
© AFP/JOHN MACDOUGALL
Innenausschuss zu Magdeburg: Warnungen vor dem Attentäter „nicht gut genug addiert“?
Was lief schief bei Behörden vor dem Anschlag? Politiker kritisieren im Innenausschusses den Informationsaustausch sowie das Sicherheitskonzept für den Weihnachtsmarkt.
Stand:
Lag im Fall des Attentäters von Magdeburg ein Behördenversagen vor? Wie konnte es passieren, dass der Amokfahrer Taleb A. vier Tage vor Weihnachten auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt fünf Menschen tötete, obwohl er zuvor schon bei den Behörden auffällig geworden war? Mit diesen Fragen befasste sich der Innenausschuss des Bundestages am Montag.
Wegen der großen Zahl der Teilnehmenden wurde die Sondersitzung des Ausschusses in den größeren Europasaal des Paul-Löbe-Hauses verlegt. Denn zu den Eingeladenen gehörte nicht nur Innenministerin Nancy Faeser (SPD), sondern gleich mehrere Behördenvertreter wie den BND-Präsident Bruno Kahl, Bundespolizeipräsident Dieter Romann und Verfassungsschutz-Vizepräsident Sinan Selen.
Deutsche Behörden hatten vor dem Anschlag von Magdeburg zahlreiche Hinweise auf den mutmaßlichen Täter. Das berichteten mehrere Bundestagsabgeordnete am Montag nach der Sondersitzung des Innenausschusses zur Aufarbeitung des Anschlags.
In der Sitzung sei „ganz klar zum Ausdruck gekommen: Die Behörden in Bund und Ländern kannten diesen Täter“, sagte etwa der FDP-Politiker Konstantin Kuhle. Es habe „auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedlichste Kontakte“ zwischen ihm und den Behörden gegeben. Er selbst habe Strafanzeigen gestellt, gegen ihn seien Strafverfahren geführt worden und es habe „Gefährdungs-Sachverhalte“ gegeben.
Nach Angaben des Bundestags konfrontierte die Polizei in Sachsen-Anhalt den Mann zuletzt im Oktober mit einer sogenannten Gefährderansprache.
Von insgesamt 80 Hinweisen, die teils doppelt erfasst worden seien, sprach Sebastian Hartmann (SPD). In der Sitzung sei über Hinweise aus Saudi-Arabien gesprochen worden. Zwar seien Daten aus dem internationalen Raum und vom Bund an die Länder weitergeleitet worden. „Aber warum ist außer Gefährderansprachen nichts erfolgt?“ fragte Hartmann. Die Hinweise seien bis zur Tat nicht zusammengeführt worden, kritisierte Alexander Throm (CDU).
Der spätere Attentäter Taleb A. war erstmals 2006 nach Deutschland eingereist, 2016 wurde er als Flüchtling anerkannt. Im Fall des Mannes, der vor der Tat in Magdeburg in den sozialen Netzwerken als AfD-Sympathisant und Islamkritiker mit zahlreichen hasserfüllten Posts auffiel, hatte Saudi-Arabien Berichten zufolge deutsche Sicherheitsbehörden 2023 und 2024 vor einer möglichen Gefährdung gewarnt.
Zu denen, die am Montag die Vorgeschichte des Anschlags mitsamt der Behördenkontakte von Taleb A. in drei Bundesländern zu vervollständigen suchten, gehörte auch BKA-Chef Holger Münch. Münchs Behörde wurde im Februar 2015 von Vertretern des Landes Mecklenburg-Vorpommern über mögliche Anschlagsabsichten des heute 50-Jährigen informiert.
Das geschah über das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum, das von Bund und Ländern getragen wird. Dennoch kam das BKA im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass von Taleb A. keine konkrete Gefahr ausgehe. Auch das Landeskriminalamt in Sachsen-Anhalt als federführende Behörde konnte keine Gefährdung durch den Mann erkennen.

© picture alliance/dpa/Marijan Murat
Der Vize-Vorsitzende des Innenausschusses, Lars Castellucci (SPD), der die Sitzung am Montag leitete, sagte, dass es bei dem Sondertreffen nicht um Schuldzuweisungen gehe. Allerdings gehe es dem Innenausschuss auch um maximale Aufklärung und eine „Fehlerkultur bei den Behörden“, sagte Castellucci dem Tagesspiegel vor der Sitzung weiter.
So stellten nicht nur die Mängel im Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarktes eine „zentrale Frage“ für den Ausschuss dar, so Castellucci. Auch schon im weiteren Vorfeld des Attentats dränge sich der Eindruck auf, dass die über Taleb A. verstreut vorliegenden Behördeninformationen „nicht gut genug addiert worden sind“, sagte der SPD-Politiker weiter.

