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Max von Oppenheim in arabischer Kleidung.

© pa/Eventpress He

Gesponserte Gotteskrieger: Der deutsche Dschihad

Heute fürchtet sich der Westen vor islamischem Fanatismus. Vor 100 Jahren hofften die Deutschen darauf und förderten überall Gotteskrieger mit Geld, Waffen und Agenten.

Von Andreas Austilat

Werner Otto von Hentig war in einer schwierigen Lage. „Wie Schnee knirscht der Salzboden“, schrieb er in sein Tagebuch. Die Füße brachen immer wieder durch die dünne Scholle. Das Salz, „es dringt in die Haut, verkrustet leise Hände und Gesicht und bildet unter den Wirkungen der Tagessonne blutige Wunden an den Lippen“.

Keine Frage, der Juli, es mochte der 5. oder 6. im Jahre 1915 gewesen sein, war kein guter Monat, um die große iranische Salzwüste zu durchqueren. Aber Hentig, 29 Jahre alt, Diplomat des deutschen Kaisers, musste weiter nach Kabul. Sein Auftrag: den Dschihad, den Heiligen Krieg aller Muslime, nach Afghanistan und besser noch nach Indien zu tragen.

100 Jahre bevor wieder deutsche Staatsbürger im Namen eines obskuren islamischen Staats in den Heiligen Krieg ziehen, war Hentig also in einer ganz ähnlichen Mission unterwegs.

Hentig allerdings handelte im Auftrag der deutschen Regierung. Daran hatte sein oberster Vorgesetzter, Kaiser Wilhelm II., im Juli 1914, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, keinen Zweifel gelassen: „Unsere Consuln in Türkei und Indien, Agenten etc. müssen die ganze mohammedanische Welt gegen dieses verhasste, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden Aufstand entflammen.“

Das Krämervolk, das waren die Briten, und Hentigs Operation war nur ein Mosaikstein in einem weltumspannenden Plan, mit dem man das britische Empire zum Einsturz bringen wollte. Mindestens. In der Ausführung wirkte der freilich so, als hätte Karl May die Feder geführt. Während Hentig sich durch die Salzwüste quälte, bombten deutsche Agenten gegen britische Öl-Pipelines am Persischen Golf, versorgten deutsche U-Boote an der libyschen Küste Krieger der islamistischen Senussi-Bruderschaft mit Waffen und guten Ratschlägen.

Wilhelm II. umgarnte die Muslime

Die Idee für solche Aktivitäten entstand nicht erst unter dem Eindruck des Krieges. Schon auf seiner Orientreise 1898 in Damaskus verkündete Wilhelm II. öffentlich: „Mögen die 300 Millionen Mohammedaner, welche auf der Erde zerstreut leben, dessen versichert sein, dass zu allen Zeiten der deutsche Kaiser ihr Freund sein wird.“

Mit seiner Rede hatte Majestät in Europa für Unruhe gesorgt, galten doch Mohammedaner als überaus gefährlich. Vor allem in Großbritannien, wo die Erinnerung an den Mahdi-Aufstand noch frisch war, und an Gouverneur Gordon, dessen Kopf unter dem grünen Banner des Propheten auf einer Stange durch Khartum getragen wurde. Seitdem war der vermeintliche islamische Fanatismus im Westen ein gefürchtetes Menetekel.

Anders in Deutschland. Dort hatten die kolonialen Ambitionen in der muslimischen Welt eine untergeordnete Rolle gespielt – wohl weniger aus Einsicht, denn aus Mangel an Möglichkeiten. Das Kulturbürgertum stand seit Goethes Lob der persischen Dichtung im „West-östlichen Divan“ dem Orient mit romantisch verklärter Neugier sogar ausgesprochen gewogen gegenüber.

Bei Ausbruch des Krieges sagte Helmuth von Moltke, Chef des deutschen Generalstabs, nun komme es darauf an, „den Fanatismus des Islam zu erregen“.

Die Rechnung war ganz einfach: Von den 300 Millionen Muslimen, die es 1914 weltweit ungefähr gab, waren 100 Millionen britische Untertanen, jeweils weitere 20 Millionen unterstanden französischer und russischer Herrschaft. Würden die sich erheben, hätten Deutschlands Gegner mächtige Probleme.

Hadschi Wilhelm, wie der Kaiser im Orient auch genannt wurde, konnte keinen Dschihad ausrufen. Das konnte nur der Kalif, Nachgesandter Gottes und Führer der islamischen Gemeinschaft. Doch anders als heute, da Abu Bakr al-Baghdadi sich als Kalif des islamischen Staats bezeichnet, während er und sein Terrorregime von der überwältigenden Mehrheit der islamischen Gläubigen abgelehnt werden, gab es damals jemanden, der diesen Titel rechtmäßig führte: den Sultan des Osmanischen Reiches.

