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"Viel Glück" wurde den Abiturienten Ende März in Hessen gewünscht. Hier wurden die bisherigen Abi-Terminpläne durchgezogen.

© Uwe Zucchi/dpa

Diskussion um das Berliner Abitur: Was ist ein Reifezeugnis ohne Prüfung wert?

Berlins Schülerausschuss bekräftigt sein Votum gegen Abiturprüfungen. Ein Schulpsychologe beschreibt, was dann fehlen könnte.

Muss das sein – Abiturprüfungen in Coronazeiten? Nein, sagt der Landesschülerausschuss. Die Vereinigung der Oberstudiendirektoren hatte sich schon vorher darauf festgelegt. Steglitzer Abiturienten haben zudem an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) eine dreiseitige Begründungsliste mit rund 20 Aspekten geschickt, die gegen die Prüfung sprechen: Es geht um Ängste – etwa die vor Ansteckung oder vor der wirtschaftlichen Not, es geht auch um die sozialen Nachteile für Schüler, die im häuslichen Umfeld nicht lernen können.

Matthias Siebert, Vorsitzender des Berliner Landesverbands Schulpsychologie e.V., findet diese Argumente sehr berechtigt: „Ich sehe den Faktor Angst, und ich sehe den Faktor Gerechtigkeit“, sagt Siebert. Für ihn steht fest, dass dieser Jahrgang es besonders schwer habe, dass er ein „Ausnahmeabitur“ ablegen müsse. Daneben möchte Siebert jedoch weitere Aspekte gewürdigt sehen.

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Dazu gehört für ihn, dass Menschen das Gefühl brauchen, eine Hürde genommen zu haben. Sofern die anderen Bundesländer daran festhalten, die Prüfungen schreiben zu lassen, wären die Berliner Abiturienten die einzigen, die ein sogenanntes „Anerkennungsabitur“ oder „Notabitur“ bekämen. Darum hält Siebert es für wichtig, nach Kompromisslösungen zu suchen – etwa in Form anderer Prüfungsformate oder einer reduzierten Zahl von Prüfungen.

Eine Prüfung als „Initiationsritus“

Eine Prüfung zu bestehen, habe etwas von einem „Initiationsritus“, beschreibt Siebert, der leitender Schulpsychologe in Steglitz-Zehlendorf ist, die Bedeutung derartiger Herausforderungen. Sie habe das Potenzial einer bedeutsamen „Selbstwirksamkeitserfahrung“ und trage auch zur Selbstwertsteigerung bei.

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Damit das funktioniere und der Stress nicht unverhältnismäßig groß werde, seien aber auch nach der bereits erfolgten Verschiebung der Prüfungen Planbarkeit und Transparenz wichtig: Die Schüler müssten rechtzeitig wissen, ob und wann ihre Prüfungen geschrieben werden sollen, mahnt Siebert. Es müssten Ausnahmeregelungen gefunden werden – etwas für Schüler, die jetzt nicht für ihr Sportabitur trainieren könnten.

Ein klares Votum aus den Schulen

Der Landesschülerausschuss hatte zunächst noch verschiedene Lösungswege für das Abitur genannt, sich am Mittwoch aber klar gegen Prüfungen ausgesprochen: „Insgesamt 158 weiterführende Schulen in Berlin haben uns den klaren Auftrag erteilt, uns für die Absage der Abiturprüfungen einzusetzen“, teilte Landesschülersprecher Miguel Góngora mit. Daher fordere er „im Namen der Schülerschaft Berlins“ die Senatorin dazu auf, dieses Jahr ein „Anerkennungsabitur mit einer Ausgleichsmöglichkeit“ zu beschließen.

Feierlaune auch ohne Abitur? Das wird sich noch zeigen.
Feierlaune auch ohne Abitur? Das wird sich noch zeigen.

© Getty Images/iStockphoto

Insgesamt führen etwa 180 Sekundarschulen, Gymnasien, Kollegs und Abendschulen in Berlin zum Abitur. Unter einem Anerkennungsabitur versteht der Landesschülerausschuss ein Abitur, das auf den erbrachten Leistungen der vier Kurssemester beruht und ohne Prüfungen auskommt. Diese Art von Abitur wird auch als "Durchschnittsabitur" bezeichnet.

Brandenburger Schüler wollen das Abitur

Unter den rund 12000 Berliner Abiturienten dürfte es aber auch einige tausend geben, die die Prüfungen absolvieren wollen. Dazu gehören etwa Schüler, die ihre Semesternoten verbessern wollen, die sich gut vorbereitet fühlen oder die einfach befürchten, mit einem Berliner „Corona-Abitur“ nicht ernst genommen zu werden, wenn alle anderen Bundesländer an den Abiturprüfungen festhalten würden.

Diese Länder können sich zum Teil sogar auf ihre Schülervertretungen berufen. Gerade erst hat der Brandenburger Landesschülerrat für die Prüfungen votiert. Direkt nach den Osterferien soll es nach bisherigen Planungen in Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein und Brandenburg losgehen – zur Not auch in geschlossenen Schulen. Rheinland-Pfalz und Hessen haben schon Abiturklausuren geschrieben.

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