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Besuch bei Lotte Lenya: Eine Berlinerin in New York
Zum Todestag der Sängerin und Schauspielerin Lotte Lenya (18. Oktober 1898 - 27. November 1981) hier aus dem Tagesspiegel-Archiv ein Porträt von Vera Craener aus dem Jahr 1959.
Stand:
Ihr New Yorker Domizil ist eine jener großen modernen Einzimmerwohnungen, in denen es allerhand interessante Ecken und Nischen gibt, und wo sich Altes und Neues spielend miteinander mischen. Bei Lotte Lenya hängen reizende Bleistiftzeichnungen von Cocteau und in der Eßnische, über einem modernen italienischen Marmortisch, eine Gruppe biedermeierlich anmutender Silhouetten von Lotte Reiniger. Ein chinesisches Bücherregal, auf dem mehr englische und französische Literatur steht als deutsche, beherbergt auch Plattenspieler und Aufnahmeapparat, und zwei verschiedene Radioapparate sorgen für stereophonischen Empfang. ,,Das brauche ich für meine Arbeit“, sagt Lotte Lenya und fügt, als wenn sie sich für den Aufwand an moderner Technik entschuldigen müsse, rasch hinzu: „Die alten Grammophone habe ich viel lieber gehabt. Die mit dem großen Trichter. Aber die Zeiten sind ja leider vorbei. Heute können wir ohne Stereophonie nicht mehr auskommen.“
In der Schreibmaschine steckt ein angefangener Brief, und ringsherum auf dem Boden liegen Haufen von Post. In England schreibt ein junger Musikschriftsteller die erste Biographie ihres verstorbenen Mannes, des Komponisten Kurt Weill, und da gibt es natürlich unendlich viele Fragen und Rückfragen. Auffallend viele Briefe kommen von jungen Menschen aus der Zone. „Das rührt mich sehr“, meint Lotte Lenya, „und ich bemühe mich, außer dem gewünschten Autogramm auch immer noch ein paar nette Worte dazu zu schreiben. Neulich hat mich die unerledigte Post derart angegrinst, daß ich den ganzen Schwung in einen Koffer gepackt habe und damit aufs Land gefahren bin. Genutzt hat es leider nicht viel. Denn als ich zurückkam, war schon wieder ein neuer Schwung da.“
Ihr Buen retiro auf dem Lande ist ein altes Farmhaus, nur eine Autostunde von New York entfernt, das sie noch zusammen mit Weill gekauft hatte. Es gehört ein großes Stück Wald dazu, in dem man richtig Spazierengehen kann. (Eine Seltenheit im Autoland Amerika!) „Die Bäume und Sträucher lasse ich wachsen, wie sie wollen. Das einzige, was ich zur Kultivierung meines Gartens tue, ist, daß der Rasen gemäht wird und sowas ähnliches wie ein Pfad erhalten bleibt. Alles andere überlasse ich der Natur.“ Auf unsere vorsichtige Frage, ob sie irgendwelche hausfraulichen Talente habe, sagt sie mit großer Entschiedenheit: „O nein. Von Kochen habe ich keine Ahnung.. Und auch keinen Ehrgeiz, es zu lernen. Ich kann lediglich ein Huhn braten, und wer zum Essen kommt, kriegt unweigerlich jedesmal Huhn.“
Während sie uns das erzählt, hockt sie auf der Erde — schmal und graziös in langen, engen Hosen und einem hochgeschlossenen Sweater — und sucht angestrengt in der Post. Jetzt hat sie es gefunden: ein Manuskript auf rosa Dünndruckpapier. „Kennen Sie Ilse Langner? Die hat mir ein paar wunderbare Gedichte geschickt. Ich hatte sie bei meinem letzten Aufenthalt in Berlin kennengelernt. Bei der Witwe von Georg Kaiser. Sie hatte gehört, daß ich für einen amerikanischen Verlag deutsche Schallplatten bespreche. Eine Auswahl deutscher Gedichte von Walther von der Vogelweide bis zur Gegenwart. Interessanterweise hatte man bei der Auswahl Bert Brecht vergessen. Und deutsche Lyrik ohne Brecht geht ja doch wohl nicht. Zumal die Platten hier für Unterrichtszwecke in Colleges und Universitäten verwendet werden sollen. Ich habe, nachdem ich die Erlaubnis von Helene Weigel hatte, zwei seiner Gedichte hinzugefügt, ,Von der Freundlichkeit der Welt’ und ein anderes. Von der Langner hätte ich auch gern was mitgenommen, denn ich finde ihre Sachen wirklich sehr schön. Besonders die .Witwengedichte’. Aber sie kam leider zu spät. Jetzt machen wir wahrscheinlich für den Verlag Bertelsmann eine Lenya-Langner-Platte.“
Schallplattenaufnahmen und Theater sind das, was ihr am meisten liegt. Konzert singt sie nicht gern, weil es ans Mikrophon bannt und überhaupt keine Bewegungsmöglichkeit gibt. Konzerte sind für Sänger, die gewohnt sind stillzustehen, Schauspieler brauchen die Bühne, um sich richtig ausleben zu können. Die Frage, ob man nicht auch bei Schallplattenaufnahmen ans Mikrophon gebunden sei, beantwortet sie mit einem sorgfältig definierten Nein. „Das ist ganz was anderes. Da hat man das Mikrophon buchstäblich in der Hand und kann damit herumwirtschaften.“
Das amerikanische Publikum läßt es an Anerkennung für Lotte Lenya nicht fehlen. Zu einem Kurt-Weill-Abend, den sie im vergangenen Sommer in dem New Yorker Lewisson-Stadion gegeben hatte, waren 9500 Menschen gekommen und hatten auch dann noch voller Begeisterung um „Encores“ gebeten, als die kleine, zarte Frau schon nicht mehr wußte, was sie ihnen noch bieten konnte.
Von ähnlichem, wenn auch weniger turbulentem Erfolg ist jetzt ihr Auftreten in den „Seven Deadly Sins“ („Die sieben Todsünden“) im City Center. Es ist ein Ballett mit Gesang von Brecht und Weill, das seine Uraufführung im Jahre 1933 in Paris erlebt hatte, und dann in der Versenkung verschwunden war. Der junge Choreograph, der das Stück in Paris einstudiert hatte, ist heute der berühmte Maestro des New York City Ballett: George Balanchine, der jetzt für die amerikanische Aufführung verantwortlich ist. Das City Center feiert in dieser Saison sein zehnjähriges Bestehen, und Balanchine hatte die hübsche Idee, dieses Zehnjährige mit dem Fünfundzwanzigjährigen der Pariser Uraufführung der „Sieben Todsünden“ zu verbinden.
„Weder er noch ich dachten allerdings, daß die Aufführung so einschlagen würde. Ein paar Abende — das war alles, was uns vorschwebte. Aber es kam anders. Presse und Publikum waren so begeistert, daß es ins Repertoire aufgenommen wurde, und auch in der Frühjahrssaison wieder gespielt wird. Außerdem werden wir wahrscheinlich damit auf Tour gehen.“ Die Rolle der jungen Schwester, die in Paris Tilly Losch getanzt hatte, tanzt hier die junge Allegra Kent, den Gesangspart hat natürlich Lotte Lenya. Ein nicht geringer Teil des Erfolges kommt dem Bühnenbildner zu: Rouben Ter-Arturian, einem jungen Armenier, der die Reimann-Schule in Berlin besucht hat. Er hat den für amerikanische Begriffe ungewöhnlichen Stil des deutschen Expressionismus sehr treffend herausgebracht.
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