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„Ekel“ Alfred (Heinz Schubert, zweiter von links) regierte sein Wohnzimmer mit Macht, mochte Willy Brandt auch den Rest der Bundesrepublik regieren.

© WDR

„Ein Herz und eine Seele“: Ein Ekel namens Alfred

Vor 50 Jahren startete die Serie von Wolfgang Menge im Fernsehen. Sofort war sie Gesprächsthema, sofort stellte sich die Frage: Darf Alfred Tetzlaff das sagen, was er sagt?

Es gab noch keine sozialen Medien, es gab noch kein Twitter, es gab das Fernsehen. Und da passierte etwas Ungewöhnliches, vielleicht sogar Ungeheures, weil Sätze fielen wie:

„Als unsere germanischen Väter nach Italien gefahren sind, da war alles verfallen, die Sitten verdorben, die Männer schwul, die Frauen verhurt.“

„Jeder in der Ostzone ist irgendwo Funktionär. Da werden alle in rote Drillichanzüge gesteckt und müssen Weltrevolutionen machen.“

Die Ehefrau ist eine „dusselige Kuh“, die Tochter eine „alberne Gans“, der Schwiegersohn aus der „Ostzone“ eine „bolschewistische Hyäne“.

Start am 15. Januar 1973

Alles Sätze von Alfred Tetzlaff, gesprochen in der WDR-Serie „Ein Herz und seine Seele“, die vor 50 Jahren, genauer am 15. Januar 1973 Premiere feierte. Ab Silvester 1973 lief die Serie im Ersten und in Farbe.

Die eingangs zitierten Sätze nochmals vor Augen geführt: Hätte ein „Ekel Alfred“ heute noch Chancen auf Auftritt und Applaus? Fällt das nicht alles aus dem Rahmen dessen, was als „politisch korrekt“ gelitten ist? Tatsächlich ist es nicht so, dass damals, vor 50 Jahren, es an Aufregung und Protest gemangelt hätte. Millionen schalteten ein, Millionen sprachen über die Serie, „Ekel Alfred“ hatte, was das gegenwärtige Fernsehen nur noch selten erreicht: Gesprächswert.

Empörte Zuschauer schrieben Protestbriefe, die einen wegen der reaktionären Sicht des Materiallagerverwalters auf die Politik des damaligen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt, die anderen, weil der Spießer und Besserwisser seine Weltsicht mit Prädikaten wie „Scheiße“ und „Arschloch“ präzisierte.

Jeder in der Ostzone ist irgendwo Funktionär.

Alfred Tetzlaff

Der große Autor Wolfgang Menge nahm den nicht nur in den 70er Jahren verbreiteten Männertypus in den Blick, als er in das angenommene kleinbürgerliche Milieu in Wattenscheid hineinschaute. Die 25 zwischen 1973 und 1976 entstandenen Folgen wirkten wie Kommentare zur Tagespolitik, was Wunder, da Menge die Dialoge bis zur Aufzeichnung einen Tag vor der Ausstrahlung aktualisierte. Gibt es noch Fernsehen, das sich solches traut?

Und es war auch nicht so, dass alle Zuschauerinnen und Zuschauer „Ein Herz und eine Seele“ als Satire verstanden oder verstehen wollten. Heinz Schubert kam mit seiner Figur - Hitler-Bärtchen, Hosenträger überm Feinripp-Unterhemd, reaktionärer Habitus - zu großer wie zweifelhafter Popularität, auf der Straße wurde er durchaus mit dem Hitlergruß konfrontiert.

Der sehr selbstbewusste Majordomus Menge war sich aber nicht zu schade anzuzeigen, dass er nach Vorbild handelte. Im Abspann jeder Folge steht „Nach einer Idee von Johnny Speight“. Die Serie hatte nämlich eine englische Vorlage. Schon 1965 lief in Großbritannien die Serie „Till Death Us Do Part“ (auf Deutsch: „Bis dass der Tod uns scheidet“). Darin ging es um einen Dauernörgler mit naiver Ehefrau, kesser Tochter und politisch links orientiertem Schwiegersohn. Davon ließ sich Menge inspirieren, um dann eine sehr eigene - deutsche - Version zu verfassen.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler der Serie „Ein Herz und eine Seele“ sind alle schon tot. Alfred-Darsteller Heinz Schubert starb 1999 mit 73, Diether Krebs im Jahr 2000 mit nur 52. Die Darstellerin der Tochter, Hildegard Krekel, starb 2013 im Alter von 60 Jahren, Elisabeth Wiedemann 2015 mit 89. Helga Feddersen wurde auch nur 60 und starb schon 1990, Klaus Dahlen 2006 mit 67 Jahren.

Der Spießer, Nörgler und Chauvinist Alfred Tetzlaff aber lebt fort. Die Folge „Sylvester“ läuft an jedem Silvester. Nicht wenige werden bei den Wiederholungen zusammenzucken. Und immer mit der Frage konfrontiert werden: Was war damals unsagbar und wurde trotzdem gesagt. Was ist heute unsagbar und wird trotzdem gesagt? (mit dpa)

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