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Die Auftritte der Letzten Generation aus kunsthistorischer Sicht: Performance oder doch bitterer Ernst?
Das Spiel ist jedes Mal dasselbe. Kaum hat eine Aktion stattgefunden, gibt es allenthalben Empörung und Entrüstung. Plädoyer für mehr Empathie für die eigene Zukunft.
Stand:
Gerade erst ist es wieder passiert, als am letzten Wochenende eine Gruppe Aktivisten die Glasscheiben des Grundgesetz-Denkmals in Berlin mit einer Flüssigkeit bespritzten, die wie Öl aussah, und darauf Plakate klebten. Damit sei das Grundgesetz „in den Schmutz gezogen“ worden, so FDP-Justizminister Marco Buschmann. Für Grünen-Chefin Ricarda Lang war die Aktion „einfach nur daneben“, während SPD-Innenministerin Nancy Faeser sie als „völlig unwürdig“, ihr Parteikollege Michael Roth als „billig“ und „würdelos“ bezeichnete und den Aktivisten sogar vorwarf, „ähnlich wie die Taliban“ zu agieren.
Offenkundig können und wollen Politiker und andere Kritiker (deren Verurteilungen zum Teil noch heftiger ausfallen) die Aktionen der Letzten Generation also ausschließlich als aggressive, ja als ikonoklastische Akte wahrnehmen. Für sie stellt es sich so dar, als würden die Klimaaktivisten Van Gogh, Claude Monet oder eben das Grundgesetz angreifen. „Rache an Van Gogh“ warf selbst Jonathan Meese den Aktivisten vor, der als Künstler seinerseits alles andere als zimperlich mit Teilen der Tradition umgeht.
Dabei ist doch eigentlich völlig absurd, zu unterstellen, die Aktivisten hätten etwas gegen Kunst oder gegen das Grundgesetz. Wie sollte das zu ihren Zielen von mehr Klimaschutz passen? Und sie lassen auch keinerlei Zweifel daran, worum es ihnen mit den Aktionen geht. Auf einem der Plakate, die auf das Grundgesetz-Denkmal affichiert wurden, steht „In der Klimahölle gibt es keine Menschenwürde, kein Recht auf Freiheit, kein Recht auf Leben!“ Sie sehen die wichtigsten Rechtsgüter also in akuter Gefahr, und die nach Öl aussehende Flüssigkeit, mit der sie den Grundgesetztext auf den Glasscheiben überzogen haben, steht symbolisch für eine Energiepolitik, die jene Klimahölle wahrscheinlicher und umso heißer werden lässt.
Ist es aber „unwürdig“ und „würdelos“, vor dem Verlust von Menschenwürde zu warnen? Nein, die Aktion soll einen kleinen Vorgeschmack darauf geben, was es heißt, dass vielleicht schon in ein, zwei Generationen kein Staat mehr seinen Bürgern Würde, Freiheit und Leben garantieren kann, weil global zu viel in Aufruhr geraten ist, es Millionen von Klimaflüchtlingen gibt und halbe Länder wegen des steigenden Meeresspiegels verschwinden. Es geht also darum, eine Diskussion darüber anzuregen, was alles auf dem Spiel steht, ja dass das Wichtigste, was wir haben, der Rechtsstaat, schon bald Makulatur werden könnte.
Ähnlich verhält es sich bei den Aktionen in Museen. Mit ihnen wird davor gewarnt, dass im Zuge der Klimakatastrophe jegliche Schönheit, ja alles, was Menschen kostbar und heilig ist, bedroht ist. Natur lässt sich schon jetzt kaum noch unbefangen betrachten, weil man überall nach Anzeichen des Klimawandels sucht, und wie soll man sich künftig an Kunst erfreuen, wie sollen Museen erhalten werden, wenn die Lebensbedingungen immer schwerer werden?
In der Klimahölle gibt es keine Menschenwürde, kein Recht auf Freiheit, kein Recht auf Leben!
Die Letzte Generation, auf einem der über das Grundgesetz geklebten Plakate
Indem die Aktivisten die Rezeption von Kunst stören – und keineswegs diese zerstören! –, wollen sie die Menschen also dazu bringen, sich bewusst zu machen, wie existenziell die Verluste sind, die durch den Klimawandel drohen. Die Aktionen fungieren als Menetekel, als Warnungen, um vielleicht gerade noch das Ruder herumzureißen, bevor es endgültig zu spät ist.
Doch so klar Botschaft und Ziel der Aktionen der Letzten Generation sein mögen, so deutlich ist eben auch, dass das bei sehr vielen Menschen nicht ankommt. Wohlwollend könnte man dies als Beleg dafür deuten, dass es sich hier um einen neuen Typus von Aktionen handelt, die Aktivisten also einfach zu unkonventionell agieren, um gleich verstanden zu werden.

