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Provokation. Mit dieser Ausgabe machte sich die Zeitschrift „Sputnik“ im November 1988 bei der SED-Führung keine Freunde.

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"Sputnik"-Verbot vor 30 Jahren: Das unerträgliche Magazin

„Wenn Russland Krieg führt, dann ziehen wir mit in die Schlacht“ – der „Sputnik“ heute und vor 30 Jahre, als Erich Honecker die sowjetische Zeitschrift verbot.

„Weißes Papier“, so nannten die Redakteure des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ die ganz besonderen Nachrichten. Sie kamen, noch bevor die Agentur ADN sie über den Fernschreiber verbreitete, täglich per Kurier aus dem Zentralkomitee der DDR-Staatspartei. Es verstand sich, dass kein Wort verändert werden durfte. Oft legten die führenden Genossen von der Abteilung Agitation die Platzierung in der Zeitung fest. So auch vor 30 Jahren am 18. November 1988.

Der charakteristischen Paraphe „E. H.“ auf dem Papier hätte es gar nicht bedurft, das eigenwillige Deutsch verrät den Autor Erich Honecker. Die „ND“-Abonnenten bekommen es am darauffolgenden Tag auf Seite Zwei unter der Überschrift „Mitteilung der Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen“ zu lesen: „Berlin (ADN). Wie die Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen mitteilt, ist die Zeitschrift ,Sputnik‘ von der Postzeitungsliste gestrichen worden. Sie bringt keinen Beitrag, der der Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft dient, stattdessen verzerrende Beiträge zur Geschichte.“

Der Unmut über den „Sputnik“ wächst in der SED-Führung schon seit Längerem, mit dem Oktober-Heft ist für Honecker das Maß voll. „Stalin und der Krieg“ ist das Thema. Der Beitrag über den Hitler-Stalin-Pakt erscheint den Oberen unerträglich, geht er doch ausführlich auf das geheime Protokoll ein, das die deutsch-sowjetische Verabredung zur Vernichtung Polens und der baltischen Staaten enthält. Die SED-Führung leugnet hartnäckig, dass es eine solche Absprache gegeben habe. Völlig unfassbar aber ist für Honecker ein Essay des Schriftstellers Julian Semjonow. Der spricht den deutschen Kommunisten eine Mitschuld an der Machtergreifung Hitlers zu, weil sie auf Geheiß Stalins und seiner „Sozialfaschismus-Theorie“ das Bündnis mit den Sozialdemokraten verweigerten. „Hätten sie es getan, so wäre es Hitler nicht gelungen, die Reichstagswahlen zu gewinnen“, schreibt Semjonow. Die Kritik trifft die Altkommunisten ins Mark. Solche Provokationen dürfen sich nicht wiederholen.

Der „Sputnik“ ist mit seiner Auswahl aus sowjetischen Zeitungen und Zeitschriften dem amerikanischen „Readers Digest“ nachempfunden. Die staatliche Auslandspresseagentur Nowosti produziert ihn seit 1967 in sieben Sprachen. Die deutschsprachige Auflage wird in Finnland auf Tiefdruckpapier gedruckt. In der DDR hat der „Sputnik“, der auch im Westen vertrieben wird, 130 000 Abonnenten. 60 000 Exemplare werden am Kiosk verkauft, doch da ist das Magazin im Herbst 1988 Bückware – glücklich, wer ein Heft ergattern kann.

Die Angst der DDR-Oberen vor Glasnost

Nicht immer war das Interesse so groß. Zum Entsetzen der deutschen Genossen hat sich Gorbatschows Ankündigung von Glasnost, seine Politik der Öffnung und der Offenheit, nicht als hohle Phrase erwiesen. Die Sowjetunion wandelt sich. Die Medien verschweigen weiter manches, aber vieles aus den lange verschlossenen Archiven wird in großer Auflage gedruckt. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus beginnt von Neuem, und eine öffentliche Diskussion über Gebrechen des real existierenden Sozialismus gibt es zum ersten Mal. Ein Hauch von freier Presse ist zu spüren – auch in der Auswahl, die der „Sputnik“ den DDR-Bürgern bietet.

Vom „Sputnik“ übernimmt auch die beliebte „Wochenpost“ Artikel. Manches ist eigentlich harmlos, wie die Reisereportagen über Kamtschatka-Krabben oder Hirschjagd im Berg-Altai. Je länger Gorbatschow ein neues Denken fordert, desto mehr wird die Berichterstattung aus dem „Freundesland“ zum Drahtseilakt. Ab Mitte 1987 fehlt das „Sputnik“-Logo in der „Wochenpost“. Dann kommt im Frühjahr 1988 die Anweisung aus der Abteilung Agitation an die Redakteure: „Unsere Medien sind keine Spielwiese für irgendwelche Glasnost“. So ist es konsequent, dass ein halbes Jahr später auch das Original verboten wird.

Damit erreicht die SED-Führung das, was sie zu verhindern sucht: eine breite Diskussion über die Reformbedürftigkeit der DDR. Gegrummelt hatte es schon vorher. Für Unmut sorgte 1987, dass der Film „Die Reue“ des Georgiers Abuladse, eine Abrechnung mit dem Stalinismus, nicht in die DDR-Kinos gelangte. Das hinderte leitende Redakteure von „Neuem Deutschland“ und der „Jungen Welt“ nicht daran, das Werk, das die DDR-Bürger nicht kannten, in Kritiken zu vernichten. Das „Sputnik“-Verbot, auch das wird aus den MfS-Berichten deutlich, ist im Winter 1988/89 zentrales Thema politischer Gespräche von Dissidenten und SED-Mitgliedern – wenn auch nicht von Diskussionen miteinander. Die Zensurmaßnahme ist eines der Ereignisse, die wesentlich zur Erosion des real existierenden Sozialismus beitrugen.

Niederträchtiges Spiel mit dem Namen

Nach dessen Ende versank das Magazin in der Bedeutungslosigkeit. Heute ist „Sputnik“ zurück auf dem deutschen Medienmarkt. Es ist jedoch ein niederträchtiges Spiel mit dem Namen. Das Magazin der 80er Jahre war der vorsichtige Versuch sowjetischer Auslandspropaganda, das Bild von der Sowjetunion realistischer und damit wahrhaftiger zu gestalten. Das Online-Nachrichtenportal „Sputnik“ von heute gibt dagegen nur vor, eine Alternative zu „Mainstream“ und „Systemmedien“ zu sein. Tatsächlich ist es zu hundert Prozent Kreml-Mainstream und ein zentrales Element in Putins System der hybriden Kriegführung.

In Deutschland bietet das „Sputnik“Portal vorrangig Aluhelmträgern und rechten Stimmungsmachern eine Plattform. Margarita Simonjan – Chefin der Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja, zu der „Sputnik“ gehört – fasste den journalistischen Auftrag ihrer vollständig vom Kreml finanzierten Institution 2013 im „Spiegel“-Interview in einem Satz zusammen: „Wenn Russland Krieg führt, dann ziehen wir mit in die Schlacht.“

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