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Medien: Dagegen ist kein „Kraut“ gewachsen

Fußball, Lafontaine, Papst: In ihren Boulevardblättern und Köpfen gewinnen die Engländer immer noch den Krieg gegen die „Hunnen“

In manchen Parks stehen Leute rum, die müssen immer laut „Ficken“ schreien, wenn einer vorbeikommt. Und in manchen Ländern wohnen Leute, die immer laut „Hitler“ schreien, wenn ein Deutscher vorbeikommt. „Kraut-Bashing“ hat in England eine lange Tradition. Dann brüllen vor allem Boulevardblätter „Nazi“, „Kraut“, „Hun“, „Fritz“ und „Blitz“ von ihren Titeln. Die Deutschen nennen es geschmacklos, und die Engländer plädieren auf lustig. Zuletzt haben sich die Boulevardzeitungen zur Papstwahl wieder selbst übertroffen. Nicht unwahrscheinlich, dass es zum Jubiläum des Kriegsendes am 8. Mai weitergeht. Regelmäßig fragt sich der Deutsche deshalb: Warum tut der Engländer das? Und kann er damit nicht einfach aufhören?

2002 verklagten zwei deutsche Motorola-Angestellte ihren englischen Arbeitgeber, weil sie nicht länger zusehen wollten, wie ihre Kollegen im Stechschritt durchs Büro marschierten und „Obersturmbannführer“ riefen. Aber einmal abgesehen von den gesteigerten Auflagen der Blätter hat das spaßige „Kraut-Bashing“ überhaupt keine Konsequenzen. Nicht, als 1996 zum EM-Halbfinale der Deutschen gegen die Engländer zwei Spieler mit Stahlhelm auf die Titelseite des „Mirror“ kamen, nicht, als sie, den deutschen Akzent imitierend, schrieben: „Achtung! Surrender, For you Fritz ze Euro 96 Championship is over“. Und auch nicht, als die „Sun“ 1999 den damaligen Finanzminister Oskar Lafontaine als „The most dangerous man in Europe“ bezeichnete.

Der Reflex ist immer gleich – auf beiden Seiten. Die Engländer schwingen ihre geharnischten Schlagzeilen, und der getretene Hund jault auf. „Was soll das?“, jammerte die „Bild“ über die Stahlhelm-Spieler. „Briten beleidigen deutschen Papst“, schrieben sie jetzt nach den Papst-Titeln „From Hitler youth to Papa Ratzi“ und „God’s Rottweiler“. Die Engländer lachen dann reflexhaft und laut und entschuldigen alles mit ihrem schwarzen Humor. Die Deutschen machen sich in der Regel ernsthaft Sorgen. Dann kommen die Studien und Kampagnen und die Austauschprogramme.

Das Goethe-Institut entrollte Poster, die die Klischees aufs Korn nahmen. Aber der Effekt war gering, die englischen Scherze schossen weiterhin ins Kraut. 1990 wurde der deutsche Botschafter in London, Manfred von Richthofen, bei der „Sun“ vorstellig und sprach mit den Chefs. Auch das half nichts. Am Tag darauf titelte das Blatt bösartig: „The Hun talks to the Sun“. 2003 fand die britische Schulaufsichtsbehörde heraus, dass ihre Schüler mehr über den Nationalsozialismus lernen, als über alle anderen Ereignisse zusammen. Die Deutschen registrierten entsetzt: Nur ein Prozent der Briten lernt Deutsch. Nach einer anderen Studie kennen 63 Prozent der Engländer keinen berühmten Deutschen, und der Rest kennt bloß Claudia Schiffer. Alarm, Alarm. Die Deutschen unternehmen eine ernsthafte Studie nach der anderen, um herauszufinden: Was denken die Engländer wirklich über die Deutschen? Das Problem ist: Sie denken überhaupt nicht.

