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Trauer in Magdeburg

© imago/Eibner/IMAGO/Eibner-Pressefoto/Lars Neumann

Allein gelassen mit Neonazis: Wie die Polizei in Magdeburg Journalisten grob gefährdete

Anstatt die Pressevertreter vor Rechtsextremen zu schützen, ließ die Polizei sie im Stich. Ein erschreckender Einblick in Magdeburger Verhältnisse.

Sebastian Leber
Eine Kolumne von Sebastian Leber

Stand:

Stellen Sie sich vor, Sie sind Journalist und sollen über den Verlauf einer rechtsradikalen Demonstration berichten. Die Polizei hat Ihnen extra einen Platz zugewiesen, an dem Sie sich bitte aufhalten müssen. Doch plötzlich rennen die anwesenden Beamten, die Sie eigentlich beschützen sollen, einfach weg und lassen Sie alleine zurück – umzingelt von militanten Rechtsextremisten.

Genau dies ist Samstagabend vorvergangener Woche in Magdeburg passiert, einen Tag nach dem Anschlag auf den dortigen Weihnachtsmarkt.

Um nicht von der Terrortat und dem Leid der Opfer abzulenken, wollte ich zunächst ein paar Tage verstreichen lassen, bevor ich über diesen krassen Fall von Polizeiversagen berichte. An jenem Abend hat die Magdeburger Polizei die Presse im Stich gelassen und dabei die körperliche Unversehrtheit von Journalisten gefährdet. Und das Schlimmste: Dieses Verhalten ist wohl leider symptomatisch.

Dass die Situation brenzlig werden könnte, wusste die Einsatzleitung der Polizei genau. Den ganzen Sonnabend über hatten gewaltbereite Rechtsradikale nach Magdeburg mobilisiert. Darunter Neonazis, AfD-Sympathisanten und Anhänger der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ sowie ihrer Jugendorganisation „Junge Nationalisten“.

Extremisten, die die Bundesrepublik und die Presse hassen

Viele von ihnen hofften auf ein neues Chemnitz, also rechte Massenproteste, denen sich Teile der örtlichen Bevölkerung anschließen würden. Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt sollte instrumentalisiert werden, obwohl längst klar war, dass es sich beim Täter eben nicht um einen Islamisten, sondern im Gegenteil um einen Islamhasser und AfD-Sympathisanten handelte.

Die Rechtsradikalen sammelten sich ab 18 Uhr an einem Platz südöstlich des Hauptbahnhofs. Gegenprotest gab es zunächst kaum. Wo man hinsah, standen gewaltbereite, teils vermummte Neonazis herum. Typen, die im Zweifel tatsächlich zuschlagen. Die teilweise Kampfsport trainieren und bereits wegen Kapitaldelikten verurteilt wurden. Extremisten, die die Bundesrepublik und deren Pressevertreter hassen.

In einer solchen Situation ist unabhängige Berichterstattung nur dann möglich, wenn die Polizei ihrer Pflicht nachkommt und Übergriffe auf die Presse verhindert. In einem Rechtsstaat wie unserem ist dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nicht so leider in Magdeburg.

In Gegenwart der Polizei wären wir sicher, hofften wir

Gemeinsam mit Kollegen anderer großer Medienhäuser sprach ich auf dem Platz einen Polizisten an und bat ihn um Schutz vor möglichen körperlichen Attacken. Er bejahte dies, bat uns jedoch eindringlich, im „Nahbereich“ seiner Einheit zu bleiben, denn die „Kräftelage“ der Polizei vor Ort sei „dünn“.

Eine Viertelstunde später änderte der Polizist seine Meinung plötzlich und forderte uns nun auf, seinen „Nahbereich“ zu verlassen. Stattdessen wies er die Pressevertreter an, sich an eine vorgegebene Stelle auf der östlichen Seite des Platzes zu begeben und von dort zu berichten.

Dem kamen wir nach. Zwar warteten auch dort überall Rechtsextreme, doch zumindest waren sechs Polizeibeamte vor Ort. In deren Gegenwart wären wir sicher, hofften wir.

Dies stellte sich bald als Fehleinschätzung heraus. Denn nach einigen Minuten rannten die Beamten unvermittelt davon und ließen die Journalisten im Stich.

In Berlin wäre derartiges Polizeiversagen kaum möglich

Die Polizei weist Pressevertretern also einen Platz mitten unter Neonazis zu und lässt sie anschließend allein zurück. Das nennt man: zum Fraß vorwerfen.

In Berlin wäre ein derartiges Polizeiversagen kaum möglich. Dort wissen Einsatzleiter, dass Journalisten im Rechtsstaat vor körperlichen Übergriffen geschützt werden müssen, und handeln auch entsprechend.

