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Um einen zweiten Volksaufstand im Keim zu ersticken, hatte die DDR-Regierung unter Erich Honecker 85 000 im Visier.

© imago/Günter Schneider

ARD-Doku über die DDR: Listen und Lager

Eine sehenswerte TV-Dokumentation legt „Honeckers unheimliche Pläne“ für Massenverhaftungen in der DDR offen.

Am 9. Oktober 1989 stand es Spitz auf Knopf. Es war der Tag, an dem die Menschen in Leipzig den Lauf der deutschen Geschichte veränderten. Zwei Tage nach den gespentischen Feierlichkeiten zum 40. Staatsgründungsjubiläum der DDR kamen so viele Menschen zur Montagsdemonstration, dass es kein zurück mehr gab. Polizei, Stasi, Militär, Kampfgruppen, sie alle standen zwar bereit, die friedliche Revolution zu zerschlagen, doch es kam anders. Dabei hatte das SED-Regime minutiöse Pläne für solche Situationen in der Schublade.

In der Direktive 1/67 hatte die Partei- und Staatsführung im Krisenfall die Isolierung und Inhaftierung von potenziellen Staatsfeinden festgeschrieben, an dieser Linie hielt auch Erich Honecker fest. Die Namen von insgesamt 85 000 Personen, bei denen es sich um Bürgerrechtler, Kriegsdienstverweigerer, Ausreisewillige, Friedens- und Ökoaktivisten und sonstige Andersdenkende handelte, umfassten die Listen, die das Ministerium für Staatssicherheit sorgsam gepflegt hatte. Im Stasi-Bürokratendeutsch war von „Vorbeugekomplex“ die Rede.

„Es ist ein Wunder der Geschichte, dass diese Pläne nicht zur Anwendung kamen, heißt es in der sehenswerten TV-Dokumentation „Honeckers unheimlicher Plan – Wie die DDR ihre Bürger wegsperren wollte“, die am Montagabend in der ARD ausgestrahlt wird.

Keine Wiederholung des Volksaufstandes

Ziel der Direktive war es, alles dagegen zu tun, dass sich ein Volksaufstand wie am 17. Juni 1953 nicht wiederholen könnte. Im Ernstfall sollten die Regimekritiker nach Bekanntgabe eines Codewortes innerhalb von 24 Stunden aus dem Verkehr gezogen werden, zunächst in provisorisch umgewidmeten Einrichtungen wie Jugendherbergen, längerfristig hätten Burgen als „Isolierungsstützpunkte“ dienen sollen. Wie lange die Isolierung gedauert hätte und wann die Inhaftierten wieder freigelassen worden wären, darüber sagte die Direktive nichts.

„Das gibt zu denken“, lautet dazu der Off-Kommentar im Film von Katharina und Konrad Herrmann, die übrigens durch ein Newsletter des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen vor zwei Jahren auf das Thema aufmerksam wurden. Darauf folge eine akribische Suche in den vorhandenen Archiven, die dadurch erschwert wurde, das 95 Prozent aller Akten dazu in den Nassschredder landeten. Eine spätere Rekonstruktion ist dabei ausgeschlossen.

Ganz oben auf einer Liste in Weimar stand der Schriftsetzer und Stempelmacher Rudolf Keßner, einer der Zeitzeugen, mit denen die Dokumentaristen gesprochen haben und dessen Vergehen gegen den sozialistischen Staat darin bestand, das er über Wege aus dem Wehrdienst informierte hatte. „Das ist alles nicht lustig, gar nicht lustig“, ist sein Kommentar, als ihm das Filmteam in einem „Isolierungsstützpunkt“ Durchführungsanweisungen zu der Massenverhaftungs-Direktive zeigte. So sollten die Verhafteten unter anderem mit den Vorschriften zum Schusswaffengebrauch vertraut gemacht werden.

„Honeckers unheimlicher Plan - Wie die DDR ihre Bürger wegsperren wollte“, ARD, Montag 23 Uhr 30

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