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Berliner Zeitung: Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Zweiter Stasi-Fall: Die "Berliner Zeitung" will jetzt alle Redakteure überprüfen lassen.

Bei der „Berliner Zeitung“ hat sich ein weiterer Redakteur zur Stasi-Mitarbeit bekannt. Ein stellvertretender Ressortleiter Politik, seit 1990 beim Blatt, offenbarte sich gestern der überraschten Redaktionskonferenz. Der heute 50–Jährige sei seit seinem 18. Lebensjahr bis zur Wende für die DDR-Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) tätig gewesen. Erst am Freitag war bekannt geworden, dass Thomas Leinkauf, bei der „Berliner Zeitung“ für die „Seite 3“ und „Das Magazin“ zuständig, als Student zwei Jahre IM des Ministeriums für Staatssicherheit war. Der Politikredakteur war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Leinkauf lässt seit dem Wochenende seine Ressortleitung vorerst ruhen.

Chefredakteur Josef Depenbrock will jetzt alle Redakteure des Blattes von einem externen und unabhängigen Gremium auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit hin überprüfen lassen – egal, ob die Mitarbeiter aus dem Westen oder dem Osten der Republik stammen. „Wir können nicht dulden, dass solche Fälle den Ruf unserer Zeitung und das Vertrauen unserer Leser schädigen“, sagte Depenbrock dem Tagesspiegel. Schnellstmöglich wolle er deshalb „klar Schiff machen“. Wenn sich jemand erklären möchte, dann solle er es sofort tun, rief Depenbrock die versammelten Redakteure auf, danach nehme er keine Rücksicht mehr. Allerdings relativierte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel: Redakteuren, die viele Jahre gute Arbeit für die „Berliner Zeitung“ geleistet hätten, könne nicht einfach ihre Existenzgrundlage genommen werden. Die Situation in der DDR sei eine besondere gewesen. Depenbrock betonte aber, dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter bei der „Berliner Zeitung“ keine leitende Funktion übernehmen, geschweige denn über das Thema „Stasi“ schreiben dürfen. Arbeitsrechtlich sei eine Stasi-Mitarbeit kein Kündigungsgrund, sagte Renate Gensch, Betriebsratsvorsitzende des Berliner Verlages.

Depenbrock wollte gestern den Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin kontaktieren, der die Überprüfung als externe, unabhängige Stelle übernehmen soll. Rechtliche Fragen würden derzeit geklärt. Laut Depenbrock war die „Berliner Zeitung“ Anfang der 90er Jahre nach der Übernahme durch den Verlag Gruner + Jahr schon einmal überprüft worden. Mit der Stasi verbundene Mitarbeiter hätten die inzwischen zum Berliner Verlag gehörende Zeitung verlassen – doch offenbar wurden damals nicht alle Verstrickungen entdeckt.

Für den Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin würde es kein Problem darstellen, die Redakteure im Berliner Verlag zu überprüfen. „Wenn es dort etwas gegeben hat, wird das rauskommen, zumindest ist die Wahrscheinlichkeit dafür recht hoch“, sagte der Leiter des Forschungsverbundes, Klaus Schroeder, dem Tagesspiegel. Der Forschungsverbund kann auf einschlägige Erfahrungen verweisen. Nachdem sich beim Mitteldeutschen Rundfunk Stasi-Enthüllungen gehäuft hatten, hatte die ARD 2001 einen Forschungsauftrag an die FU-Wissenschaftler vergeben. Sie sollten den Einfluss des MfS und dessen Erfolge beim öffentlich-rechtlichen Sender untersuchen. Heraus kam eine 1095 Seiten starke Studie, die Mitte 2004 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Am Ende wurden 61 als westdeutsche und 42 als ostdeutsche „Quellen“ identifiziert. Ein aktueller Auftrag kommt von der Axel Springer AG. Über ein Drittmittelprojekt sei der Forschungsverbund seit vergangenem Jahr dabei, „die Maßnahmen der SED und des MfS gegen den Springer-Verlag bis 1990 zu erforschen“, sagte Konzernsprecherin Edda Fels. Die Untersuchung richte sich keinesfalls gegen einzelne Mitarbeiter des Hauses, sondern soll die „Systematik“ des Vorgehens beleuchten. Die bisherigen Zwischenberichte hätten auch keinerlei Verdachtsmomente gegen aktive Mitarbeiter des Medienkonzerns ergeben. „Sobald alle juristischen Fragen, unter anderem zu Persönlichkeitsrechten geklärt sind, ist eine Veröffentlichung noch in diesem Jahr geplant“, sagte Fels.

Ob es bei der „Berliner Zeitung“ überhaupt zu einer umfassenden Untersuchung kommen kann, ist jedoch fraglich. Wie Andreas Schulze, Sprecher der Birthler-Behörde, sagte, ist unklar, ob es rechtlich überhaupt möglich ist, dem Berliner Verlag etwaige Akten seiner Mitarbeiter vorzulegen. Während die Nachforschungen bei Springer die allgemeine Einflussnahme des MfS auf den Verlag offenlegen sollen, plane die „Berliner Zeitung“ jeden einzelnen ihrer Mitarbeiter auf Stasi-Zugehörigkeit überprüfen zu lassen – eine Persönlichkeitsverletzung. Einzig die Mitarbeiter selbst könnten einen Antrag auf Akteneinsicht stelle. Anders als die Studien der öffentlich-rechtlichen Anstalten habe ein Antrag der „Berliner Zeitung“ keinen „plausiblen Forschungsgrund“. Die Anstrengungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten hätten den „Willen zur Aufarbeitung und Veröffentlichung“ gehabt, die ARD etwa plant die Forschungsergebnisse in Buchform zu veröffentlichen. Bei der „Berliner Zeitung“ sei davon auszugehen, dass es um ein „Ausmisten“ in der Belegschaft gehe – nicht um die öffentliche Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit.

Problematisch wird es, wenn die Arbeit der Wissenschaftler getan ist, denn dann beginnt die Arbeit der Juristen. „Die ARD-Juristen haben Angst, dass Namen genannt werden könnten und die Betroffenen dann wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte klagen“, beschreibt Schroeder das Problem einer Buchveröffentlichung. Heißt: Die ARD konnte überprüfen lassen, ob Mitarbeiter für die Stasi tätig waren. Stellt sie ihre Angestellten aber an den Pranger, drohen Prozesse.

Anders als bei einer gezielten Anfrage bei der Birthler-Behörde, bei der überprüft wird, ob es zu einer bestimmten Person eine Akte gibt, arbeitet der Forschungsverbund überdies nach einer anderen Methode. Dabei werden die zur Verfügung stehenden Unterlagen von SED und Stasi auf Hinweise zu den Medienhäusern oder den dort arbeitenden Beschäftigten durchforstet, um die dabei gewonnenen Hinweise genauer unter die Lupe zu nehmen.

Die komplette Durchforstung von Medienhäusern ist gleichwohl die Ausnahme. Das ZDF hat die Forderung, sich ebenfalls vom Forschungsverbund durchleuchten zu lassen, abgelehnt. Und auch bei den privaten Verlagen blieb das Interesse eher gering, „nur einige wenige ostdeutsche Regionalblätter“ hätten sich dazu durchgerungen, so der Leiter der seit 1992 tätigen FU-Einrichtung.

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