Dass ich selbst an diesem Abend nicht attackiert wurde, habe ich übrigens nicht der Polizei zu verdanken, sondern einer kleinen Gruppe Magdeburger AntifaschistInnen, die vor Ort war, um gegen den Aufmarsch der Rechtsextremen zu protestieren. In meiner Notlage ging ich direkt auf diese Menschen zu, erläuterte ihnen das Verhalten der Polizei sowie unsere Lage und fragte, ob sie bereit seien, mich und mehrere andere Vertreter bürgerlicher Medien zu beschützen. Sie waren es. Somit konnten wir uns in ihre Mitte stellen und von dort weiter unserer Arbeit nachgehen.

Man muss sich das klarmachen: Die Aufgabe der Polizei, freie Berichterstattung zu ermöglichen, wurde in Magdeburg an diesem Abend nicht vom Staat geleistet, sondern von zumeist jungen Frauen und Männern, die sich antifaschistisch engagieren.

Vermummte wurden nicht von der Polizei behelligt

Andere Pressevertreter hatten nicht so viel Glück wie wir. Es gab zahlreiche Angriffe. Einem Fotografen wurde das Smartphone aus der Hand geschlagen. Beamte sahen es, griffen jedoch nicht ein. Die Neonazis spielten mit dem Gerät anschließend Fußball, auch hier reagierte kein Polizist.

Die Beamten unternahmen auch nichts gegen „Ausländer raus“-Rufe oder dagegen, dass Teile der Rechtsextremen vermummt blieben. Selbst dann nicht, als diese Vermummten direkt neben ihnen standen. Immer wieder mussten sich Journalisten von Rechtsextremen beleidigen und bedrohen lassen. Der Fotograf, dessen Smartphone zerschmettert wurde, sagt: „Als Journalist warst Du komplett auf Dich allein gestellt.“

Der Journalist Tim Mönch, der an diesem Abend ebenfalls vom Hasselbachplatz berichtete, beschreibt die Polizeiarbeit als „katastrophal“. Er sagt, die Einsatzkräfte hätten mit deutlich mehr Kräften vor Ort sein müssen und seien trotz der massiven Mobilisierung der Rechtsextremen schlecht vorbereitet gewesen: „Dass die völlig unterbesetzte Polizei nicht überrannt wurde und nicht deutlich mehr Menschen angegriffen wurden, war mehr Glück als Verstand.“

Die Pressestelle der Polizei schweigt sich aus

Ich möchte nicht unterstellen, dass das Verhalten der Magdeburger Polizei mutwillig erfolgte. Eher ist das Erlebte Beleg dafür, wie sehr die Gefahr des Rechtsextremismus in Teilen der Bundesrepublik noch immer nicht ernst genommen wird. Ich fürchte, es ist leider auch ein übler Vorgeschmack auf manches, was uns noch bevorsteht.

Bezeichnend fällt dann auch die Krisenkommunikation der Polizeiinspektion Magdeburg aus. Eine Anfrage des Tagesspiegels, ob die Polizei an diesem Abend mit ausreichend Kräften vor Ort war, mag die Pressestelle nicht beantworten, da man grundsätzlich „keine Angaben zu Einsatztaktik bzw. Einsatzstärken“ mache.

Und was ist mit den Attacken auf Journalisten sowie das Davonrennen der Beamten, die eigentlich Pressevertreter schützen sollten? Diese Sachverhalte seien der Magdeburger Polizei nicht bekannt, erklärt die Pressestelle.

Nun ist es leider so, dass die Aggressionen gegen Migranten in Magdeburg seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt zugenommen haben. Ich habe Sorge, dass die Polizei hier ähnliche Prioritäten setzt wie am Abend der Proteste.

Auf Anfrage des Tagesspiegels spricht die Inspektion von bislang vier Körperverletzungen gegen migrantisch wahrgenommene Personen, in zwei Fällen habe man die Tatverdächtigen identifizieren können.

Heike Kleffner, die Geschäftsführerin des „Bundesverbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, geht von deutlich höheren Zahlen aus. Sie sagt: „Aus der Erfahrung der letzten Jahre müssen wir davon ausgehen, dass die Zahlen der von der Polizei registrierten Angriffe nur einen Ausschnitt der rassistischen und rechten Bedrohungen und Angriffe widerspiegeln, die insbesondere Menschen of Color in Magdeburg seit dem fürchterlichen Anschlag erlebt haben.“

Im statistischen Durchschnitt habe die Mobile Opferberatung in Magdeburg in den vergangenen Jahren mindestens einen rechts, rassistisch oder antisemitisch motivierten Angriff pro Woche registriert. Seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am 20. Dezember beobachte man „eine Eskalation von Rassismus und rechten Bedrohungen in Folge der Instrumentalisierung des Terroranschlags durch die extreme Rechte und die AfD – sowohl in Magdeburg als auch darüber hinaus.“

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