zum Hauptinhalt
Augenschmaus. Austernteller im Steakhaus "The Grand" in Mitte.

© Mike Wolff

Austern essen in Berlin: Bitte nicht schlürfen

Die Appetithäppchen aus der Muschel sind wieder in Mode. Statt Champagner kann man dazu in Berlin auch mal ein Craft-Bier trinken.

Von

Austern essen – das ist ganz einfach, so lange man nicht drüber nachdenkt. Denn der Anfänger, der sich erstmals traut, schlürft das Meerwasser und schluckt den Rest. Und dann hat er das Thema entweder durch oder Lust auf mehr. Dabei fängt die Arbeit nun erst an. Denn das Ziel ist es, sich dem eigentlichen Geschmack der Auster zu nähern. Dazu muss der ganze Folklore-Kram weg, die Zitronenscheibe, der Schalottenessig, das Käse-Pumpernickel, und das Meerwasser erst recht. Dann bleiben nur noch zwei Dinge im Mund, der süßliche Schließmuskel und die salzige Muschel mit all ihren Teilen. Geschlürft wird nicht! Nur wer alles gut durchkaut, finden professionelle Verkoster, der kommt zum Erlebnis des vollen Geschmacks. Klingt streng, ist aber so.

Austern nur in den Monaten mit "r" - die Regel ist heute sinnlos

Auf dem Weg zu diesem Ziel muss auch allerhand geistiger Ballast weg. Austern nur in den Monaten mit "r"? Die Regel ist heute sinnlos. Sie geht vermutlich auf Zeiten zurück, in denen die Bestände wilder Austern an den Küsten bedenkenlos geplündert wurden – es wurde deshalb eine Art Schonzeit verhängt im Sommer, der Zeit der Vermehrung. Geholfen hat es wenig, gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren viele Bestände am Ende und wurden erst langsam durch die systematische Zucht ersetzt. Das Berlin der Zwanzigerjahre setzte fast so viel um wie Paris, und die Auster, die dem Menschen in grauer Vorzeit als schnöde Eiweißquelle gedient hatte, wurde zum Luxusymbol, heute Teil des Berliner Gourmet-Triathlons "KaDeWe-Champagner-Austern". Auch die Tatsache, dass die erfolgreichste deutsche Zucht im Wattenmeer vor Sylt ("Sylter Royal") stattfindet, mag zum Luxus- Image der Muschel beigetragen haben.

Wer allerdings nur 50 Kilometer nach Norden fährt, der kriegt Austern gratis, so viel er will. Denn dort, im dänischen Watt zwischen Römö und Fanö, liegen Millionen von pazifischen Austern einfach so auf dem Boden, die den Syltern (und wohl auch holländischen Züchtern) ausgebüxt sind. Sie haben dort die traditionellen Miesmuschelbänke verdrängt, und zudem überall die flachen europäischen Austern, die früher unter den Herkunftsnamen Belon, Limfjord oder Colchester berühmt waren. Fast alle, die wir heute in Deutschland kaufen können, sind pazifische Austern, zu erkennen an der stark ausgeprägten Wölbung nach unten.

Die mit Abstand meisten Austern produziert China

Die im deutschen Handel am meisten verbreitete französische Sorte sind die "Fines de Claire", pazifische Austern, die nach der eigentlichen "Ernte" noch einen Monat oder länger ("Speciales") im klaren Wasser der "Claires", spezieller Hälterbecken, verbracht haben. Eine Besonderheit, aber prinzipiell nichts anderes, sind die durch Algen grünlich schimmernden Austern aus Marennes nördlich von Bordeaux; auch der Fischerort Cancale in der Nordbretagne hat sich einen guten Namen gemacht. "Gillardeau" hingegen ist der Name eines Züchters auf der Ile d’Oleron, bekannt für besonders gute "Fines de Claire", die man bedenkenlos kaufen kann. Keine Illusionen: Die mit Abstand meisten Austern der Welt produziert China, allerdings werden sie dort fast ausschließlich gekocht verwendet.

Doch die Auster ist in Mode, wird auch in Berlin immer öfter angeboten. Sie eignet sich perfekt als kleines Appetithäppchen, weil sie mit der Schale den Teller schon eingebaut hat. Sie gibt sich problemlos den meisten Versuchen hin, sie kochtechnisch aufzupeppen, wobei allzu viel Säure vermieden werden sollte. Im Trend der Zeit liegen zweifellos Überlegungen, die stereotypen Weinbegleiter wie Muscadet oder Champagner durch Trendigeres zu ersetzen, Craft-Bier zum Beispiel. Der Düsseldorfer Austern-Experte Ralf Bos empfiehlt kategorisch süßen Sauternes-Wein. Ein weites Feld also für die neuen Weinbars mit ihren experimentierlustigen Wirten.