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Tatsächlich: Wann gab es das schon mal, dass etwas beschmutzt wurde, nicht um es zu desavouieren, sondern um damit stellvertretend-symbolisch vor einem viel größeren Unheil zu warnen? Das, was man bewahren will, kontaminiert man mit dem Ziel, Verlustängste zu erzeugen, um auf diese Weise Kräfte zu mobilisieren, mit denen sich den Bedrohungen etwas entgegensetzen lässt.
Die Aktionen der Letzten Generation entspringen somit einem im wörtlichen Sinne konservativen Geist. Sie sind das Gegenteil einer revolutionären Bilderstürmerei. Aber die Geschichte des Ikonoklasmus ist so lang, seine Manifestationsformen sind so prägend, dass man im ersten Impuls kaum umhinkann, es als Angriff zu deuten, wenn jemand ein ehrwürdiges Objekt bewirft oder beschmutzt.

© Robert Hamacher
Der Akt des Werfens wird von den Aktivisten der Letzten Generation mit großer Energie betrieben. Sie zeigen sich selbst so sehr als Täter, dass man in ihnen erst recht Aggressoren sieht. Mit den Bildern, die sie erzeugen, stellen sie sich in die Tradition von Denkmalsstürmern und Kunstaktivisten, die laut gegen Autoritäten protestieren, gegen den „Status quo“ kämpfen, gegen bestimmte Milieus oder Personen richten.
Die Akteure der Letzten Generation haben also selbst großen Anteil daran, dass sie so oft und gründlich missverstanden werden. Das ist nicht ohne Tragik, da sie ihre Aktionen ohne Weiteres viel plakativer und populistischer aufziehen könnten – dann aber letztlich auch nur noch eine simplere Botschaft damit einherginge. Was wäre etwa gewesen, hätten sie sich bei der Aktion beim Grundgesetz-Denkmal Masken mit dem Gesicht von Verkehrsminister Volker Wissing aufgesetzt?

© dpa/Abaca/Letzte Generation
Ganz klar: Dann wäre er als Beschmutzer des Grundgesetzes gebrandmarkt worden, er wäre der böse Aggressor gewesen. Es wäre aber auch der Eindruck entstanden, man müsse nur ein paar Politiker oder Wirtschaftsbosse austauschen, dann würde alles gut oder zumindest viel besser. Von dem Appell an jeden Einzelnen, sich eine Zukunft zu vergegenwärtigen, in der alles Lebenswerte bedroht ist, wäre nichts geblieben. Statt andere dazu zu bringen, auch Angst um ihr Leben zu bekommen und deshalb selbst aktiv zu werden, hätte man alle negativen Emotionen auf einen Gegner projiziert.
Verschärft wird die missglückte Wahrnehmung der Aktionen der Letzten Generation dadurch, dass seit einigen Jahren vor allem der Kunstaktivismus die ästhetisch-formalen Standards von politischem Protest im öffentlichen Raum definiert. Mittlerweile wird jegliche Aktion als Kunstaktion rezipiert, auch deshalb aber nicht nur schnell auf eine rebellische Anti-Geste reduziert, sondern vor allem als etwas geradezu Werkhaftes aufgefasst, bei dem jedes einzelne Element einer eingehenden Deutung standzuhalten vermag. Daher kann man sich kaum vorstellen, dass die Aktivisten nicht gerade auch darüber nachgedacht haben, welche Assoziationen es auslöst, wenn sie mit vollem Körpereinsatz zu Wurf- oder Schüttbewegungen ausholen und das zudem noch auf ihren Social-Media-Kanälen posten.
Doch selbst wenn in zahlreichen Artikeln so getan wird, als sei die Letzte Generation eine kunstaktivistische Gruppe, und auch wenn jemand wie Philipp Ruch, Chef des Zentrums für politische Schönheit, meint, seinen ‚Kollegen’ Tipps geben zu müssen (er rät ihnen zu mehr Gewalt), haben sie sich selbst niemals als Kunstaktivisten bezeichnet. Und sie sehen sich offenkundig wirklich nicht so. Sonst würden sie sich nämlich bei den Gerichtsverfahren, die gegen sie angestrengt werden, auf die Kunstfreiheit berufen, in der Hoffnung, dann mildere Strafen zu bekommen, oder sie könnten mit dem Verweis, alles sei doch als Kunst gemeint, für eine ironische oder dadaistische Lesart ihrer Aktionen plädieren.
Das alles tun sie nicht – und im Gegenzug sollte die Öffentlichkeit so fair sein, ihre Aktionen nicht nur nach Kriterien von Kunst zu beurteilen, sondern stärker daran zu messen, was für ein Ethos, was für Ziele sich darin ausdrücken. Und vielleicht kann der eine oder die andere sich dann ja sogar zu jener wohlwollenden Lesart durchringen und würdigen, dass mit den Aktionen der Letzten Generation eine neue Spielart von politischem Protest versucht wird, bei der es gerade nicht darum geht, Feindbilder zu produzieren, sondern Empathie gegenüber der eigenen Zukunft zu entwickeln.
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