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Shortcuts: Jugend schützt vor Einfalt nicht

Youtube soll das neue deutsche Fernsehen bieten. Doch ob nun von Ufa oder von Endemol produziert - wer in die zwölf Kanäle klickt, blickt meist ins Leere.

War das ein Getöse: Youtube macht deutschem Fernsehen Konkurrenz! Youtube startet weltweite Senderoffensive! Youtube wird das Fernsehen verdrängen! Seit Jahren geht das so. Keiner guckt mehr Fernsehen, alle schauen Internet! Vor allem die Jungen! Weil ARD und ZDF vergreisen und fast nur langweiligen Kram bringen. Im Oktober hatte die Google-Tochter Youtube endlich verkündet, mit insgesamt 60 Kanälen, die sich vor allem an ein junges Publikum wenden, den europäischen Markt aufzumischen. 48 kommen aus Frankreich und Großbritannien, die restlichen zwölf aus Deutschland. Und nun kann man sie bestaunen, die innovativen Formate, die den traditionellen Sendern das Fürchten lehren sollen. Die zeigen, was alles möglich ist, wenn nicht ständig dröge Redakteure dazwischenfunken und jegliche Kreativität im Keim ersticken.

Das neue deutsche Fernsehen heißt Trigger, eNtR Berlin, Boneless, Ponk, Survival Guide for Parents, What’s for (b)eats?, Motorvision, Onkel Bernis Welt, HappyAndFit, High 5 und Los!, zqnce und Shortcuts – Movies in your Face!. Es geht um Crime, Musik, Film, Lifestyle, Motorsport, Fitness und Spaß. Ziel ist es, Youtube mit professionellen Inhalten zu bereichern, und zwar im wörtlichen Sinn.

Natürlich spielen ökonomische Erwägungen die Hauptrolle bei den Bemühungen um digitale Präsenz. Die Fernsehproduzenten suchen nach neuen Geschäftsmodellen, weil sie von den Sendern immer weniger Aufträge bekommen und Angst haben, im Internet einen ertragreichen Trend zu verpassen. Google-Tochter Youtube möchte ebenfalls Geld verdienen und versucht, die werbetreibende Industrie auf ihre Seite zu locken. Das gelang bisher nur spärlich, weil die Unternehmen ihre Produkte lieber im Umfeld von inhaltlich kalkulierbaren Formaten platzieren als womöglich neben brutale, kriminelle, sexistische oder politisch inkorrekte Privatvideos. Deshalb zahlt Youtube den Produzenten sogar eine Anschubfinanzierung in ungenannter Höhe, die Werbeerlöse werden geteilt – allerdings für höchstens zwei Jahre, dann müssen die Formate sich selbstständig von Werbeeinnahmen finanzieren. Allen gemein ist, dass sie die Zielgruppe „25 Minus“ umgarnen, weil die ja ständig „im Internet unterwegs“ und vor allem noch viel länger Konsument ist als zum Beispiel die Generation „50plus“.

Allein fünf der zwölf Formate werden von der Ufa und von Endemol produziert, zwei Großunternehmen, die mit der Produktion von TV-Formaten aller Art jahrelang Erfolg und Erfahrung haben. Endemol hat dafür die Tochterfirma Endemol beyond gegründet, die als „kreative Keimzelle Online Channel produzieren und betreiben“ soll. Die Ufa unterhält seit 2009 in Berlin das Ufa-Lab, in dem ein Team von jungen Köpfen neuartige Inhalte und Erzählweisen auf der Schnittstelle zwischen klassischem Fernsehen, Web-TV, Videos und Games für alle neuen digitalen Technologie- und Distributionsplattformen entwickelt und auch die zwei Ufa-Formate kreiert hat. Hier werde „um die besten Inhalte“ gekämpft, „um sich von der Vielzahl der Angebote abzuheben“, erklärte Ufa-Chef Wolf Bauer. Kann das schiefgehen? Es kann.

