
© Jörn Hasselmann
„Wir haben das umweltrechtlich unterschätzt“: Neue Regionalstrecke im Berliner Norden kommt nicht voran
Ende 2023 sollten zwischen Wilhelmsruh und Schönwalde wieder Regionalzüge fahren. Doch für den Großteil der Strecke fehlt noch immer das Baurecht, wie die Verantwortlichen nun zugeben.
Stand:
Vier Jahre nach dem symbolischen „ersten Spatenstich“ kommt der Wiederaufbau der neuen Regionalbahnverbindung im Berliner Norden kaum voran. Ursprünglich sollten bereits Ende 2023 vom Reinickendorfer Bahnhof Wilhelmsruh wieder Regionalzüge über Schönwalde nach Basdorf fahren. Doch weiter ist völlig offen, wann die alte Stammstrecke der Heidekrautbahn wieder eröffnet werden kann. Denn die optimistischen Prognosen von vor vier Jahren beruhten auf einer groben Fehleinschätzung.
Im Dezember 2020 feierten Bahn und Politik am Bahnhof Wilhelmsruh den „Wiederaufbau“ der Heidekrautbahn. Doch gebaut wurde auf der Strecke seither nicht. Der Spatenstich damals war auch juristisch von Bedeutung: Hätten die „Bau“-Arbeiten nicht 2020 begonnen, wäre das Baurecht verfallen. Es galt nur zehn Jahre.
Diesen Mittwoch gab es einen zweiten „ersten Spatenstich“. Und zwar im Hause des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) in Berlin, nicht vor Ort. Die kleine gute Nachricht zuerst: Ab sofort wird gebaut am Bahnhof Wilhelmsruh. Nun die vielen schlechten Nachrichten: Das Baurecht gilt nur auf etwa 700 Metern der 14 Kilometer langen Strecke auf Berliner Stadtgebiet. Wann es mit dem langen Rest weitergeht, kann heute nicht gesagt werden.
Arbeiten mussten mehrfach ausgeschrieben werden
In einem Gespräch mit Journalisten vermieden VBB-Chef Martin Fuchs und der Chef der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB), Detlef Bröcker, jede Nennung neuer Termine. Nur Bröcker wagte dies: „Wenn wir 2026 anfangen könnten zu bauen, wäre ich zufrieden.“ Die NEB ist Eigentümerin der Strecke.

© NEB
Dies ist das bestmögliche Szenario: Wenn es gelingt, 2025 die Planfeststellungsunterlagen einzureichen und wenn es keine Einwendungen oder Klagen von Anwohnern gibt, könnte man 2026 anfangen zu bauen und Ende 2027 fahren. Es sind viele Wenns. Wie NEB-Chef Bröcker sagte, fehlen überall Planer, die für den Bauantrag erforderlich sind. Mehrfach habe man in den vergangenen Jahren Arbeiten neu ausschreiben müssen, weil sich einfach kein Büro beworben habe.
Ob es gelingt, die Unterlagen fertigzustellen, ist also offen. Außerdem müssen auf vielen Kilometern Lärmschutzwände gebaut werden. Denn die NEB will langfristig mit dreiteiligen Triebwagen fahren, nicht mit einzelnen – und mehr Achsen machen mehr Krach.
Weitere Hürde: Die Lärmschutzwände brauchen Platz, die Grundstücke müssen erst erworben werden. Zudem haben die Gemeinden nachträglich drei zusätzliche Bahnübergänge und teilweise andere Bahnsteigpositionen durchgesetzt.

© VBB/i2030, NEB, Sequenz
NEB-Chef Bröcker gab zu, sich beim Zeitplan verkalkuliert zu haben. „Wir haben das umweltrechtlich unterschätzt“, sagte er. Da das Gleis in den letzten Jahrzehnten von Güterzügen befahren wurde und rechtlich damit eine Eisenbahn war, hielt man einen Ausbau ohne langwierige Planfeststellungsverfahren für möglich.
