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Wieder einmal ist eine Bundesregierung vor der deutschen Alkohollobby eingeknickt.

© Getty Images/iStockphoto/Anatolii Frolov

Gesetzesvorhaben stillschweigend begraben: Die ungesunde Macht der deutschen Alkohollobby

Wieder einmal ist eine Bundesregierung vor der deutschen Alkohollobby eingeknickt. Das hat in Deutschland System – und kostet Menschenleben.

Sebastian Leber
Eine Kolumne von Sebastian Leber

Stand:

Der Plan, auf den sich Sozialdemokraten, Grüne und Liberale vor drei Jahren einigten, klang logisch und überfällig: Die Ampelparteien wollten die Regelungen für das Marketing und das Sponsoring der Alkoholindustrie verschärfen. Der Handlungsbedarf war offensichtlich, schließlich sterben jedes Jahr rund 74.000 Deutsche an den Folgen des Konsums. 1,6 Millionen Deutsche sind abhängig. Der Schaden für die Volkswirtschaft liegt bei jährlich 57 Milliarden Euro.

Während andere Staaten auf das Drängen von Suchtexperten hören und die Verfügbarkeit sowie Erschwinglichkeit von Alkohol einschränken, scheint ein solcher Schritt im Hochkonsumland Deutschland unvorstellbar. Doch zumindest beim Bewerben der Produkte werde man nun ansetzen, hieß es zu Beginn der Legislatur.

Ich fand dieses Vorhaben sinn- und auch maßvoll. Ich glaubte tatsächlich, ein solches Gesetz ließe sich zeitnah implementieren, zumal es ja nicht einmal haushaltsrelevant wäre. Gleichzeitig wunderte ich mich über langjährige Beobachter, die schon damals unkten: Das bekommt die neue Bundesregierung niemals hin. Viel zu mächtig sei die deutsche Alkohollobby.

Die Experten sollten recht behalten. Die Ampelregierung hat weder das Marketing noch das Sponsoring verschärft noch sonst irgendeine nennenswerte Regulierungsanstrengung unternommen.

Mit dem vorzeitigen Koalitionsbruch hat das Ganze allerdings nichts zu tun. Die Ampelpartner hatten ihre Gesetzesambitionen schon lange vorher stillschweigend beerdigt. Ihr Versagen ist ein weiterer Beleg für die Macht der Lobby und auch die Bereitschaft der Parteien, sich dem Druck zu beugen.

Dass es schwierig werden würde, deutete sich schon im Sommer 2023 an. Damals hatten meine Kollegin Katja Demirci und ich zu der Frage recherchiert, warum der Alkohol die Bundesrepublik Deutschland so fest im Griff hat. Den ausführlichen Report können Sie hier nachlesen.

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Im Rahmen der Recherche fanden wir heraus, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt, also mehr als anderthalb Jahre nach Legislaturbeginn, noch kein Ministerium an einen Referentenentwurf für ein solches Gesetz gewagt hatte oder diesen auch nur plante. Im Gegenteil: Sämtliche infrage kommenden Ministerien erklärten, hierfür „nicht federführend“ oder gänzlich unzuständig zu sein. Presseanfragen solle man deshalb doch bitte an andere Ministerien stellen.

Das Wirtschaftsministerium verwies auf das Gesundheitsministerium. Das Gesundheitsministerium hielt das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für federführend. Letzteres antwortete nebulös, verschiedene Ministerien arbeiteten „gemeinsam und in individueller Zuständigkeit“ an der Umsetzung des Koalitionsvertrags. Auf Nachfrage, was das BMEL denn selbst bislang dafür getan habe, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Regelverschärfung in die Wege geleitet wird, schwieg es komplett.

Ein Jahr später habe ich erneut nachgefragt. Dieses Mal stellte sich heraus, dass die Frage der Federführung inzwischen offensichtlich hinfällig war, da sowieso niemand mehr Interesse daran hatte, das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Wie konnte das passieren?

Grundsätzlich ist Lobbyismus in einer parlamentarischen Demokratie nichts Anrüchiges, sondern legitim. Jede Gruppe einer Gesellschaft muss das Recht haben, Volksvertreter auf ihre speziellen Interessen hinzuweisen. Problematisch wird Lobbyismus jedoch, wenn er im Geheimen abläuft und Einflussnahmeversuche aktiv verschleiert werden.

Mehrere Anfragen des Tagesspiegels an den mächtigen Lobbyverband „Deutscher Brauer-Bund“, unter anderem zur dortigen Spendenpraxis an Parteien oder mögliche Zuwendungen an Politiker, beantwortet dieser nicht.

Die Chance, das Marketing der Alkoholindustrie zu regulieren und damit Menschenleben zu retten, scheint dauerhaft vergeben.

Sebastian Leber, Tagesspiegel-Kolumnist

Klar ist, dass sich Spitzenpolitiker immer wieder für Marketingaktionen dieses Verbands hergeben. Zum Beispiel Cem Özdemir, zufällig der aktuelle Ernährungsminister, der ohnehin gute Kontakte zur Alkohollobby pflegt. Vom „Deutschen Brauer-Bund“ ließ er sich einmal zum „Botschafter des Bieres“ küren. Özdemir feiert auch gern mit der Lobbygruppe, so war er Ehrengast bei der Krönung des „Bierbotschafters 2023“ (oh Wunder ein weiterer hochrangiger Politiker der Ampelregierung, nämlich Johannes Vogel, FDP-Parteivize und Erster Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Bundestagsfraktion).

Auf Tagesspiegel-Anfrage, welche Kontakte das Ernährungsministerium zu Lobbyverbänden wie dem Deutschen Brauer-Bund, dem Deutschen Weinbauverband oder dem Deutschen Weininstitut unterhält und ob dabei die geplante Verschärfung der Regeln für Marketing und Sponsoring Thema war, antwortet ein Sprecher, es gebe zwar Kontakte, man könne aber keine Informationen über die „Häufigkeit oder Inhalte dieses Austausches“ geben. Diese könnten auch nicht „mit zumutbarem Aufwand vollständig und verlässlich in Erfahrung gebracht werden“, weswegen man lieber gar nichts dazu sagen wolle.

Auf Nachfrage listet der Sprecher dann zumindest einige Termine des Ministers auf, die ohnehin öffentlich waren: ein Gespräch mit mehreren Verbänden über die „Zukunft der Weinwirtschaft“, Überreichung von „Bundesehrenpreisen für besondere Bierqualität“, Teilnahme an Feiern der Lobbyisten.

Die Chance, das Marketing der Alkoholindustrie zu regulieren und damit Menschenleben zu retten, scheint dauerhaft vergeben. Die kommende Bundesregierung wird sich ein derartiges Vorhaben ganz sicher nicht in den Koalitionsvertrag schreiben, schon gar nicht unter Beteiligung der Union.

Die deutsche Alkohollobby hat ein weiteres Mal gewonnen. Neuester Bierbotschafter des Deutschen Brauer-Bunds ist übrigens CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.

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