
© Foto: IMAGO/Die Videomanufaktur/ MartinxDziadek
Die Berliner SPD und die Klebeproteste: Die Klimaaktivisten sind nicht allein schuld am Chaos!
Immer lauter schimpft die Berliner Politik über blockierende Aktivisten. Das ist unredlich — schuld ist die Politik selbst.

Stand:
Wie erleichternd es sein muss, endlich eine elegante Lösung für ein massives Problem gefunden zu haben.
Zum Beispiel die Berliner SPD: „Straßen- und Autobahnblockaden können zur tödlichen Bedrohung für Unfallopfer werden!“, vermeldete diese Woche eine Pressemitteilung der Abgeordneten Florian Dörstelmann und Tom Schreiber, in der SPD-Fraktion zuständig für „Recht“ und „Inneres“.
„Wer mit seinen Taten sehenden Auges die Gefährdung von Menschenleben billigend in Kauf nimmt, handelt mit Vorsatz, und zwar auch mit Vorsatz im Hinblick auf ein mögliches Tötungsdelikt!“, schreiben die Sozialdemokraten. „Ein solches Handeln ist schlicht kriminell, menschenverachtend zynisch und durch keine noch so wichtigen Ziele gedeckt.“ SPD-Innensenatorin Iris Spranger und die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ließen sich ganz ähnlich aus.
Wer hat uns regiert? Sozialdemokraten!
Das sind markige Worte für Mandatsträger:innen einer Partei, die seit März 1989 Teil des Berliner Senats ist. Und daher für die Entwicklungen in der Stadt maßgeblich verantwortlich. Wenn man sich nämlich etwas genauer anschaut, was rund um den tödlichen Unfall einer 44-jährigen Radfahrerin am Montag alles schief lief, sind die Klimaproteste, bei denen Aktivist:innen erneut die Stadtautobahn blockiert hatten, zwar ein Faktor für die Tragödie, aber nicht der einzige.
Seit Jahren arbeiten die Rettungskräfte in Berlin nämlich weit über ihren Kapazitäten, hunderte Stellen sind unbesetzt. Besserung ist nicht in Sicht. Seit Jahren weiß man auch, dass abbiegende Lkw für knapp die Hälfte aller schweren Verletzungen von Radfahrer:innen verantwortlich sind. Doch das Vorhaben, auch alte Lkw verpflichtend mit Sicherungssystemen auszurüsten, kommt seit 2018 nicht voran. Im vergangenen Jahr hat die Berliner Polizei zudem ihre Kontrollen des motorisierten Verkehrs massiv reduziert, um ganze 40 Prozent – und das, obwohl genau dieser Verkehr laut Polizeistatistik für den Großteil aller Verkehrsunfälle verantwortlich ist, die sich in der Stadt ereignen.
Man muss die Klebeblockaden nicht richtig finden
Gleichzeitig ist die sogenannte „Verkehrswende“ weiterhin ein besserer PR-Begriff. Tatsächlich ist die Zahl der Pkw in Berlin zuletzt immer weiter gestiegen, allein 100.000 Fahrzeuge sind in den letzten 10 Jahren dazugekommen. Und da sind die täglichen Einpendler:innen aus dem Berliner Speckgürtel noch überhaupt nicht berücksichtigt.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Man muss die Klebeblockaden weder sinnvoll finden noch richtig. Man kann sich über die Staus auch aufregen und genervt sein davon, dass in dieser ohnehin dysfunktionalen Stadt noch ein weiteres Ärgernis hinzukommt. Und auch ihr Anteil am Tod der Radfahrerin muss restlos aufgeklärt und diskutiert werden.
Dennoch darf das nicht davon ablenken, wer in Berlin für all das verantwortlich und zuständig ist. Und auch wenn es für viele in Stadt und Politik bequemer und für die Berliner SPD eine große Erleichterung wäre: Das sind sicherlich nicht die Demonstrant:innen, die auf die Klimakrise hinweisen – wenn auch mit womöglich zu radikalen Mitteln.
Dass ausgerechnet die Berliner SPD, die für einen guten Teil dieser maroden und an vielen Stellen veränderungsunwilligen Stadt zuständig ist, nun die Schuld für dieses tagtägliche, systematische Versagen ein paar Protestler:innen anhängen will, ist nur noch frech.
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