Der Sultan ließ sich nach anfänglichem Zögern auf die Seite der Deutschen ziehen. Am 14. November 1914 verkündete er in einem feierlichen Akt, bei dem das Banner des Propheten entrollt wurde, den Dschihad, den Krieg aller gehorsamen Diener Gottes gegen die Ungläubigen – mit Ausnahme der Deutschen natürlich. Allerdings erwiesen sich die Muslime als nicht so fanatisch, wie man sich in Berlin erhofft hatte. Das war die Stunde des Max von Oppenheim.

Oppenheim entstammte der gleichnamigen vermögenden Kölner Bankiersfamilie. Gut ein Drittel seiner 54 Lebensjahre hatte er im Orient verbracht, so als Archäologe in Syrien. Seine Funde liegen heute im Magazin des Berliner Pergamonmuseums. Wenn dessen Sanierung einmal fertig ist, werden sie dort das Vorderasiatische Museum schmücken.

Oppenheim hatte allein 13 Jahre in Kairo gelebt, damals ein Zentrum der panislamischen Bewegung, deren Köpfe von einer Modernisierung und Reformierung des Islam träumten. Der Panislamismus, so sein Kalkül, würde sich als politisch-religiöse Sammlungsbewegung dem zunehmenden Druck vor allem der Briten auf den ganzen Mittleren Osten entgegenstellen. Doch er überschätzte die Größe der panislamischen Bewegung, die über die intellektuellen arabischen Zirkel, in denen er sich bewegte, kaum hinausreichte.

Kurz nach Kriegsausbruch legte Oppenheim in Berlin eine 135-seitige „Denkschrift zur Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“ vor. Die Idee hatte er nicht exklusiv. Es gab auch noch ganz andere Pläne zur Unterwanderung des Gegners, etwa den, in Russland einen Umsturz durch Einschleusung von Revolutionären, darunter ein Herr Lenin, herbeizuführen. Aber Oppenheim, dem nicht zuletzt wegen des antisemitischen Dünkels im Auswärtigen Amt lange die erhoffte diplomatische Karriere versagt geblieben war, fand jetzt Gehör. Auf sein Betreiben wurde in Berlin die „Zentralstelle für den Orient“ gegründet.

Deren Aufgabe war zunächst die Herstellung von Druckschriften. Und als die ersten muslimischen Gefangenen gemacht wurden, Pakistani und Nordafrikaner, die aufseiten der Briten und Franzosen kämpften, wurden 1915 eigens für sie zwei Lager eingerichtet, eines davon bei Zossen, südlich von Berlin. Die Gefangenen waren gut zu behandeln. Wer sich dem deutschen Dschihad anschloss, war frei. Von 4000 folgten dem Ruf nur 800.

Der Deutsche verfasste ein Terrorhandbuch

Oskar von Niedermayer, getarnt als persischer Kaufmann.
Oskar von Niedermayer, getarnt als persischer Kaufmann.

© Archiv Gerd M.Schulz

Man müsse „möglichst viele kleine Putsche, Attentate etc. initiieren, ganz gleichgültig, ob sie gelingen oder nicht“, schrieb Oppenheim, als verfasse er ein Terrorhandbuch. Und so wurden deutsche Agenten ausgesandt, den Dschihad in die islamische Welt zu tragen. Die folgenden drei Missionen in Libyen, Iran und Afghanistan stehen stellvertretend für weitere.

Paul Wolff von Todenwarth fiel eine ambitionierte Aufgabe auf der anderen Seite des Mittelmeeres zu. Der Kavallerieleutnant hatte seine Hartnäckigkeit dadurch unter Beweis gestellt, dass ihm die Flucht aus sibirischer Gefangenschaft nach China gelungen war. Nun sollte er eine Attacke auf den Suezkanal auslösen, die Lebensader des britischen Empires.

Er wurde 1916 von einem deutschen U-Boot im Westen an der libyschen Küste ausgesetzt. Im Gepäck hatte er Waffen, Geschenke und eine Funkstation. Damit sollte er die islamische Senussi-Bruderschaft auf Kurs gegen Italiener und Briten bringen. Ein Vorgänger mit dem gleichen Auftrag war von Banditen ermordet worden. Todenwarth hatte mehr Glück, seine Guerillatruppe beschäftigte Briten und Italiener eine ganze Weile. Die U-Boote, die Nachschub brachten, nahmen im Gegenzug ein paar Fettschwanzschafe und ein Reitkamel mit – Geschenke der Beduinen. Todenwarth führte seinen Kleinkrieg bis 1919, dann begriff auch er, dass der Krieg aus war, und ergab sich den Alliierten. Den Suezkanal bekam er nicht zu sehen.

