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Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

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Vom Edenhotel bis zum KZ: Zum Todestag Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs

Am 15. Januar 1946 schrieb Tagesspiegel-Gründer Walther Karsch diesen Artikel über den politischen Mord von 1919, durch den „sich das Schicksal der deutschen Republik bereits vollzogen“ hatte.

Stand:

W.K. Seit dem 5. Januar 1919 befand sich Berlin in Aufruhr. Die Demonstrationen wegen der Ablösung des Polizeipräsidenten Eichhorn, der der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, jener Gruppe zwischen Sozialisten und Kommunisten angehörte, waren in eine Art Bürgerkrieg übergegangen. In eine Art Bürgerkrieg nur, denn die Aufständischen waren an Menge verhältnismäßig gering und schlecht bewaffnet, die Seite aber, die die sogenannte Ordnung verteidigte, hatte alles zu ihrer Verfügung, was sie brauchte: Waffen und Soldaten. Soldaten, die kamen, um die junge Republik gegen den Ansturm von links zu verteidigen? Nein. Sondern jene ewigen Landsknechte, die vier Jahre nichts weiter als Gehorchen und Befehlen, Schießen und Morden gekannt hatten, die zu faul oder zu dumm waren, sich in einem bürgerlichen Leben zurechtzufinden. Ihre Führer, ihre Hintermänner waren keine Republikaner, es waren monarchistische Offiziere, auf die sich Herr Noske stützte. Es war jenes Freikorps-Gesindel, das Morgenluft witterte, die Pabst, Reinhardt, Märker, Vogel, Runge und wie sie sonst noch hießen. In diesen Tagen, da die Volksbeauftragten mit ihren Todfeinden paktierten, um die „Spartakisten“ niederzuschlagen, wie damals die junge kommunistische Partei nach Liebknechts politischen „Spartakusbriefen“ hieß, hatte sich das Schicksal der deutschen Republik bereits vollzogen. Statt sich auf dem Verhandlungswege mit den Führern der Spartakisten .zu verständigen, nahm man dankbar die Hilfe der Reaktion an. Was auf den niedergeschlagenen Aufstand folgte, war nur die logische Konsequenz dieses ersten Versagens der neuen Männer.

Es hat keinen Zweck, über diese Dinge zu schweigen oder nur so zu reden, daß man das Trennende von einst dabei übergeht. Politische Fehler der Vergangenheit sind dazu da, daß man aus ihnen die Folgerungen zieht. Und es mutet geradezu grotesk an, wenn einer der Hauptbeteiligten von damals, wenn Herr Noske heute aus der politischen Versenkung auftaucht und’ auf der Bühne der Demokratie eine tragende Rolle zu spielen beabsichtigt, als ob nichts geschehen sei. Ein eigenartiger Gespensterzug, diese Noskes, Severings und Zörgiebels, mit denen sich die SPD Westdeutschlands besser nicht belasten sollte. Sie hatten einst die ganze Macht und haben so kläglich versagt. Für eine Wiederholung dieses Experiments mit den gleichen Versagern besteht wahrhaftig kein Anlaß.

