
© dpa/DB STIFTUNG WEIMARER KLASSIK
„Vom schlichten Prunk der Sprache“: Aus der ersten Sonntags-Beilage des Tagesspiegels
Zeitungsgründer Edwin Redslob befasst sich mit der „trostlosen Wandlung von Goethe zu Goebbels“ im Deutschen. Am 18. November 1945 wurde der Umfang für die Sonntagausgabe von vier auf sechs Seiten erhöht.
Stand:
„Dieser Sieg ist ein einmaliger“ — „Dieser Krieg ist globalen Ausmaßes“ — „Ausrichtung“ — „Totaler Arbeitseinsatz“ — „Die alten Marschierer“ — „Garanten der Zukunft“ — „Grenadiere der Schiene“ — „Gigantisch“ — „Katastrophal“ — „Beschuß“ — „Im Zuge unserer Offensive“ — „Im rollenden Einsatz“: derartige Sprachverhunzungen drangen seit den ersten „Saalschlachten“ im Hofbräuhaus zu München und im Sportpalast zu Berlin bis in den April dieses Jahres auf das deutsche Volk ein. Sie waren Begleiterscheinungen der trostlosen Wandlung von Goethe zu Goebbels. Aufgeblasenheit, Uebersteigerung und Hetze, Hohlheit und Größenwahn kennzeichnen die Sprache der Hitlerzeit, so daß man mit Polonius fragen konnte, ob es dabei um eine Tragi-Komödie oder um eine Komi-Tragödie ging. In Wahrheit war es bittere Tragik: ein kluges und tätiges Volk wurde verdummt; sein geistiger Abstieg aber wurde nicht zuletzt dadurch erreicht, daß man seine Sprache verdarb.
Goethes „geliebtes Deutsch“ war zur Sprache des Volkes der Dichter und Denker geworden, biegsam und doch mit dem Ernst einer großen Struktur, singend und malend zugleich, ausdruckstief in gedanklicher und religiöser Hingabe, klar und gelenkig in der wissenschaftlichen Diktion, von epischer Pracht der historischen Darstellung bei Ranke, Mommsen und Burckhardt. Sie blieb ursprünglich, weil sie stets neu im Feuer des Schaffensprozesses geschmiedet werden muß.
Um die Wende zu unserem Jahrhundert war eine Hochblüte der Sprachkultur, die nach der Bedrohung durch mißverstandenen Naturalismus zu neuer Disziplin zurückgeführt wurde. In grellem Gegensatz dazu steht das, was die Redewut und Propaganda des Nationalsozialismus der deutschen Sprache antat. Wohl hat Hitler, der in allem zerstörend, aber in nichts originell war, auch die Verderbnis der deutschen Sprache nicht von sich aus begonnen, sondern nur fortgesetzt. Bereits der vor hundert Jahren sich vordrängende Materialismus hatte den Zerstörungsprozeß der Sprache eingeleitet. Darüber konnte die Schönrednerei der Herolde des neuen Reiches nicht hinwegtäuschen — ihre innere Verlogenheit hat vielmehr erst recht die Sprachverderbnis vermehrt. Während noch Moltke als Schriftsteller und als Redner die deutsche Sprache klar und vornehm meisterte, hat Ludendorff weit mehr, als gemeinhin erkannt wird, zu ihrer Verderbnis beigetragen. Auf die klare Sachlichkeit der ersten Heeresberichte vom August 1914 folgte, als Ludendorff die Macht gewann, ein superlativischer Stil, der in Worten wie „Großkampftag“ schwelgte und nicht so sehr berichten als Propaganda treiben wollte. Dem „globalen“ Goebbels, dem alles einkalkulierenden Hitler wurde von dem Großkampf-Verkünder Ludendorff auch auf jenem Gebiet der Weg bereitet, das ein volkstümliches Witzwort in Bezug auf Hitlers schriftstellerische Leistung: „Mein Kampf mit der deutschen Sprache“ nannte. Dieser Zerstörungsprozeß der Sprache wirkt über den Nationalsozialismus hinaus auch heute noch weiter. Mancher Bürokrat glaubt nach wie vor, seine Würde durch Sprachverschrobenheit beweisen zu müssen. Auf das „Betreff“ der ersten Republik, das im Gegensatz zu Luthers volksnaher Art die Weltfremdheit der Behörden kennzeichnet, folgen heute neue Mißbräuche. An Anschlägen konnte man im Sommer 1945 das Wort „Gedächtniskundgebung“ lesen. Man mußte also annehmen, daß man eingeladen würde, um Phänomene der Gedächtniskunst kennenzulernen, so wie einst Gedächtnisakrobaten im Variete auftraten. Gemeint war jedoch eine Gedenkfeier, die den Opfern der Hitler-Justiz galt, eine Veranstaltung also, der man lieber ohne Befremden über falsche Sprachbehandlung beigewohnt hätte.