Austern essen in Berlin - ein gutes Dutzend Tipps

Austern auf Eis in der Fischtheke des "Funky Fisch" im Charlottenburg.

© Mike Wolff

1. Austernbank

Nomen est omen: Ob stückweise (zwischen 3,50 und fünf Euro) oder als Sahnehäubchen auf der „Plateau Fruits de Mer“, die Auswahl ist groß: Fines de Clair, Belon, Fines de Normandie und Wilde Sylter werden mit Pumpernickel, Kräuterbutter und Schalottenessig serviert. Wie in der benachbarten „Gendarmerie“ wird das beeindruckende Ambiente zwanghaft modernistisch ausgeleuchtet, was der statusbewussten Klientel aber zu gefallen scheint.
Mitte, Behrenstr. 42, Di-Sa ab 16 Uhr

2. Barra

Neue leger-sympathische Weinbar mit ambitionierter Küche: Klar, Naturweine stehen im Zentrum, die werden aber nicht offensiv, sondern sanft per Probierschlückchen angepriesen. Auch die Küche in schottischer Hand folgt mit kleinen Gerichten zum Teilen keinem Dogma, sondern verbindet den saisonalen Fokus mit Spezialitäten der britischen Insel, der aber die milden Gillardeau-Austern (vier Euro/ St.) nicht außen vor lässt.
Neukölln, Okerstr. 2, Di-Mo ab 18.30 Uhr

3. Frischeparadies

Wer solch eine Fischauslage besitzt, lässt sich auch bei Austern nicht lumpen: Die Frische ist außergewöhnlich, im Bistro gibt es immer Specials zu fairen Preisen, aktuell drei Fines de Normandie mit einem Glas Schampus für zwölf Euro (Filiale West) oder drei Fines de Claire mit gutem Cremant zum selben Preis (Filiale Ost).
Charlottenburg, Morsestr. 2, im Bistro Mo-Sa 11.30-15.30 Uhr; Prenzlauer Berg, Hermann-Blankenstein-Str. 48, im Bistro Di-Sa 11.30-15.30 Uhr

4. Funky Fisch

The Duc Ngos sagenhafte Fischbraterei im ehemaligen „Kant Café“ hat neben allem, was sich an Fisch und Krustentieren für Poke, Sashimi, oder Tempura eignet oder auf dem Grill zubereiten lässt, natürlich auch frische Austern im Angebot: Fines de Claire (3,50 Euro/ St.) oder Gillardeaux (5,50 Euro/ St.), apart serviert mit Zitrone, Pfeffer und Tabasco, dazu Brot – wer das unbedingt möchte.
Charlottenburg, Kantstr. 135-136, Di-Sa von 12-23 Uhr, Küchenpause 17-18 Uhr

5. Galeries Lafayette

Der „Fisch-Point“ in der Gourmetabteilung hat zwar den Charme eines Raststätten-Restaurants, aber die Austernauswahl erlaubt es, sich durch praktisch alle Sorten zu probieren. Vom 20. Februar bis 23. März gibt es zudem, wie jedes Jahr, die Aktion „Austern für alle“, bei der es die „Marennes Oléron N°3“ – Bio-Austern von „OK Oysters“ (siehe auch Nummer 8) – für ausgesprochen günstige 1,50 Euro gibt.
Mitte, Friedrichstr. 76-78, Fisch-Point Mo-Sa 12-19 Uhr, solange der Vorrat reicht

6. Grill Royal

Über den „Grill“ ist alles gesagt worden. Was stimmt, ist die Qualität, die mit Ex-„Les Solistes“-Küchenchef Roel Lintermans noch einen Satz nach oben gemacht hat. Dazu gehört auch die Wahl der Sorte Fines de Claire von Pléiade Poget (34 Euro/ 6 St.). Sie wachsen in verschiedenen Gewässern und Tiefen auf, was eine schöne Festfleischigkeit und gute Balance zwischen Süße und Salzigkeit garantiert.
Mitte, Friedrichstr. 105 b, tägl. ab 18 Uhr

7. KaDeWe

Die Mutter aller Austernbars in Berlin im sechsten Stock des KaDeWe ist immer noch erste Adresse, was die Breite des Angebots angeht: Von überbackenen Fines de Claire über französische, irische und schottische Felsaustern bis zu Limfjord Flachaustern (2,80 bis 7,50/ St., als gemischte Austernplatte 31 Euro/ 7 St.).
Schöneberg, Tauentzienstr. 21, Mo-Do u. Sa 12-20 Uhr, Fr 12-21 Uhr