Waren Massendemonstrationen auf einmal kein Ausdruck des Volkswillens mehr? Beinahe scheint es so, wenn man ein Bild der Januartage 1919 nachzuzeichnen versucht. Eine wilde Hetze gegen die Führer der Aufstandsbewegung, gegen Karl Liebknecht, gegen Rosa Luxemburg, gegen Wilhelm-Pieck, beginnt. Am 15. Januar werden sie verhaftet und ins Eden-Hotel geschleppt. Dort ist das Hauptquartier der Freikorpsleute. In dieser Sekt- und Monokelatmosphäre, in dieser Atmosphäre des Hackenzusammenklappens und der schnarrenden Stimmen vollzog sich der Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ein Mann wurde von einer betrunkenen Horde „umgelegt“, der im Krieg als erster den Mut gehabt hatte, im Reichstag gegen die Kriegskredite zu stimmen, der am 1. Mai 1916 die Arbeite: zum Kampf gegen die Kriegsverbrecher aufgerufen hatte und dafür ins Zuchthaus gewandert war. Auch Rosa Luxemburg saß während des Krieges im Gefängnis. Hier sind jene einfachen, tiefen und menschlichen Briefe entstanden, aus denen eine gleichermaßen starke und zarte Seele spricht, die Seele einer Frau, die zwar eine politische Kämpferin war, über dem allem aber Frau blieb. „Man muß alles im gesellschaftlichen Geschehen wie im Privatleben nehmen: ruhig, großzügig und mit einem milden Lächeln“, heißt es in einem dieser Briefe. Diese Frau, die sie zu einer hysterischen Petroleuse gestempelt hatten, hauchte unter den Fußtritten, unter den Schlägen, unter den Bajonettstichen einer betrunkenen, blutrauschbesessenen Soldateska ihr Leben aus. „Von der erzürnten Menge den Wachtmannschaften entrissen und getötet“, lautete die offizielle Version. Die Leiche wurde in den Landwehrkanal geworfen. Karl Liebknecht erschoß man „auf der Flucht“. Herr Himmler hat später nichts Neues zu erfinden brauchen. Ebert war immerhin blaß und starr, als er das hörte — nicht nur über den Mord, sondern auch über die Form, in der er gemeldet wurde. Nur einer konnte „nichts so Aufregendes“ dabei finden. Dieser eine war Gustav Noske.

Es war glatter Mord — keine Beschönigung, kein Reichsgerichtsprozeß konnte an dieser Tatsache etwas ändern. Mord, glatter, gemeiner, hinterhältiger, feiger Mord an wehrlosen Menschen. Mord wegen Betätigung einer politischen Ueberzeugung, inspiriert und ausgeführt von Leuten, die von Stund’ an ihre Finger, direkt oder indirekt, in jedem Unternehmen hatten, das gegen die Republik gerichtet war. Dieser Weg, an dessen Anfang die Nemen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg stehen, wird am Ende durch die Namen Dachau, Buchenwald, Belsen, Maidaneck, Auschwitz bezeichnet. Die Etappen: Mord an Rathenau, Mord an Erzberger, Attentate auf Scheidemann, Harden, Wirth, Kapp-Putsch, München 9. November 1923, Saalschlachten, politische Straßenschlägereien. Wer saß überall in den militaristischen Organisationen der Rechten, im Stahlhelm, in der SA, in der SS? Leute, die mit jenen blutigen Etappen zu tun gehabt hatten. Richter, die den Eid auf die Verfassung geleistet hatten, drückten beide Augen zu, wenn es gegen rechts ging. Die roten Roben von Leipzig und die Mörder aus den Freikorps: Krähen, die einander nicht die Augen aushackten. Wenn in den Jahren 1924 bis 1933 die Reaktion nicht mehr mit Putschen und Morden ihr schmutziges Handwerk trieb, so deshalb, weil sie sich in die entscheidenden Positionen gedrängt und die Republik so unterhöhlt hatte, daß diese Schritt für Schritt zurückgedrängt wurde und schließlich klanglos abdankte, als der Herrenreiter Franz von Papen die letzte Hürde, die ihn von der Macht trennte, mit dem Sturze Brünings nahm und Hitler den Weg bereitete.

Mit dem 30. Januar 1933 wurde der politische Mord dann legalisiert. Jener politische Gangstertyp, der einst an den Putschen, den Morden und Mordversuchen beteiligt war, saß jetzt in den „Befehlsstellen“. Was damals Einzelaktionen waren, wurde nun im großen Stil betrieben. Der politische Gegner wurde zum Freiwild, das man nach Belieben quälen, umbringen oder verhungern lassen konnte.

Die Geschichte der Jahre 1919 bis 1945 ist auch die Geschichte des politischen Terrors. Gingen in den Januartagen dieser Jahre unsere Gedanken zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zurück, dann fragten wir: wofür? Heute antworten wir: dafür, daß es sich nicht wiederhole. Videant consules. Nicht immer schnattern die Gänse auf dem Kapitol. 

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