Obwohl also Schäden des Nationalsozialismus auch heute noch bisweilen weiterleben, haben wir genug Anzeichen dafür, daß die Lebenskraft der deutschen Sprache nicht erloschen ist, daß das Verantwortungsgefühl gegenüber der Sprache, die als einigendes Band die politisch und wirtschaftlich getrennten Deutschen verbindet, in den Herzen vieler lebendig ist. In gesunder Reaktion gegen die Goebbels-Artikel im „Reich“, hat die Presse seiner scheinheiligen Propaganda-Sprache, die so zynisch und hinterlistig auf Verdummung des Lesers ausging, den Krieg erklärt. Wir sind gegen solche Klänge empfindlich geworden, wir haben erfahren, daß Uebertreibung tötet. Wer „freundschaftlichste“ Grüße schickt, erscheint verdächtig; wer „freundschaftlich“ oder „in Freundschaft“ sagt, findet mehr Vertrauen.
So erleben wir eine heilsame Besinnung auf den Wert des Wortes. Der Widerwille gegen die abgegriffenen Klischeeworte, der Ekel vor der infamen Selbstgefälligkeit der Sprache Rosenbergs und vor der plumpen Anmaßung, mit der Ley und Saukel sich ausdrückten, der Katzenjammer darüber, daß Hermann Göring sich mit seinem Zirkus-Direktor-Deutsch in den Versammlungen der großen Industriehallen populär machen konnte, das Entsetzen über die Hohlheit, mit der Himmler vor dem Volkssturm sprach: das alles hat uns feinhörig gemacht. Wir wollen wieder eine Sprache, die im Grundbau einfach und klar ist, wir begreifen neu die Innerlichkeit Martin Luthers und die fanatische Logik Lessings, vor allem aber empfinden wir die hingegebene Tiefe der Sprache Goethes und die treibende Kraft von Hölderlins Rhythmik. Wir ertragen es nicht, daß die innere Klarheit und Logik, die Anschaulichkeit und seelische Wärme, die seit den Brüdern Humboldt und den Brüdern Grimm der Sprache der Wissenschaft die Weihe des Erlebens gab, für immer zerstört sein sollen.
Die Aufgaben, die sich aus diesem neuen Verantwortungsgefühl für Wort und Antwort ableiten lassen, betreffen jeden Brief, jeden behördlichen Erlaß, jede Rede, jede Zeitung und Zeitschrift, vor allem aber den Neubau unserer Geistigkeit durch das Buch. Die Schulbücher bedürfen besonderer Hinweise auf „Wert und Ehre der deutschen Sprache“; an Stelle einer Akademie der Dichter, von deren geheimnisvollen Sitzungen kaum etwas in die Öeffentlichkeit drang, brauchen wir einen Ausschuß für die deutsche Sprache, denn seine Arbeit ginge das ganze Volk an. Hier sollten Dichter und Tagesschriftsteller mit Männern, die auf der Bühne und im RundfunkMhre Erfahrungen gewannen, mit Lehrern und Vertretern der Wissenschaft dafür Sorge tragen, daß die deutsche Sprache nicht Schaden leide.
Es geht um den kostbarsten Besitz unseres Volkes. Es gilt, unsere Sprache, die im Munde Unberufener verdarb, einem Heilungsprozeß entgegenzuführen, damit das Wort wieder echt werde und Wahrheit wirke.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: