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Die Toten Hosen am Start. Ein Geheimkonzert im März 1983 in der Ostberliner Erlöserkirche galt bisher als Kuriosität in der Karriere der Düsseldorfer Band.

© SWR

Dokumentarfilm über die Toten Hosen: Geheimsache Punk

Als die Toten Hosen 1983 in einer Ostberliner Kirche auftreten, wissen nur Eingeweihte davon. Der Dokumentarfilm „Auswärtsspiel“ erzählt von einem kaum bekannten Kapitel des deutsch-deutschen Underground.

Die Toten Hosen sind 1983 ein vorlauter, notorisch trunkener Haufen bunt gekleideter Punks und ziemlich „auf Krawall gebürstet“, wie ihr Sänger Campino sagt. Von einem Freund gefragt, ob sie in Ostberlin auftreten würden, nicht offiziell natürlich, da sagen sie sofort zu.

Sowas entspricht genau ihrem Sinn für Abenteuer und Renitenz. „Gucken wir mal, ob wie den Punkrock da hinbringen können“, sagten sie, wie Gitarrist Kuddel sich erinnert. Bei ihrer Ankunft mussten sie feststellen: „Der war eigentlich schon längst da.“

Das Geheimkonzert vom 27. März 1983 in der Erlöserkirche galt bisher als Kuriosität in der Karriere der Düsseldorfer Band, die seit langem zu den erfolgreichsten des Landes gehört. Bilder existierten nicht, und die wenigen Eingeweihten, die dem Auftritt beiwohnten, betrachteten ihn eher als persönlichen Glücksfall denn als historisches Ereignis.

Dass Martin Groß sich diesem kleinen innerdeutschen Grenzverkehrs in seinem Dokumentarfilm „Auswärtsspiel“ ausführlich widmet, hat dennoch seinen guten Grund: Zeigt er nämlich,was Musik einmal denen bedeutet hat, die sich nirgends zugehörig fühlten, aber auch dass Erlebnishunger für Jugendliche im Westen etwas ganz anderes bedeutete als im Osten.

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Und dass Bands, die damals gleich gut waren, ganz andere Voraussetzungen besaßen. Schließlich: Dass die Toten Hosen nicht wegen ihrer Hits („Hier kommt Alex“, „An Tagen wie diesen“) eine wichtige Stimme wurden, sondern weil die nur Nebensache blieben. („Auswärtsspiel: Die Toten Hosen in Ost-Berlin“, Mittwoch, ARD, 22 Uhr 50. Oder als dreiteilige Serie in der ARD Mediathek)

Den konspirativen Ausflug nach Lichtenberg betrachtet Campino auch 40 Jahre später noch als einen der „wichtigsten Momente der Bandgeschichte“, ein „Riesengeschenk für uns“. Die fünf Musiker schlichen sich verkleidet durch die Grenzkontrollen am Tränenpalast, sahen also zur Abwechslung mal normal aus. Als Kontaktperson in den Osten hatte sich Mark Reeder angeboten, ein Engländer mit einem schrägen Hang zu Uniformen, der nach Westberlin gekommen war, weil er darüber nur Schreckliches gehört hatte.

„Ich wusste, dass das extremst verboten war.“ Eine erste Verhaftungswelle hatte im Jahr zuvor bereits die Reihen derer in der DDR gelichtet, die von Stasi-Chef Erich Mielke als „Dreck aus dem Westen“ diffamiert worden waren. 1983 sollte er dann den Befehl zur Zerschlagung der Szene geben.

„Deshalb sind wir zusammen. Für solche Sachen“

Campino ging damals noch zur Schule. Auch ihm war die Gefahr bewusst. „Deshalb sind wir zusammen. Für solche Sachen“, sagt er heute. In der „besetzten“ Wohnung einer Punkerin gab es Kuchen und Eierlikör, das Westfernsehen lief. Die Ost-Punks staunten nicht schlecht, als sie plötzlich ihre Gäste in einem ZDF-Beitrag namens „BAP und die Toten Hosen – zwei Bands, zwei Welten“ gewürdigt sahen – als Truppe aus dem kulturellen Untergrund. Es war eine jener medialen Verzerrungen, von der die 80er Jahre geprägt waren.

