donnerstag laut Bezirksamt „aus Zeitgründen“ nicht zu erreichen. Im Spiegel-Interview selbst sagte sie auf die Frage nach Belegen, dass es „Indizien“ gebe. Dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh warf sie etwa vor, nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 keine klare Haltung gezeigt zu haben.

Weil Saleh den Kampf gegen „antimuslimischen Rassismus“ in die Verfassung schreiben wolle, während gleichzeitig antisemitische Straftaten zunehmen, würde er zudem Islamismus verharmlosen. Die Kritik an Saleh ist nicht neu – allerdings bleibt offen, wie sie den Vorwurf einer islamistischen Unterwanderung stützen soll.

Saleh fordert, neben dem Kampf gegen Antisemitismus auch den Kampf gegen „antimuslimischen Rassismus“ in der Berliner Verfassung zu verankern. Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, hatte Saleh im Dezember 2023 vorgeworfen, „mit ohrenbetäubendem Schweigen“ auf den Hamas-Terrorangriff zu reagieren. Tatsächlich hatte sich Saleh bis dahin öffentlich nicht explizit geäußert.

Raed Saleh führt die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

© IMAGO/M. Popow

Andere jüdische Vertreter solidarisierten sich jedoch anschließend mit Saleh. Der Vorstand und das Kuratorium des Jüdischen Zentrums Synagoge Fraenkelufer forderten gar Joffes Rücktritt aus ihrem Kuratorium. Für den Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer setzt sich Saleh seit Jahren ein.

Auch weitere Vertreter der jüdischen Gemeinde wie Yehuda Teichtal, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin, und die Jüdische Gemeinde Chabad Berlin, und die Jüdische Gemeinde Kahal Adass Jisroel verwiesen auf die Unterstützung Salehs für das jüdische Leben in Berlin.

Differenziertere Bewertung zu anderen Vorwürfen

In der Berliner SPD rief Balcis Vorwurf der Unterwanderung strömungsübergreifend großes Unverständnis hervor. Balci habe Hikel schützen wollen und habe dabei über die Stränge geschlagen, sagte ein Neuköllner Sozialdemokrat, der nicht genannt werden will, dem Tagesspiegel.

Differenzierter fiel die Bewertung anderer Vorwürfe Balcis aus, die sie auch im Tagesspiegel äußerte. „Die islamistische Bedrohungslage wird verharmlost“, sagte sie unter anderem in Richtung der Hikel-Gegner. Ramin Rachel, Leiter der SPD-Abteilung Buckow, teilt diese Ansicht.

Auf dem Portal LinkedIn schrieb er, Martin Hikel stehe für die Durchsetzung von Recht und Ordnung und „seine Gegner nicht“. Weiter schreibt Rachel Richtung linker SPD-Mitglieder: „Sie finden den Begriff ‚Clan‘ diskriminierend, wollen keine Bekämpfung des Islamismus, da dies grundsätzlich rassistische Narrative nähre […].“

Die Jusos Neukölln wiederum widersprechen dieser Lesart: „Weder wir noch andere haben Martin, wie in bestimmten Medien, behauptet, kritisiert, weil er organisierte Kriminalität bekämpfe oder sich gegen religiös begründeten Extremismus und Antisemitismus einsetze“, teilten sie auf Instagram mit.

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