Als Prinz Harry im Januar ganz selbstverständlich zu einer Kostümparty im Rommel-Kostüm mit Hakenkreuzbinde erschien, glaubte niemand, dass er wirklich ein Nazi sei. Aber diese Arglosigkeit! Als könnte man sich ein Hakenkreuz wie eine Che-Guevara-Nadel anstecken. Dabei hantieren die Briten mit den Symbolen, ohne den Inhalt überhaupt noch zu kennen. Ausgerechnet in einer „Blitzumfrage“ fand die BBC daraufhin heraus, dass 45 Prozent aller erwachsenen Briten und 60 Prozent der Unter-35-Jährigen nicht wissen, wofür Auschwitz steht. Das ist nun einerseits ein ganz neuer, eigener Skandal, enthebt aber andererseits den Angeklagten von dem Vorwurf der Bösartigkeit. Hitler ist längst ein „running gag“, immer eine treffsichere Pointe.

Was also, wenn das alles bloß ein Spiel ist? Ein Gag, der sich verselbständigt hat? Wenn die Schlagzeilen nicht den Gesetzen der Meinung und der Moral, sondern denen des Marketings und des Marktes gehorchen? Das Wesen der Pointen, der Werbung und der Schlagzeilen ist die Verknappung. In allen drei Disziplinen, heißt es immer, sind die Engländer den Deutschen um Jahre voraus.

Einmal angenommen, Hitler wäre eine Marke. Die Qualität einer guten Marke wird an ihrem Bekanntheitsgrad gemessen. Der Wiedererkennungswert der Deutschen in all den unübersichtlichen Staaten Europas ist mit Hitler eindeutig gegeben. Wobei ein Großteil der Leute den Namen erkennt, ohne etwas über den Inhalt zu wissen. Aber man darf auch niemals die Marke mit dem Produkt selbst verwechseln. Und das Symbol nicht mit seiner Bedeutung. Deutschland als Nazireich ist eine wilde, freilaufende Marke, die sich losgerissen und dem Willen der Produzenten entzogen hat. Wenn man so will, ist Hitler die zäheste, langlebigste Marke, die die Deutschen hervorgebracht haben, noch vor den Autobauern, Süßwaren- und Schnupftuchherstellern. Sie hat eingängige Slogans, ein unverwechselbares Logo und Jingles, die akustisch die Botschaft unterstützen. „Blitz“ und „Fritz“ sind Worte, die ihrerseits lautmalerisch strammstehen. Es hilft auch, dass „Hun“, „Blitz“, „Kraut“ und „Nazi“ nicht mehr als fünf Buchstaben haben.

Humor ist dann schwarz, wenn er mit Tabus hantiert. Und es funktioniert großartig. Jedes Mal suchen die Deutschen nach passenden Gründen für die vermeintlich immer neu ausbrechende Deutschen-Feindlichkeit. Und jedes Mal war es doch wieder nur der alte Reflex, nach dem es am meisten Spaß macht, denjenigen zu hänseln, der sich am meisten betroffen fühlt. Oder so tut.

Die deutschen Boulevardblätter nehmen die Tiraden der Engländer ernst. Übermäßig, wie manche finden. Warum wohl? Vielleicht, weil ihr Massenblatt nach den gleichen Gesetzen funktioniert und deren Auflage auch gerne mal einen Hitler verträgt (beim „Spiegel“ ist das nicht anders). Ist also, was wie ein Krieg der Blätter aussieht, gar ein geheimes Bündnis im Dienste der Auflage?

Es ist, als antworteten die Deutschen auf die Provokationen immer im gleichen Muster: Enttäuscht und mit gutgemeinten Kampagnen. Wenn ihnen wirklich daran gelegen wäre, die Hänseleien zu beenden, dürften sie nicht immer passiv abwarten, was passiert. Sie müssten einfach mal den besseren Witz über sich erzählen.

Wer wissen will, von wem sich die Engländer regieren lassen, sollte heute um 21 Uhr 45 die ARD einschalten: „Mister Tony Blair – Porträt eines Machtmenschen“. Am 5. Mai finden in Großbritannien Unterhauswahlen statt.

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