Doch neue Bahnübergänge, andere Bahnsteigpositionen und ein höheres Tempo der Züge (Tempo 80) machten die Strecke juristisch zum Neubau und zum Opfer deutschen Umwelt- und Planungsrechts.
Bislang ging man von 46 Millionen Euro für den Ausbau der Strecke aus. Die Lärmschutzwände und weitere Änderungen sind darin nicht enthalten. Da die Baupreise vor vielen Jahren kalkuliert wurden, dürfte der Ausbau deutlich teurer werden. Da es bislang keine Finanzierungszusage des Bundes gibt, hat das Land Berlin sechs Millionen Euro „als Überbrückung bis zur Bewilligung der benötigten Bundesfördermittel“ vorgestreckt, wie der VBB mitteilte. Noch vor fünf Jahren lag die Schätzung bei 20 Millionen.
Die Heidekrautbahn ist Teil des milliardenschweren Infrastrukturprojekts „i2030“ der Länder Berlin und Brandenburg und ist trotz aller Probleme bislang das am weitesten vorangekommene Projekt. 2018 hatten die Länder, die Bahn und der VBB eine Vereinbarung zum „Ausbau der Metropolregion“ geschlossen, das unter dem Namen „i2030“ firmiert. Auch die Schienenachsen nach Nauen, Velten und Potsdam sollen ausgebaut werden, die Reaktivierung der Siemensbahn nach Spandau ist ebenfalls Teil von i2030.
VBB-Chef Fuchs erwartet, dass die leeren Kassen in Berlin und Brandenburg künftig sicher Auswirkungen auf die Umsetzung der geplanten i2030-Projekte haben werden. Details nannte er nicht.
Wer in die Innenstadt will, muss in die S-Bahn umsteigen
Die „Stammstrecke“, die nun reaktiviert werden soll, ist die alte direkte Anbindung der meist Heidekrautbahn genannten Linie nach Berlin. Mit dem Mauerbau war diese gesperrt, weil der Bahnhof Wilhelmsruh im Westteil der Stadt lag. Die Züge fuhren einen Bogen nach Karow im Bezirk Pankow, hier muss bis heute in die S-Bahn umgestiegen werden. Doch selbst wenn die Regios künftig wieder in Wilhelmsruh halten, müssen Fahrgäste, die in die Innenstadt wollen, auf unabsehbare Zeit in die S-Bahn umsteigen.
Über eine Verlängerung der Heidekrautbahn ab Wilhelmsruh parallel zu den S-Bahn-Gleisen zum großen Bahnhof Gesundbrunnen wird seit Jahren erbittert gestritten. Erst fehlte Geld, dann eine Brücke, dann war angeblich die ICE-Wartungsanlage der Bahn in Schönholz im Weg. Eine Berechnung von Kosten und Nutzen gibt es weiterhin nicht. Ein positives Ergebnis dieser Berechnung ist zwingende Voraussetzung für eine Finanzierung. Der VBB lehnte am Mittwoch jede Auskunft zum Stand der Dinge ab, dies sei Sache der Deutschen Bahn.
Der Umstieg in Wilhelmsruh von der künftigen RB28 in die S-Bahn wird für Fahrgäste alles andere als bequem sein. Dies zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte Grafik des VBB. Eine sehr lange (weil rollstuhltaugliche) Rampe führt zunächst vom Regiobahnsteig auf das Straßenniveau. Weiter geht es ins Bahnhofsgebäude und dann die Treppen wieder hoch zum S-Bahnsteig. Eine neue Unterführung als Direktverbindung zwischen den Bahnsteigen sei nicht finanzierbar gewesen, hieß es.
Die modernen Wasserstoff-Züge für die Strecke wurden für Ende 2024 bestellt. Der erste wurde während der Eisenbahnmesse Innotrans im September vorgestellt. Bröcker sagte, dass bis zum Fahrplanwechsel im Dezember vier oder fünf der bestellten sieben Züge eintreffen werden. Sie werden auf dem restlichen Netz der Heidekrautbahn eingesetzt.
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