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Der Schweizer Botschafter Tim Guldimann auf einer Archivaufnahme.

© Mike Wolff TSP

Ex-Botschafter im Iran zum Krieg: „Dass das Regime in Teheran jetzt in sich zusammenkracht, halte ich für eine Illusion“

Der ehemalige Schweizer Botschafter im Iran, Tim Guldimann, sieht die Gefahr durch den Iran kurzfristig gebannt. Die Glaubwürdigkeit der internationalen Ordnung allerdings habe schweren Schaden genommen.

Stand:

Herr Guldimann, US-Präsident Donald Trump verkündet überraschend eine Waffenruhe zwischen dem Iran und Israel. Ist das „Iran-Problem“ nun gelöst?
Kurzfristig können sich all jene, die sich durch das iranische Nuklearprogramm bedroht gefühlt haben, zurücklehnen und sagen: Iran ist in seinen nuklearen Bemühungen wohl um Jahre zurückgeworfen worden. Aber die anderen Fragen bleiben offen.

Welche?
Das Regime ist geschwächt, ja, aber dass es jetzt einfach in sich zusammenkracht und das zu Demokratie und Rechtsstaat führt, halte ich für eine Illusion. Ich befürchte eher, dass das unter Druck geratene Regime nun die Repression gegen die eigene Bevölkerung verstärkt.

Und die mittel- und langfristigen Folgen der Waffenruhe?
Iran hat viel von seinem Einfluss in der Region verloren, will sich aber als Regionalmacht behaupten und als das respektiert werden. Das Nuklearprogramm hat weiter Drohpotenzial. Auch wenn die Anlagen zur Urananreicherung jetzt stark beschädigt sind, könnten die Iraner möglicherweise das schon zu 60 Prozent angereicherte Uran in Sicherheit gebracht haben. Und dieses könnten sie auf bombenfähige 90 Prozent anreichern. Die Probleme sind nicht aus der Welt geschafft.

Trump inszeniert sich gerne als „Deal Maker“. Er könnte den Iranern ein Ende der Sanktionen in Aussicht stellen und dafür die Aufgabe nuklearer Ambitionen durchsetzen, indem die IAEA das Atomprogramm künftig kontrolliert.
Das ist schon möglich. Das wäre so ähnlich wie das Nuklearabkommen von 2015, das Donald Trump 2018 aufgekündigt hat. Aber Achtung: Wenn er von einem Deal spricht, meint er eigentlich eine Erpressung, wenn er sein Angebot mit der Androhung von Gewalt verbindet.

Gewalt gab es bereits: Die USA haben sich Israels Krieg angeschlossen und am Wochenende iranische Atomanlagen bombardiert. Lässt der Waffenstillstand den Schluss zu, dass der Militäreinsatz ein Erfolg war?
Das Ziel des Militäreinsatzes der Israelis und der USA bleibt weiterhin diffus. Ging es darum, das Nuklearprogramm des Iran zu zerstören oder diesem zumindest einen großen Schaden zuzufügen? Oder ist das eigentliche Ziel der Sturz des Regimes? Ich setze Fragezeichen hinter diesen Militäreinsatz.

Ich sehe keinerlei Legalität des israelischen Angriffs – geschweige denn des amerikanischen Angriffs.

Tim Guldimann

Weshalb? Der Iran stand kurz davor, waffenfähiges Uran zu besitzen. Israel rechtfertigte den Angriff mit einem vom Völkerrecht gedeckten Präventivschlag. Ein Staat muss nicht sehenden Auges darauf warten, bis er angegriffen wird. Das sagt das Völkerrecht.
Man muss unterscheiden zwischen legitim und legal. Die Frage des Völkerrechts ist die Frage der Legalität. Was legitim ist, entscheidet jeder für sich. Die UN-Charta auf der Basis von Art. 51 erlaubt einen Präventivschlag nur dann, wenn sich ein Staat unmittelbar mit einem Angriff konfrontiert sieht. Hinweise, dass der Iran einen nuklearen Angriff auf Israel geplant hätte, gibt es überhaupt nicht. Von daher sehe ich keinerlei Legalität des israelischen Angriffs – geschweige denn des amerikanischen Angriffs.

Israel sieht sich in seiner Existenz bedroht. Das Regime in Teheran erkennt das Existenzrecht Israels nicht an, der Kampf gegen den jüdischen Staat ist Staatsdoktrin. Israel rechtfertigte seine Operation damit, dass der Iran unmittelbar vor dem Bau einer Atombombe stand. 
Ich bin überzeugt, das Ziel der iranischen Politik besteht darin, die Fähigkeit zu entwickeln, um eine Atombombe bauen zu können. Das ist nicht das Gleiche.

Ein nuklearer Angriff des Irans gegen Israel wäre reiner Selbstmord.

