zum Hauptinhalt
In der Öffentlichkeit sind Premierministerin Signe Kragh (Johanne Louise Schmidt, links) und Außenministerin Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen) ein Herz und eine Seele. Im Kabinett sieht das ganz anders aus.

© Mike Kollöffel/Netflix

Dänische Polit-Serie: „Borgen“ ist zurück – die Politik ist weiblich, auch die Intrige

Netflix startet die vierte Staffel der Serie. Birgitte Nyborg ist als Außenministerin erneut die Zentralfigur der herausragenden Politserie.

Wir haben Annalena Baerbock als Bundesaußenministerin, aber ist sie in diesem Amt so geeignet wie Birgitte Nyborg? Marietta Slomka quält Politikerinnen und Politiker bei ihren Interviews im „heute-journal“, aber ist sie hartnäckig wie Katrine Fønsmark?

Baerbock und Slomka sind real, Nyborg und Fønsmark Protagonistinnen der Serie „Borgen“. Aber weil die Produktion so radikal der Realität entlehnt ist, drängen sich derartige Vergleiche auf. „Borgen“, das ist Streaminggold, drei Staffeln gab es schon von 2010 von 2013, jetzt zeigt Netflix die vierte.

[Der tägliche Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leser:innen informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]

Der Streamingdienst hat sich dafür mit dem dänischen Sender DR1 zusammengetan, der mit den „Gefährlichen Seilschaften“ aufgezeigt hat, auf welchem Niveau Serienfernsehen und Politik zusammenfinden können. „Borgen“ darf, wenn „House of Cards“ die Macbeth-Variante des Themas ist, als Quasi-Realitätscheck gelten. Seht her, so geht Politik, ein Lehrstück über Menschen und Mechanismen, über Spielregeln und Fouls, über Konflikte und Entscheidungsprozesse. Großes Aber: Was nach drögem Untersuchungsausschuss klingt, ist sehr unterhaltsam, weil sehr spannend, sehr verführerisch, weil sehr menschlich.

„Borgen IV“ also. Originaltitel „Riget, Magten og Ære“. „Das Reich, die Macht und die Ehre“, alles drin, oder? Birgitte Nyborg Christensen (Sidse Babett Knudsen) arbeitet mittlerweile als dänische Außenministerin für die Partei der Neuen Demokraten in der Koalitionsregierung von Premierministerin Signe Kragh (Johanne Louise Schmidt). Nyborg legt ihren Fokus auf die Klimapolitik, ein Schwerpunkt, der bei den Wählerinnen und Wählern gut ankommt.

[„Borgen: Das Reich, die Macht und die Ehre“, acht Folgen, Netflix]

Die Herausforderung kommt mit einem sehr großen Ölfund auf Grönland (das Thema wird auch in der Serie „Thin Ice“/ARD-Mediathek intensiv behandelt). Und schon schürzen sich die Probleme. Exploration in einem sehr empfindlichen Ökosystem? Die Grönländer sind sehr begeistert von der Aussicht auf die Ölmilliarden, endlich scheint die Stunde gekommen zu sein, die Unabhängigkeit von Dänemark voranzutreiben. Sie fühlen sich vom „großen Bruder“ in Kopenhagen wie Kinder behandelt.

Klimapolitik, der Kampf um Grönland, der gleichbedeutend ist mit der Auseinandersetzung um die Vormacht in der Arktis, die dänische Politik bekommt sehr schnell zu spüren, wie klein die Großmächte USA, Russland und China das kleine Dänemark betrachten, Außenpolitik wird Innenpolitik, wie immer bei „Borgen“ stehen alle vier Gewalten der dänischen Demokratie im Zentrum, von denen drei – die Legislative, Judikative und Exekutive – in ein und demselben Gebäude residieren: der Christiansborg in Kopenhagen. Die vierte Gewalt, die Medien, sind immer und überall involviert, die Nachrichtenchefin von TV1, Katrine Fønsmark, war mal Pressechefin der vormaligen Premierministerin Nyborg.

