zum Hauptinhalt
Auch wenn die Frühlingssonne lockt - ein paar Minuten Zeit, um zu wählen, sollten sich alle älteren Berliner*innen nehmen.

© picture alliance/dpa

Wahl der Seniorenvertreter: Jetzt zählt jede Stimme

Nach der Pannen-Serie im Vorfeld können nun 900.000 Menschen über 60 Jahren abstimmen. Die Arbeit der Gremien hilft auch Jüngeren

„Natürlich bin ich entsetzt“, sagt Dr. Johanna Hambach. Vertauschte Bezirke bei den Wahlbenachrichtigungen, Briefe an längst Verstorbene, falsch angegebene oder nicht existierende Adressen für die Anforderung der Briefwahlunterlagen, doppelte Zustellungen von Wahlunterlagen und falsche Geburtsdaten – die Kette der Pannen im Vorfeld der Wahl der bezirklichen Seniorenvertreter*innen ist peinlich lang. Über 900.000 Berliner*innen sind vom 14. bis 18. März zur Abstimmung aufgerufen. Dr. Johanna Hambach, die Vorsitzende der Landesseniorenvertretung tröstet sich mit Sarkasmus. Das musste ja schiefgehen, meint sie: Wenn in Berlin schon die Wahl zum Bundestag chaotisch ist, was soll man dann bei der Seniorenvertretungswahl erwarten? Sie ärgert aber trotzdem, dass derzeit allein über die Pannen und das Verwaltungschaos berichtet wird, aber wenig darüber, wie wichtig die Arbeit der Seniorenvertreter ist und was diese in den vergangenen fünf Jahren erreicht hätten. Und diese Ergebnisse könnten sich sehen lassen, sagt die studierte Verfahrungstechnikerin aus Treptow-Köpenick, die seit 2012 Vorsitzende der Landeseniorenvertretung ist. Geschafft hätten es die ehrenamtlich arbeitenden Vertreter*innen etwa, dass das Thema Barrierefreiheit durch ihren intensiven Einsatz im Berliner Mobilitätsgesetz verankert wurde. „Die Barrierefreiheit wird uns immer beschäftigen“, sagt Johanna Hambach: „ob für Menschen mit Rollator oder auch für Jüngere mit Kinderwagen“. Damit weist sie dezent darauf hin, dass die Arbeit der Seniorenvertretungen auch die Lebensqualität von Menschen verbessert, die keine Senioren sind. Wahlberechtigt sind alle Berliner, die über 60 Jahre alt sind – auch wenn sich viele in diesem Alter längst noch nicht als alt empfinden. Die bezirklichen Gremien setzen sich für die gesellschaftliche Teilhabe der älteren Menschen ein und sorgen beispielsweise für mehr altersgerechte, sportliche oder kulturelle Angebote im Bezirk. Außerdem unterstützen die Seniorenvertreter*innen bei einem selbstbestimmten Leben im Alter und bei wichtigen aktuellen Themen wie Wohnen/ Miete, Klima, Mobilität, ÖPNV, Pflege, Gesundheit, Verbraucherschutz, Selbsthilfe, Ehrenamt, Kultur, Bildung und Begegnung.

Dr. Johanna Hambach ist Vorsitzende der Landesseniorenvertretung.

© privat

Erst kürzlich haben die Seniorenvertreter*innen den Entwurf eines „Landesaltershilfestrukturgesetz“ vorgelegt, dessen Umsetzung auch von der rot-grün-roten Landesregierung im Koalitionsvertrag festgehalten ist. Festgeschrieben werden sollen damit Ansprüche auf Beratungsleistungen als auch bei der Wohnungshilfe. Die Seniorenvertretungen fordern auch, dass die Bezirke mehr Orte für Begegnungsmöglichkeiten schaffen, etwa in den Stadtteilzentren oder Kiezclubs. Ein neues Thema sei der Klimawandel, etwa wegen der gesundheitlichen Probleme älterer Menschen im Zusammenhang mit Hitzewellen. Besonders setzen sich die Seniorenvertreter*innen für eine digitale Teilhabe ein. Dr. Hambach fordert etwa für die elf Kiezclubs in ihrem Bezirk Treptow-Köpenick ein freies WLAN, um älteren Menschen den digitalen Kontakt mit ihren Enkeln oder eine elektronische Kontoführung zu erleichtern. Dr. Johanna Hambach hebt positiv hervor, dass etwa im Bezirk Marzahn-Hellersdorf die Belange der Senioren besonders berücksichtigt werden. Die dortige Geschäftsordnung der Bezirksverordnetenversammlung gibt der Seniorenvertretung ein Rederecht zu Beginn der Sitzungen. Das wünscht sich Hambach für alle Berliner Bezirke. Von allein wird das nicht passieren, da ist die Vorsitzende der Landesseniorenvertretung ganz realistisch. „Aber Senior*innen lassen sich nicht abspeisen - wir haben Geduld“, sagt sie: „Wir drücken und schieben und lassen nicht nach.“ Nur so können man in den Verwaltungen eine stetige Aufmerksamkeit für die Belange der älteren Menschen entwickeln. Leicht gemacht wird es den Seniorenvertretungen nicht gerade. Dr Johanna Hambach, die übrigens ihren Doktor in Philosophie machte, hat gerade ihr Amts-Handy abgeschafft, weil das Land Berlin die Kosten nicht übernimmt. Auch eine Aufwandentschädigung erhält die Landesvorsitzende nicht. Auch darüber könnte man ergiebig philosophieren. Johanna Hambach findet es „bedauerlich“, dass wegen der Pandemie in vielen Bezirken die persönliche Vorstellung der Kandidat*innen nicht möglich war und es ersatzweise nur digitale Vorstellungsrunden gibt. Wen wähle ich, wird damit zu einer schwierigen Frage – immerhin sind in jedem Bezirk zehn Kreuze zu machen. Ganz ironisch merkt sie an, dass die Pannenserie immerhin dazu geführt hat, dass die Wahlen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Bei der Wahl 2017 war das nicht der Fall – auch deshalb gab es wohl vor fünf Jahren nur 5,56 Prozent Wahlbeteiligung. Schon jetzt sei jedenfalls die Zahl der Briefwahl-Anträge „wesentlich höher“ als 2017, sagt Johanna Hambach. Auch einen Tipp hat sie: Wer die Wahlbenachrichtigung wutentbrannt zerknüllt hat, weil sich 60-Jährige von der Einstufung als Senior beleidigt fühlten, kann auch ohne Benachrichtigung persönlich ins Wahllokal gehen. Das gilt zudem für alle Menschen, die eine Briefwahl beantragt haben. Die Wahllokale finden Sie auf den Onlineseiten der Bezirke – häufig gibt es dort auch Videos von der Vorstellung der Kandidat*innen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false