Tim Guldimann

Es kann nicht im Interesse der internationalen Ordnung und schon gar nicht Israels sein, tatenlos dabei zuzusehen, wie das Regime in Teheran diese Fähigkeit entwickelt.
Den Beweis, dass der Iran an der Waffe baut, gibt es nicht. Natürlich macht eine Urananreicherung mit einem Reinheitsgrad von bis zu 60 Prozent zivil keinen Sinn. Überhaupt ist es ein Blödsinn, wenn ein Erdölstaat unbedingt Kernenergie produzieren will. Und es stimmt, dass das Regime seinen Informationspflichten nach dem Zusatzvertrag des Atomwaffensperrvertrags verletzt. 

Es wäre fatal, wenn Iran zur Nuklearmacht aufsteigen würde. Das Regime würde seine Macht mit der Bombe absichern und Israel drohte, von der Landkarte zu verschwinden.
Natürlich wäre ein atomar bewaffneter Iran eine massive Bedrohung. Ich bin aber überzeugt, der Iran will vor allem als Regionalmacht anerkannt werden. Derzeit ist das Land massiv geschwächt, auch durch Israels Schläge gegen die Hisbollah und den Umsturz in Syrien.

Ich habe Verständnis für das in Israel vorherrschende Gefühl, durch den Iran in der Existenz bedroht zu sein. Aber die Zielsetzung des Iran, Israel auszulöschen, ist meines Erachtens nicht so klar, um das als Staatsräson zu bezeichnen. Es gibt schon lange höchst aggressive offizielle Äußerungen aus Teheran, die sind ernst zu nehmen, selbst wenn die auch innenpolitische Zwecke erfüllen. Trotzdem wäre ein nuklearer Angriff gegen Israel reiner Selbstmord: Israel verfügt wohl selbst über etwa 80 Atombomben.

Das Völkerrecht darf nicht nur von Fall zu Fall gebraucht werden. Denn genau das stärkt vor allem im globalen Süden den Vorwurf westlicher Doppelmoral.

Tim Guldimann

Zurück zum Völkerrecht. Wenn der israelische und der amerikanische Schlag dieses verletzen, wie Sie sagen – welche Folgen haben solche Schläge für die internationale Ordnung? 
Wir übersehen in der ganzen Diskussion bei uns, dass Israel und der Westen insgesamt durch das Vorgehen gerade auch im Gazastreifen und nun mit der Operation „Rising Lion“ im globalen Süden massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. Das wird Wladimir Putin und die Chinesen freuen.

Warum?
Die Frage ist: Wie stark sind wir bereit, das internationale Völkerrecht als Referenz unserer außenpolitischen Orientierung zu nehmen? Wenn wir im aktuellen Fall nicht Bezug darauf nehmen, wie reagieren wir bei der nächsten nicht vom Völkerrecht gedeckten Aktion der internationalen Politik?

Angenommen, Trump besetzt Grönland. Dann würden wir sicher mit dem Völkerrecht argumentieren. Das Völkerrecht darf aber nicht nur von Fall zu Fall gebraucht werden. Denn genau das stärkt vor allem im globalen Süden den Vorwurf westlicher Doppelmoral.

Man sollte zumindest auf den Völkerrechtsverstoß hinweisen, anstatt dankbar von „Drecksarbeit“ in unserem Interesse zu fabulieren.

Tim Guldimann

Der Iran beruft sich bei seinen Raketenangriffen auf Israel auf das Selbstverteidigungsrecht. Aber das Regime beschießt auch zivile Einrichtungen. Damit verstößt der Iran ebenfalls gegen das Völkerrecht.
Wenn der Iran militärische israelische Einrichtungen angreift, ist das vom Völkerrecht gedeckt. Nicht jede Kriegshandlung ist völkerrechtswidrig. Die Iraner dürfen zurückschlagen, wie es auch die Ukrainer gegen Russland dürfen. Aber natürlich darf der Iran keine zivilen Ziele bombardieren.

Muss das internationale Völkerrecht modifiziert werden, um wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen?
Das wäre ja wie wenn Verbrecher fordern, ändern wir die Gesetze, dann handeln wir legal? Nein. Entweder die internationale Gemeinschaft steht zum Völkerrecht und zur UN-Charta und sagt im aktuellen Fall, dass hier gegen das Völkerrecht verstoßen wird – oder die Glaubwürdigkeit des Westens nimmt weiter Schaden.

Bei aller Sympathie in Deutschland für Israel und der Staatsräson sage ich ja nicht einmal, dass man die Angriffe von Israel und den USA unbedingt verurteilen müsse. Aber man sollte zumindest auf den Völkerrechtsverstoß hinweisen, anstatt dankbar von „Drecksarbeit“ in unserem Interesse zu fabulieren. Es geht um die Glaubwürdigkeit einer regelbasierten internationalen Ordnung. Wenn man jetzt nicht mit dem Völkerrecht argumentiert, unterstützt man seine bedenkliche Erosion.

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