Das Politische ist immer privat

Und weil bei dieser Serie das Politische immer privat ist, et vice versa, ist Nyborgs Sohn Magnus (Lucas Lynggaard Tønnesen) Klimaaktivist und militanter Tierschützer, der schon mal Schweine aus einem Transporter befreit. Die Polizei ermittelt, die Presse erfährt davon. Das Menschliche zeigt sich noch in anderen Dimensionen: Nyborg ist jetzt 53, leidet unter Hitzewellen, Nachrichtenchefin Fønsmark gerät mit einer Moderatorin aneinander, diese Enge in der journalistisch-politischen Blase amalgiert das genuin Politische mit Diversität, Gender- und Altersfragen und Aktivismus in vielerlei Richtungen. Was komplex kompliziert genug ist, was Konzentration erfordert, doch nicht Überforderung auslöst.

Kreateur, Chefautor und Produzent Adam Price lässt seine Protagonisten und das in konzentrischen Kreisen herumgelagerte Einfluss- und Ausflusspersonal immer wieder die Zentralperspektive bespielen: Wer übt die Kontrolle aus, welche Figur muss begreifen und damit fertigwerden, dass diese Machtimpulse sie korrumpieren, ihre Menschlichkeit angreifen und ihren Sinn für Integrität unterspülen können? „Das Reich, die Macht und die Ehre“, dieser Titel wird hier Programm, Inhalt und Dramaturgie für acht Folgen, die vom Leben erzählen und doch fern vom Lebenskitsch sind.

Serie der Frauen für Frauen und Männer

Eine Serie der Frauen für Frauen und Männer. Im Fokus steht die Politikerin Nyborg, eine Figur, mit der ihre Darstellerin Sidse Babett Knudsen verwachsen zu sein scheint. Ihre Birgitte Nyborg ist selbstbewusst, ehrgeizig, raffiniert und doch „dunkler“ als in den früheren Staffeln. Nicht bloß eine zentrale Figur, sondern ein Charakter, aufgesogen von der Politik, aufgegangen in der Politik mit allen Wirkungen und Nebenwirkungen: geschieden, der Sohn mal zu-, mal abgewandt, kaum Freunde. „Borgen IV“ ist alles andere als eine Glorifizierung dieses „Geschäfts“ und seiner Akteure.

Es ist erkennbar, dass der gesamte Cast die vierte Staffel zum Erfolg spielen will. Die Protagonistinnen und Protagonisten, allesamt haben sie in diesem Schachspiel ihre Funktionen, ihre Bewegungsmöglichkeiten, ihre Individualitäten, das macht auch jene interessant und attraktiv.

Kasper Juul fehlt

Manch prägende Figur wie Nyborgs gewiefter Berater Kasper Juul (Pilou Asbæk) fehlt in der Fortsetzung, muss aber nicht vermisst werden, das Personal-Tableau im äußeren wie im inneren Machtzirkel der Ministerin ist reichlich bestückt, wobei Staffel IV deutlicher über Frauenfiguren erzählt wird – ein großes Lehrstück in politischer, medialer, weiblicher Rhetorik (auch bei Intrigen). Und eben ein Duell zwischen der Außenministerin und der Premierministerin, Signe Kragh ist jünger, karriereorientierter, pragmatischer und kann die sozialen Medien exquisit bedienen. Der Richtungsstreit zwischen beiden nimmt zu – fällt Nyborg „breaking bad“?

Das Autorenteam unter Führung von Adam Price sorgt stets für den Überblick im quirligen Hin und Her, keine Sorge, nicht anders agieren die wechselnden Regisseurinnen und Regisseure, die den „Borgen“-Sound erneut zum Klingen bringen. Weshalb das Menschliche nicht zu kurz kommt, neben Nyborg personifiziert durch Dänemarks „arctic ambassador“ für Grönland, Asger Holm Kirkegaard. Mikkel Boe Følsgaard spielt ihn mit Ernst und Skrupel, die Liebe, diese Himmelsmacht, provoziert eine Affäre mit einer verheirateten Frau.

Wenige Schauplätze

„Borgen IV“ nimmt den Druck seiner wenigen Schauplätze aus den Vorgängerstaffeln auf. Das verlangt sehr genaues, fein abgezirkeltes Agieren. Ist gebongt, jede Schauspielerin, jeder Schauspieler weiß, was zu tun und zu lassen ist. Eine feste Christiansborg ist unser Fernsehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false