Als Vorband spielte Planlos. Ein durchaus von sich selbst überzeugtes Punkrock-Quartett, dessen Sänger Michael „Pankow“ Boehlke damals dachte: „Wir sind hier die Stars“. Trotzdem ging für sie mit dem Besuch aus dem Westen ein Wunsch in Erfüllung. Einmal eine „echte Punkband“ erleben zu können, mehr wollten sie nicht, so wenig wie sie überhaupt mitbekamen von der Jugendrebellion auf der anderen Seite.

Damit hätte die Sache abgehakt sein können. Man hatte der Stasi ein Schnippchen geschlagen, die nichts von dem Konzert mitbekam. Um die Leute, die das ermöglicht hatten, nicht in Verlegenheit zu bringen, behielten die Toten Hosen ihr Erlebnis für sich. Während ihre Karriere wenige Monate später mit dem Album „Opel-Gang“ enorm an Auftrieb erhielt, gerieten Planlos in die Mühlen der Stasi, deren Mahlwerke die Band zerstörten. Die Musiker bekamen Einberufungsbescheide und verschwanden in NVA-Kasernen.

„Natürlich haben wir versucht, Zwist in die Szene zu bringen und sie auseinander zu treiben“, sagt ein ehemals zuständiger Stasi-Offizier, den Regisseur Groß aufgetrieben hat. Punk war für ihn etwas, das vom Westen kam. Dadurch waren Maßnahmen gegen die eigene Jugend von der „Systemauseinandersetzung“ gedeckt.

So rechtfertigt er sich heute. Planlos wurde von der Stasi kaputt gemacht, indem Sänger Boehlke kompromittiert wurde und seine Bandkollegen sich von ihm zu lösen gezwungen waren. Noch heute erschüttert ihn, „dass wir doch keine Chance hatten, Musik zu machen und Stars zu werden, das ist für mich total tragisch.“

„Sibirien, der Verbannungsort / Zu Tausenden schafft man sie fort"

Während man als Punk im Westen „tun konnte, was man wollte“, wie Kuddel nachdenklich sagt, konnten die Punks in der DDR genau das nicht. Deshalb hat „Auswärtsspiel“ einen zweiten Akt, der beschreibt, wohin das Paradigma von der „Zerstörung der Konformität“ (Reeder) führte.

Im Westen erlaubte er es den Toten Hosen, berühmt und reich zu werden und sich schließlich selbstironisch mit einem luxuriösen Tourbus auf die Spur in die Vergangenheit zu setzen.

Und im Osten?  Als die Toten Hosen ihren Coup 1988 wiederholen wollten, in der Hoffnung, dass die Stasi wieder nichts mitbekommen würde, war diese eingeweiht vom Sänger der Vorband Die Vision – und machte massenweise Filmaufnahmen.

Obwohl die Punker sich einerseits viel offener zeigten, waren sie andererseits so stark von Informanten unterwandert, dass der Apparat selbst große illegale Konzerte wie dieses auf dem Kinderspielplatz einer Kirchengemeinde in Prenzlauer Berg stattfinden ließ, vielleicht sogar organisierte.

Heikel blieb es aber wohl dennoch, vor etwa vierhundert Leuten einen Song wie „Disco in Moskau“ zu spielen, in dem Campino singt: „Sibirien, der Verbannungsort / Zu Tausenden schafft man sie fort … Das Ende ist nah / Für Lenin und Marx.“

Am Ende steht die versöhnliche Geste. Sämtliche Beteiligten treffen sich nochmals in der Erlöserkirche. Und Die Toten Hosen spielen einen jener politisch aufgeladenen Planlos-Songs, die in der Szene einst wichtig waren. Schlagzeuger Bernd Michel Lade weint vor Rührung und auch Campino, ihn anblickend, kann seine Tränen kaum verbergen. Den „Sinn unserer Gemeinschaft“ hat Campino immer in solchen Momenten erkannt, in denen es über die Musik hinaus ging.

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