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Impro-Serie „Kranitz“: Der Quertreiber
Große Schauspielkunst ohne viel Drehbuch - das kann nur Jan Georg Schütte. Wie nebenbei ist die Impro-Serie „Kranitz“ auch noch subtile Gesellschaftsdiagnose.
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Was haben der Hund Wilma, Dunja Hayali, „Conquest of Paradise“ von Vangelis, Spaghetti Bolognese, der Ski-Ort Ischgl, Youtube und ein nachdenklicher Auftragskiller mit Paartherapie zu tun? Nun, fragen Sie Jan Georg Schütte. Oder schauen sich am besten gleich in der Mediathek die Serie „Kranitz – Bei Trennung Geld zurück“ an“, das mit Abstand Unterhaltsamste, was der Sender derzeit nonlinear anzubieten hat.
Was vor allem am Autoren und Hauptdarsteller liegt: Schütte als windiger Paartherapeut und Gelegenheitsmakler Klaus Kranitz, der das übliche Therapie-Verfahren nur für teure Trennungsbegleitung hält. Sein Selfmade-Ansatz verspricht den schnellen Erfolg.
Ob dröges Öko- oder cooles Youtube-Paar, Verschwörungscouple, die bröckelnde Liebe zwischen einer Heiratsschwindlerin und einem Auftragskiller, es gilt für alle: Drei Sitzungen für 1500 Euro, bei Misserfolg Geld zurück.
Um die Beziehungen seiner Kundschaft zu reparieren, ist dem unkonventionellen Paartherapeuten mit Vorliebe für mobile Metaphern („wenn ihre Beziehung eine Auto ist, wie sieht es da mit dem Getriebe aus?“) kein Mittel zu abwegig.
Mal wirft Kranitz nur einen Hundeknochen hin, mal schickt er sein kriselndes Paar für Wochen zur Selbstfindung in die Eremitage, mal gibt er Mordbefehle, mal manipuliert er selbst als Influencer, mal nutzt er seine Kontakte zu Immobilienmaklern und Halbwelt.
Therapie-TV wie auf Koks – das Ganze beruht auf einer Hörspiel-Serie, die Schütte mit Wolfgang Seesko vor ein paar Jahren für Radio Bremen entwickelt hat. „Nach meinem Film ,Wellness für Paare’ habe ich ein komödiantisches Format gesucht, um das Thema Paartherapie weiter zu betreiben“, sagt der Autor. Die Serie habe dort für Furore gesorgt, da war klar: Das muss jetzt auf eine größere Bühne. So kam die ARD ins Spiel.
Schütte, zugleich noch Regisseur, verkörpert mit mephistotelischer Brillanz den ebenso raffinierten wie abgründigen Titelhelden der sechsteiligen Serie. Auch die Paare sind exzellent besetzt: Lisa Hagmeister, Günther Maria Halmer, Katharina Heyer, Charly Hübner, Bjarne Mädel, Aurel Manthei, Bjarne Meisel, Thomas Niehaus, Mercy Dorcas Otieno, Gustav Schmidt, Anna Schudt und Angela Winkler.
Es muss ihnen allen eine reine Freude gewesen sein. Das Ensemble nutzte die spielerische Freiheit des Impro-Formats, um die Besonderheiten und Absurditäten ihrer Charaktere spontan vor laufender Kamera zu entwickeln.
„Endlich darf ich mal selber spielen!“
Fernsehpreiswürdig wird „Kranitz…“ tatsächlich dann, wenn man Schütte glauben muss, dass das nicht stur einem Drehbuch folgt, sondern improvisiert ist, auch wenn man es gar nicht glauben kann, weil hier in fast sechs Stunden Serienfernsehen fast jeder Satz sitzt ("Kranitz - Bei Trennung Geld zurück“, sechs Folgen in der ARD-Mediathek, ab 20.10., mittwochs, 22 Uhr 30, N3).
„Das ist wieder 100 Prozent Impro“, sagt Schütte dem Tagesspiegel, wie schon bei seinen mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Spielfilmen „Altersglühen – Speed-Dating für Senioren“, „Klassentreffen“ oder zuletzt „Für immer Sommer 90“. Anders könne er nicht. „Aber wunderbar, dass man es nicht erkennt. Das ist mein Ziel!“
Sein Ziel war es sicher auch mal, so eine Type zu spielen, wo Schütte in seinen Filmen zuvor eher Cameo-Auftritte hatte. Dem flackernden Mienenspiel von Kranitz könnte man auch ohne Patienten-action und Quertreiberei beim Blick aus dem Fenster oder einfach nur beim Rasieren zuschauen.
Diese Rolle muss auch ihm einen Mordsspaß bereitet haben? „Endlich darf ich mal selber spielen!“, sagt Schütte. „Das hatte ich mir ja in meinen Filmen bisher nur in winzigen Nebenrollen gestattet. Aber hier, als Therapeut, bin ich ja der Chef meiner Sitzungen. Da muss ich auch selber ran.“ Auch wenn ihm in seiner Dreifach-Rolle als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller, der das Ganze auch noch aus dem Moment heraus entwickelt, ganz schön die Synapsen gebrannt hätten.
Das Feuer hat sich gelohnt. Nebenbei ist das von Klaas Heufer-Umlauf mit-produzierte Format noch ganz große Gesellschaftsdiagnose. Dass, was Tini (Lisa Hagmeister) und Jochen (Charly Hübner), bei denen es mit der Sexualität hakt, gleich in der ersten Folge auf die Couch des Therapeuten bringen, passt gut zu allem, was man gerade über die Schwierigkeiten gemeinsamer Realitäten, Fake News und Verschwörungsansätzen liest.
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