Die erfolgreichsten Kanäle sind der Motorsport und Stuntmen-Kanal Motorvision

Nicht nur beim „weltweit ersten Kanal zum Thema Verbrechen“ Trigger.tv sucht man vergeblich nach Innovation und grenzenloser Fantasie. In den einzelnen Episoden werden Verbrechen von einer Moderatorin schlicht nacherzählt und dazwischen ein paar Fachleute interviewt. Das wirkt zum Teil so uninspiriert und spannungslos (und das beim Thema Verbrechen!), dass man sich unvermittelt nach dem „Aktenzeichen XY“ vom ZDF sehnt.

Grimme-Online-Gewinner Udo Vetter mit seiner Ratgeber-Rubrik „Vetter’s Law“ stößt in Inhalt und Präsentation an die Grenzen der Zumutbarkeit. Wenn er dann auch noch mitteilt, dass einen die Abschaffung aller Rundfunkgeräte von der Entrichtung des neuen Rundfunkbeitrages befreit (was nicht stimmt), verliert man zudem den Glauben an seine Kompetenz. Mit 94 000 Aufrufen und 3200 Abonnenten in über zwei Monaten könnte es Trigger zudem schwer haben, genug Werbekunden zu überzeugen. Eine Fernsehsendung mit diesen Quoten wäre längst abgesetzt.

Aber so geht es den meisten Formaten: Sie bekommen nicht genug Zuschauer und Abonnenten. eNtR Berlin, ebenfalls von der Ufa, zeigt die Hauptstadt „rau, experimentell und so lustig, wie sie ist“ und will die neuesten Trends aufzeigen. In den Clips kommen alle möglichen Leute zu Wort und können Selbstgenähtes, Selbstgebasteltes oder Selbstkomponiertes präsentieren, und das sogar mit englischen Untertiteln. Trotz der Internationalität hat der Kanal bisher nur 2500 Abonnenten und wurde rund 169 000-mal aufgerufen. Wie auch bei den meisten anderen „Original Channels“ bewegt sich die Klickzahl der einzelnen Clips im unteren drei- bis vierstelligen Bereich; ein Interview mit der Schauspielerin Nora Tschirner wurde in 14 Tagen nur 2400-mal angesehen.

Die erfolgreichsten Kanäle sind der Motorsport und Stuntmen-Kanal Motorvision mit über 39 000 Abonnenten und über 50 Millionen Aufrufen, der nicht besonders witzige Comedy-Kanal Ponk mit über 224 000 Abonnenten und 14,6 Millionen Aufrufen sowie High 5 und Los! mit 50 000 Abonnenten und 2,6 Millionen Aufrufen. Letzteres ist eines der wenigen gelungenen Formate, in dem die fünf Moderatoren (allen voran Fabian Siegismund, Redakteur bei der Computerzeitschrift „GameStar“) fachlich eloquent Filme, Serien, Musik und Videospiele vorstellen und besprechen.

Was am meisten irritiert, ist, dass all die kreativen, jungen, innovativen Köpfe offenbar keine Ahnung davon haben, wie Humor funktioniert. Dabei wollen fast alle Formate irgendwie lustig sein – klar, ist ja für junge Leute. Das sieht dann so aus, dass die Protagonisten vorzugsweise mit dummem Gesicht möglichst laut Sinnentleertes von sich geben und sich vermutlich dabei vorkommen wie Mario Barth. Oder – wie innovativ aber auch – mit Kamera und Mikro auf die Straße gehen und Passanten seltsame Fragen stellen. Oder wenn, wie bei Onkel Bernis Welt, „Pornostars“ Kochrezepte präsentieren – zum Fremdschämen. Youtube löst das traditionelle Fernsehen ab? Mit diesen Formaten wohl kaum. Auf Innovationen aus den digitalen Laboren darf weiter gewartet werden.

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