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Bilder von Achim Freyer in der Galerie Tammen: Malerei der Extreme

Mit 90 Jahren blickt der Berliner Künstler auf ein gewaltiges Lebenswerk. Seine Leinwände stehen autonom neben der Arbeit als Regisseur für Oper und Theater, die ihn berühmt gemacht hat.

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Es wird abstrakter, Jahr für Jahr. Was Achim Freyer in die Räume der Galerie Tammen gebracht hat, gleicht einem Daumenkino seiner persönlichen Kunstgeschichte: Übergroß blättert sie sich entlang der Wände auf.

Am Beginn hängt das Porträt „Steffi“ von 1959: eine weibliche Figur in Braun- und Grautönen, in der Art Brut verankert und dennoch statisch wie ein Objekt auf den Stillleben von Giorgio Morandi. Ebenfalls in der Galerie findet sich „3x mit Rot im Gegenlicht“, von Freyer im vergangenen Jahr fertiggestellt. Es entfesselt die Farben, besteht aus breiten Schwüngen und wird bloß durch drei schwarze Vertikalen strukturiert. Im Rückblick offenbart sich eine Malerei in ihren Extremen, von der Figuration ins konsequent Ungegenständliche.

Sehen, hören, fühlen

Dazwischen liegt ein solitäres Leben. Achim Freyer, Jahrgang 1934 und gebürtiger Berliner, verzaubert die internationalen Bühnen seit Jahrzehnten. Seine Inszenierungen am Wiener Burgtheater oder der Deutschen Oper sind Legende, vergangenes Jahr war am Staatstheater Meiningen die siebte Fassung des „Don Carlos“ zu sehen. Parallel treibt Freyer sein malerisches Werk voran, führt sein eigenes Kunsthaus in Lichterfelde mit wechselnden Ausstellungen und wöchentlichen Führungen. Seine 90 Jahre merkt man ihm keine Sekunde an.

Auch nicht in der Galerie Tammen, deren Ausstellung „innen raum land schaften“ Freyers derzeitige Retrospektive in Schloss Biesdorf mit verkäuflichen Werken erweitert. Zweimal war der Künstler auf der Documenta in Kassel vertreten, Malerei, Regie und Bühnenbild stehen in seinem Œuvre gleichberechtigt nebeneinander. Verbindend wirkt sein Interesse an den Sinnen. Sehen, hören, fühlen: Das sind Konstanten im Theater wie in der Oper und bei Freyer auch auf der Leinwand. Frühe Assemblagen verwenden Materialien, die man am liebsten anfassen würde, seine Bilder handeln von der Wahrnehmung, die Motive fragen nach dem Verhältnis von Formen und Fläche im Raum.

Brechts Meisterschüler

Bevor Freyer 1972 von einer Reise in den Westen nicht mehr in die DDR zurückkehrte, war er Meisterschüler von Bert Brecht für Bühnenbau und mit Künstlerkollegen der DDR vernetzt; darunter Hermann Glöckner und A.R. Penck. Freyer erinnert sich an einen „intensiven Austausch“ und den existenzialistischen Grundton ihrer Kunst, den der Staat nicht akzeptieren wollte. Das Thema ist weiter präsent, in Freyers Bildern geht es um existenzielle Nöte und mögliche Auswege.

Zur Eröffnung spricht der Künstler, rezitiert ein selbst verfasstes Manifest und nennt seine Malerei ein „Anti-Abbild der Realität“. Besser lässt sich nicht fassen, was ihm als Kreativem seit Jahrzehnten gelingt: Achim Freyer hebt ab, er baut der Wirklichkeit eine Bühne, auf der man sie nicht mehr erkennt. Alles ist überzeichnet, löst sich vom Alltag und wirkt artifiziell. Dennoch spürt man die Gegenwart der Realität, besonders in der großformatigen „Köpfe“-Serie. Der Künstler verwendet Karton und Packpapier, die Hintergründe gliedern sich in mal matte, mal satte Farbfelder. Den Vordergrund beherrschen dicke, gestische Konturen in Schwarz – sie lassen die Köpfe wie Schädel aussehen.

Ein dunkler Ton

Hier mischt sich ein dunkler Ton in das „Selbstbildnis mit Rot“ oder den „Kopf mit waagerechtem Schatten“. Beide sind 1998 entstanden und, so deutet es Peter Raue in seiner Eröffnungsrede der Ausstellung, ein Reflex auf den frühen Tod von Freyers Frau Ilona, die in den achtziger Jahren an Krebs verstarb.

Raue, der bekannte Berliner Anwalt, ist ein Fan und Freund. Man merkt es am intimen Ton seiner Laudatio, die kaum die Stationen von Freyers Biografie nachhalten kann, weil es so viele sind. Letzterer ruft dazwischen, ergänzt Details. Mit Witz und einer Leichtigkeit, die die Melancholie seiner schwebenden Köpfe unterläuft. Das setzt sich in Freyers Kohle- und Kreidestiftzeichnungen fort. Sie skizzieren eine „Straße auf Teneriffa“, das „Meer“ oder Szenen in einer Bar. Mit schnellen Strichen deutet der Künstler die Figuren in ihrer jeweiligen Umgebung an, schraffiert Details. Den Rest lässt er weiß, alles bleibt in der Schwebe und dokumentiert zugleich sein Talent zur genauen Beobachtung.

Wieder entsteht der Eindruck, die Dinge arrangierten sich in einem Guckkasten. „Im Bilde“, eine Ateliersituation mit gemaltem Akt, der die Leinwand zu verlassen scheint, ist so ein Fall – ein verschachteltes Werk mit metaphysischem swipe. Achim Freyer hält Distanz zu seinen Motiven, ist aber zugleich auch involviert. Wie er das macht, bleibt sein Geheimnis.

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