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Enge Bindung - in der Pandemie schwierig.

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Minderheit aus der Lausitz: Warum die Pandemie die Sorben besonders hart trifft

Ihre Kontakte sind reger, ihre Familienkreise groß und ihre Sprache ist ohnehin gefährdet. Sorben leiden besonders unter Corona - und an Silvester nochmal mehr.

Von Sandra Dassler

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Am Silvesterabend werden sie in vielen Familien wieder zusammensitzen und kleine Tiere formen. Die Sorben oder Wenden, wie man die Angehörigen jener kleinen slawischen Minderheit nennt, die sowohl in der brandenburgischen Nieder- als auch in der sächsischen Oberlausitz lebt, halten viel auf ihre Traditionen.

Seit Jahrhunderten benutzen sie für die Tierfiguren einen Teig aus Mehl, Wasser und etwas Salz. Die noch in der Silvesternacht gebackenen Hühner, Enten, Kaninchen, Schafe, Kühe, Pferde, Katzen oder Hunde werden dann am Neujahrstag artgleichen Tieren im Haus oder Stall zum Fressen gegeben. Die „Nowoletka“, zu Deutsch: „Neujährchen“, sollten das liebe Vieh, das neben dem Ackerbau die Lebensgrundlage der sorbischen Bauern darstellte, im neuen Jahr gesund erhalten.

Das Verfüttern oder inzwischen auch Verschenken der „Neujährchen“ ist eine der wenigen Traditionen, die von den schätzungsweise 60.000 in der Lausitz lebenden Sorben in Zeiten der Pandemie noch ausgeübt werden kann. „Auf die meisten unserer Bräuche mussten wir im vergangenen Jahr wegen der notwendigen Maßnahmen gegen das Corona-Virus verzichten“, sagt Dawid Statnik, der Vorsitzende der Domowina, des Dachverbandes sorbischer Vereine und Vereinigungen. So hätten etwa das bekannte Osterreiten oder auch das beliebte Hahnrupfen 2020 allenfalls symbolisch durchgeführt werden können.

Noch härter wird es in den kommenden Wochen, denn Ende Januar findet normalerweise die vor allem bei den Kindern beliebte Vogelhochzeit statt. Wenig später folgt die niedersorbische beziehungsweise wendische Fastnacht: der „Zapust“ mit dem Umzug in Trachten und mit dem „Zampern“, bei dem die Dorfjugend in historischen Kostümen von Haus zu Haus zieht, um Speck, Eier und Geld zu sammeln.

Liedgut könnte verloren gehen

„Es geht gar nicht nur darum, dass man auf das Tanzen, den historischen Umzug oder die sorbische Musik verzichten muss“, sagt der sorbische Publizist Horst Adam, der viele Jahre lang Chefredakteur der in Cottbus erscheinenden niedersorbischen Wochenzeitschrift „Nowy Casnik“ war: „Es geht um die vielen Menschen mit sorbischen Wurzeln, die auf ihren Zapust warten – auf ein Zeichen, dass es ihre Traditionen noch gibt. Die wollen ihre Lieder und vor allem ihre Sprache hören.“

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Um die Sprache macht sich Horst Adam die meisten Sorgen. Die Lockdowns haben auch in der Niederlausitz viele Einrichtungen getroffen, in denen Sorbisch gesprochen wird: Museen, Theater, Vereine, Ortsgruppen. „Das Wendische Museum in Cottbus beispielsweise wurde drei Jahre lang saniert, modernisiert und mit einer wunderbaren Dauerausstellung versehen“, sagt Adam: „Kurz nach seiner Neueröffnung kam der Lockdown. Und allein die vielen Chöre, die seit fast einem Jahr nicht mehr zusammen singen können“, sagt Adam: „Das fehlt doch den Menschen. Und wenn sie ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum begrenzen müssen, haben viele keine Möglichkeit, überhaupt mit jemandem Sorbisch sprechen zu können. Manche haben das seit Beginn der Pandemie nicht mehr getan.“

Ein wenig schwingt da immer auch die Angst mit, dass die sorbische Sprache und damit die kulturelle Identität des kleinsten slawischen Volks der Welt verloren geht. Seit Jahrzehnten gibt es große Anstrengungen, um das zu verhindern. In Schulen und Kitas wachsen Kinder zweisprachig auf, für ihre Eltern wurden Treffpunkte eingerichtet, wo sie gemeinsam mit den Kindern spielerisch die Sprache lernen können.

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„Aber wenn Schulen schließen müssen, entfällt eben auch der Sorbisch-Unterricht“, sagt Horst Adam: „Und da lassen sich drei Monate Ausfall nur sehr schwer nachholen, zumal ja auch sorbische Einrichtungen nicht vom Virus verschont bleiben.“ So mussten etwa die Schüler einiger Klassen am Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus in Quarantäne, nachdem eine Lehrerin positiv getestet worden war.

Die Lausitz wurde zum Hotspot

Richtig schlimm traf es in den vergangenen Wochen die Oberlausitz. Als der zwischenzeitlich zum deutschlandweiten Corona-Hotspot avancierte Landkreis Bautzen Anfang November erstmals die Zahlen der Corona-Infizierten für Städte und Gemeinden aufschlüsselte, stellte sich heraus, dass von den zehn am stärksten betroffenen Kommunen ganze neun im sorbischen Siedlungsgebiet lagen.

„Wir haben sofort darauf reagiert“, sagt Domowina-Vorsitzender Dawid Statnik. „Da wurde eine unserer Stärken, nämlich der engere soziale Zusammenhalt in größeren Familien- und Freundeskreisen, plötzlich zum Verhängnis. Das war bitter, aber wir haben die Schlussfolgerungen gezogen, was dann auch zum Abschwächen der Infektionsdynamik in den sorbischen Dörfern geführt hat“, sagt Statnik.

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Statnik erklärt, dass bei den meist streng katholischen Oberlausitzer Sorben normalerweise im Herbst sehr viele Feiern wie Firmung oder Kirmes stattfinden. Letztere werde traditionell im weitesten Familienkreis gefeiert. Wenn also in einem Dorf Kirmes ist, laden die Familien alle ihre Verwandten aus den anderen Dörfern ein, erklärt Statnik: „Wer also viele Tanten und Onkel hat, ist eigentlich an jedem Wochenende in einem anderen Dorf eingeladen“. Hinzu komme noch der Besuch der Heiligen Messe, der ja wie alle Gottesdienste trotz Masken und Verzicht auf Singen sehr umstritten ist.

In der evangelischen Niederlausitz wurde der beliebte Wendische Weihnachtsgottesdienst in der Cottbuser Klosterkirche in diesem Jahr nach vielen vergeblichen Bemühungen, ihn Corona-gemäß abzusichern, schlussendlich im Internet übertragen.

Dass so etwas Ähnliches bei der Vogelhochzeit auch möglich ist, bezweifelt Publizist Horst Adam. Beim traditionellen Fastnachts-Zapust könnte er sich immerhin vorstellen, dass anstelle des großen festlichen Umzugs nur ein oder zwei Paare durchs Dorf ziehen. „Dann können die Menschen wenigstens aus dem Fenster heraus zuschauen und wissen, dass ihre Tradition noch am Leben ist“, sagt Horst Adam.

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