© dpa/Kay Nietfeld
Der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz zog derweil eine Parallele zwischen dem Attentat von Magdeburg und dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz von 2016. Vor beiden Anschlägen war der Täter den Behörden bekannt, in beiden Fällen gab es Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten, sagte von Notz.
Es gehe darum, das Zusammenspiel der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern so zu gestalten, „dass solche Taten künftig verhindert werden können“, sagte der Grünen-Politiker. Es dürfe sich zudem nicht wiederholen, dass wie nach dem Attentat auf dem Breitscheidplatz „niemand politisch die Verantwortung“ übernehme, forderte er.
Faeser will „die richtigen Schlüsse ziehen“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sicherte nach der Sondersitzung weitere Aufklärung zu. „Hier wird jeder Stein umgedreht“, versicherte Faeser. Anschließend müssten daraus „die richtigen Schlüsse gezogen werden“.
Als ein Kernproblem nannten Faeser wie auch Sprecher verschiedener Fraktionen, dass der Täter von Magdeburg keiner üblichen Gefährderkategorie wie Islamist, Rechts- oder Linksextremist habe zugeordnet werden können. „Der Täter passt in kein bisheriges Raster“, sagte die Ministerin. Wohl aber habe es diverse Hinweise auf eine gestörte Psyche gegeben.
Es müsse nun beraten werden, „wie solche Hinweise künftig bewertet und beachtet werden“, sagte die Ministerin. Allerdings sei es „noch viel zu früh, um Schlussfolgerungen zu ziehen“. Als Beispiel für einen Lösungsansatz nannte Faeser Fallkonferenzen beteiligter Behörden.
Weiter sagte Faeser, dass viele Fragen nur vor Ort in Sachsen-Anhalt beantwortet werden könnten. Die Ermittlungen lägen weiter bei der Generalstaatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt und beim dortigen Landeskriminalamt, sagte sie.
Mangelndes Sicherheitskonzept?
Unterdessen geriet das mangelnde Sicherheitskonzept vor Ort in Magdeburg weiter in den Fokus. Der Amokfahrer war am 20. Dezember durch eine Lücke zwischen einer Betonblocksperre und einer Fußgängerampel mit seinem Mietwagen auf den Weihnachtsmarkt gelangt.
Nach einem Bericht der „Volksstimme“ aus Magdeburg soll der Veranstalter des Weihnachtsmarkts die örtliche Polizei bereits im November auf Sicherheitslücken aufmerksam gemacht haben. Demnach habe die Weihnachtsmärkte GmbH moniert, dass Mannschaftswagen der Polizei nicht an der vorgesehenen Position gestanden hätten.

© dpa/Bernd von Jutrczenka
In der Frage, in wie weit das Sicherheitskonzept für den Weihnachtsmarkt ausreichend war und ob es eingehalten wurde, steht insbesondere Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) unter Druck, die am Montag ebenfalls vor dem Innenausschuss erschien. Angesichts von Zieschangs Rolle im Vorfeld des Magdeburger Attentats erklärte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im Deutschlandfunk, er halte nichts von voreiligen Schuldzuweisungen. Es gehe nicht um Rücktrittsdebatten, sondern um eine Aufarbeitung.
Mit Blick auf Taleb A. sagte er, es sei ein Versäumnis, dass in Deutschland keine Raster für psychisch kranke Gewalttäter angelegt worden seien – anders als im Fall von Rechtsextremisten und Islamisten. „Da braucht es einen Austausch der Behörden untereinander“, sagte Linnemann.
Der Amokfahrer von Magdeburg verfügte über einen unbefristeten Aufenthaltstitel in Deutschland. Linnemann verlangte, dass nach einer zweiten, vorsätzlich begangenen Straftat das Aufenthaltsrecht zwingend erlöschen müsse.
Doch von derartigen Gesetzesverschärfungen wollen Vertreter der rot-grünen Minderheitsregierung nichts wissen. Eine Migrationsdebatte mit dem Anschlag von Magdeburg zu verknüpfen, sei „in höchstem Maße unanständig“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese.
- AfD
- Bundeskriminalamt
- Carsten Linnemann
- CDU
- FDP
- Mecklenburg-Vorpommern
- Nancy Faeser
- Sachsen-Anhalt
- Saudi-Arabien
- SPD
- Weihnachten
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false