8. OK Oysters

Die Bio-Fines de Claire des Produzenten aus Marennes-Oléron sind in der Berliner Gastronomie inzwischen gut vetreten, in der Weinbar Freundschaft (Mittelstr. 1, Mitte) zum Beispiel à la Rockefeller mit Kräutern und Semmelbröseln überbacken. Es gibt sie aber auch in der Eventreihe des „Oyster Klub“ zu probieren (nächster Termin am 28. Februar im „Geist im Glas“, Lenaustr. 27, Neukölln). Bei ihren Gastauftritten kommt das Brot von „Albatross“ (Graefestr. 66, Kreuzberg) zum Einsatz. Alle Termine und Vertriebsorte siehe Facebook „Oyster Klub“.

9. Rogacki

Tradition seit 1928: Die Räucheröfen sind seit den dreißger Jahren in Betrieb, das Markthallenambiente stammt aus den Siebzigern, aber was hier zählt, ist profundes Handwerk, und das ist zeitlos. Die Schlemmerecke ist ein Fixpunkt des alten West-Berlins, das Angebot ist groß und bodenständig. Drei Fines de Claire kosten mit Wein 12,50 Euro, mit Schampus 19,80 Euro. | Charlottenburg, Wilmersdorfer Str. 145-146, Schlemmerecke: Mo-Mi 10-17.30 Uhr, Do-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 10-15.30 Uhr

10. Seaside

Zeitgemäße Version eines Fischrestaurants: In der Vitrine liegt das Angebot von Oktopus bis Steinbutt appetitlich auf Eis drapiert aus, Fische und Krustentiere werden gegrillt, gezahlt (nicht wenig) wird nach Gewicht, gut gemachte Beilagen werden dazu bestellt. Es gibt Modernes wie Ceviche, Sashimi und Krabbenburger. Fines de Claire werden aber klassisch mit Schalotten Vinaigrette serviert (3 Euro/ St.).
Mitte, Mohrenstr. 17, Mo-Do 12-22, Fr 12-23, Sa 14-23, So 14-22 Uhr

11. The Grand

Mit Tilo Roth ist wieder ein echter Liebhaber hochwertiger Austern in die Küche des ambitionierten Steakhauses zurückgekehrt. Fines de Claire (2,90 Euro/St.) und Belon-Austern (5,60 Euro/St.) kommen mit klassischen Beilagen oder etwa mit Crevetten, Hummersalat und Jakobsmuschel-Ceviche in der beeindruckenden Meeres-Etagère (89 Euro). Das „The Grand“ bietet neben dem Grillangebot auch viel Vegetarisches, französische Klassiker und guten Lunch.
Mitte, Hirtenstr. 4, tägl. ab 12 Uhr

12. To the Bone

Ein Spezialist für norditalienische Fleischkultur, der auch mit klassischen Pasta- und Risottogerichten punkten kann. Das Interieur ist schick designt, eine Bar bildet das Zentrum. Hier werden nicht nur gute Negroni-Varianten gemischt, sondern auch eine ordentliche Bloody Mary. Die eignet sich hervorragend als Alternative zu klassischen Beilagen – eine neue Apéro-Idee, die Schule machen könnte (Austernangebot nach Marktlage, entsprechend variiert der Preis).
Mitte, Torstr. 96, Mo – Sa ab 18 Uhr

13. Vinum

Alteingesessener Weinspezialist, der in der Saison in seinem Ladengeschäft immer samstags hoch erfolgreich zum „Austernclub“ lädt. Eine Reservierung ist unumgänglich, und es kann schon vorkommen, dass der Austernvorrat vor Ende der Veranstaltung zu Neige geht. Alternativ gibt es kleine Speisen und: guten Wein!
Charlottenburg, Danckelmannstr. 29, Austernclub von Oktober bis April immer samstags 10.30-16 Uhr, Reservierung unter Tel. 322 66 19

14. Wagner

Das selbsterfundene „Cocktailbistro“ setzt auf handwerkliche Produkte und bietet Küche mit Anspruch. Der Fokus liegt hier aber mal nicht auf Naturwein – den gibt es auch –, sondern Cocktails, die auf die Gerichte abgestimmt sind. Es bleibt spannend, was zu den milden Gillardeau-Austern (4,50 Euro/St.) empfohlen wird.
Kreuzberg, Paul-Lincke-Ufer 22, Di-Do ab 18.30, Fr, Sa ab 12 Uhr

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false