Einen langen Weg hatte auch Wilhelm Waßmuß zu gehen. Vor dem Krieg war er Vizekonsul in Südpersien gewesen, dorthin wurde er nun wieder entsandt. Es gelang ihm, eine Guerillatruppe aufzustellen und Straßenverbindungen zu unterbrechen. Die Briten, die sich anschickten, das eigentlich neutrale und ölreiche Persien unter sich und den Russen aufzuteilen, tauften ihn den „deutschen Lawrence“ – nach Thomas E. Lawrence, der die arabischen Stämme in den Dschihad gegen die Osmanen führte. Dabei war Waßmuß’ Lage schon bald verzweifelt. Die deutschen Hoffnungen, ganz Persien würde auf ihrer Seite in den Krieg eintreten, erfüllten sich nicht. Immerhin gewährten dem inzwischen mittellosen Waßmuß zwei Stammesfürsten Kredit. Der erkannte realistisch, „sie mögen uns, weil sie die Briten hassen“.

Die Folgen waren für die Stammesfürsten fürchterlich. Ihre Dörfer wurden von den Briten verwüstet, der eine ermordet, der andere starb in der Verbannung. Waßmuß schrieb: „Ohne mein Kommen wäre hier kein Krieg ausgebrochen.“ Er versuchte, den Schaden wiedergutzumachen, indem er 1924 eine Musterfarm in Südpersien aufbaute, deren Erlös den Nachfahren seiner einstigen Verbündeten zukommen sollte. Er blieb erfolglos und starb 1931, ein halbes Jahr nach der Rückkehr nach Deutschland, an einem Herzinfarkt.

Im Osten war Kabul das Ziel von gleich zwei Expeditionen. Die erste führte der bayrische Rittmeister Oskar von Niedermayer zunächst bis Teheran. Dort verwendete er allen Ehrgeiz darauf, ein antibritisches Agentennetz aufzuziehen. Im Mittelpunkt stand die kaiserliche Apotheke, Botschaften wurden als Rezepte getarnt. Erst das Eintreffen Werner Otto von Hentigs erinnerte die Beteiligten wieder an den ursprünglichen Plan.

Hentig und Niedermayer stritten fortan, wer von beiden die Expedition eigentlich führte. Weshalb sie jeder für sich mit kleinem Gefolge die persische Salzwüste durchquerten und erst danach beschlossen, den Weg gemeinsam fortzusetzen. Im September 1915 trafen sie tatsächlich in Kabul ein, versuchten, immer noch zerstritten, den Emir zu einem Abkommen zu bewegen. Der Emir möge bitte Britisch-Indien angreifen.

Hentig und Niedermayer verhandelten monatelang, der Emir verlangte 100 000 deutsche Soldaten, die beiden versprachen 10 000, außerdem Geld. Der Emir erkundigte sich heimlich, was denn Briten und Russen böten. Immerhin, schließlich unterzeichnete er im Januar ein Abkommen. Im Mai schwante den beiden, dass keine 10 000 Soldaten kommen würden. Stattdessen mussten sie fürchten, in britische Hände zu fallen.

Sie trennten sich ein weiteres Mal. Niedermayer schlug sich über Masar i Sharif, 100 Jahre später größtes deutsches Militärlager in Afghanistan, als Kaufmann Hadschi Mirsa Hussein nach Persien durch. Der deutsche Gesandte im türkisch besetzten Teil Persiens erinnerte sich später an eine abgerissene Gestalt: „Eines Tages erschien ein Mann in persischem Gewand mit rotem Vollbart und roten Fingernägeln. Es war der Hauptmann Niedermayer, der aus Afghanistan zurückkam.“

Hentig durchquerte derweil die Wüste Gobi, schaffte es nach China und fuhr als blinder Passagier versteckt in einem Schrank weiter bis Honolulu. Dann durchquerte er noch vor deren Kriegseintritt die USA und gelangte rechtzeitig zum Kriegsende nach Deutschland.

Der deutsche Dschihad war gescheitert. Auch wenn sich Afghanistan doch gegen die Briten erhob, allerdings erst 1919. Im Iran kennt man heute noch den in Deutschland vergessenen Wilhelm Waßmuß. Und in Libyen vermutete die US-Botschaft im Jahr 2008, dass aus den alten Ordenshäusern der Senussi Verbände wie die Islamistische Libysche Kampfgruppe hervorgegangen sind, ein Ableger von Al Qaida.

Mit all dem hatten die Agenten des Kaisers nichts mehr zu tun. Von Max von Oppenheim, nun 80 Jahre alt, hörte man 1940 noch einmal, als er seinen Dschihad-Plan Hitler vorlegte. Ohne Erfolg.

Den Deutschen blieb durch ihre Niederlage 1918 die Nagelprobe erspart, was denn wirklich von ihren Orientplänen zu erwarten gewesen wäre. Diese Rolle fiel den Siegern zu, vor allem Frankreich und Großbritannien, die den Mittleren Osten unter sich aufteilten, Juden und Arabern gleichermaßen Versprechungen gemacht hatten, die nicht zu halten waren. Das Ergebnis waren Grenzziehungen, die den Keim für kommende Bürgerkriege in Syrien, im Irak und in Palästina in sich trugen. Die Wirkung hält bis heute an.

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