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Überraschend fern jeder Gemütlichkeit: Charly Hübner als Jaschek Grundmann. Dessen neuer Job als Hausmeister beansprucht ihn voll und ganz – so wie einst Jack Torrance alias Jack Nicholson.

© Sky Deutschland/Reiner Bajo

Sky-Serie „Hausen“: Ein Hauch von „Shining“

Der Irre ist wieder der Hausmeister: Charly Hübner in der Mystery-Serie „Hausen“ mit einem übergriffigen Horror-Hochhaus. Gedreht wurde in Berlin-Buch.

Eine Wand ist eine Wand, sei sie aus Ziegeln oder Beton. Man kann sie anstreichen, mit Tapete bekleben, mit einem Vorschlaghammer malträtieren – sie bleibt eine Wand, nicht unzerstörbar, doch stabil. Was aber, wenn sie sich aufzulösen beginnt und verflüssigt, sodass jeder, der das nicht glauben will und sie prüfend berührt, in einen ekligen schwarzen Schleim greift? Will man, kann man in einem Haus mit solchen Wänden noch wohnen? Nein, so könnte man das nicht mehr nennen: Es wäre kein Wohnen, nur noch ein Hausen.

Spukhäuser, egal ob der Spuk nun real oder übersinnlicher Natur ist, haben im Kino eine lange Tradition. Beliebt waren viktorianische Holzbauten wie in Hitchcocks „Psycho“ mit Anthony Perkins als mörderischem Muttersöhnchen oder auch mal ein schlossähnliches Berghotel wie in Kubricks „Shining“ mit Jack Nicholson als durchgeknalltem Saison-Hausmeister. Aber ein Plattenbau offenkundig sozialistischer Machart? Und doch kann das betonierte Wohnungetüm in der von Sky passend zu Halloween startenden Serie „Hausen“ vor jedem traditionellen Hexenhaus bestehen.

Dieses Gebäude ist der eigentliche Hauptdarsteller der langsam sich steigernden, zwischen Horror und Mystery changierenden Geschichte, ein mit einem rätselhaften Fluch beladener 18-Geschosser. Labyrinthisch, voller verwinkelter Flure und dunkel drohender Abgründe, die nur oberflächlich betrachtet als Fahrstuhl- oder Müllschluckerschacht durchgehen, vielmehr symbolhafte Orte sind, Metaphern der Abgründe und Gefahren, denen die Bewohner gegenüberstehen.

[„Hausen“, ab Donnerstag auf Sky]

Sofern sie diese überhaupt erkennen. Denn sie scheinen ja kaum mehr als zu vegetieren, stumpfsinnig, frei von jeglicher Empathie – ohne auch nur zu ahnen, dass sie die willenlosen Opfer sind von etwas, das in den Betonmauern nistet, sie manipuliert, den eigenen Abgründen, dem Schmerz, ja dem Tod entgegentreibt. Früher sprach man vom Teufel – heute ist es das Böse, das Grauen, der Horror, das Es. Das Hochhaus wird so zum geschlossener Mikrokosmos, überwacht von einer dunklen Macht, und wer will, kann das sogar politisch deuten, Überwachungskameras gibt es zuletzt genug.

Kontakte zur Außenwelt hat diese kleine Welt kaum, in die nun aber zwei Neulinge eindringen: Jaschek Grundmann, der – ja, auch hier – frisch eingestellte Hausmeister, ebenso fürsorglich wie autoritär, selbst in ein dunkles Geheimnis verstrickt, und sein halbwüchsiger Sohn Juri, durch den rätselhaften Feuertod der Mutter noch immer wie in Schockstarre, der allmählich das dunkle Wesen des Hauses zu durchschauen, sich zu wehren, die Mitbewohner zu mobilisieren beginnt.

Flure und Schächte werden zu Metaphern für Abgründe und Gefahren

Eine allein schon schaurige Vater-Sohn-Beziehung, großartig dargestellt von dem überraschend fern jeder Gemütlichkeit agierenden Charly Hübner und seinem verstörten Filmsohn Tristan Göbel. Um diese Schrumpffamilie gruppieren sich die anderen, oft selbst schon spukhaften Existenzen der präzise besetzten Hausgemeinschaft: Junkie Scherbe (Daniel Sträßer) und Freundin Cleo (Lilith Stangenberg), denen auf mysteriöse Weise ihr Baby verloren geht; Nachwuchsdealer Ninja (Béla Gabor Lenz); ein vietnamesischer Krämer samt frühreifer Tochter; ein Hitler-Fan und seine verdruckste Familie; und nicht zuletzt Kater, gespielt von Alexander Scheer, der gerade noch als sozialistischer Troubadour Gundermann brillierte und nun als verwilderter Hexenmeister des Heizungskellers, Herr oder Diener des schwarzen Schleims, wer weiß das schon so genau.

Über acht etwa einstündige Folgen entwickelt sich die von Till Kleinert und Anna Stoeva ersonnene Geschichte, mit gespenstischen, durchweg blaugrün-stichigen, oft vernebelten Bildern umgesetzt von Regisseur Thomas Stuber. Der hat bereits allerhand Erfahrung mit Film und Fernsehen gesammelt, ist aber im Seriengenre ein Novize. Das hat seinem Debüt „Hausen“ ganz und gar nicht geschadet, das über die von Sky hoffnungsfroh als „Erste Staffel“ titulierten Folgen zunehmend an Sogwirkung gewinnt.

Stubers erklärtes Vorbild war der 1980 in Berlin gedrehte Horrorfilm „Possession“ mit der noch recht unbekannten Isabelle Adjani in der Hauptrolle, die ihren verstörendsten Auftritt, eine Szene der Besessenheit voller blutig-weißlichem Schleim, noch im nicht allzu gruseligen U-Bahnhof „Platz der Luftbrücke“ darstellen musste.

Zu Zeiten der DDR war es eine Klinik für die Spitzen des Staates

Thomas Stuber und seine Szenenbildnerin Jenny Roessler hatten es da leichter, konnten an einem Ort drehen, der für den Regisseur ohnehin „schon viel Mystery und Geheimnis in sich“ birgt: das ehemalige Regierungskrankenhaus der DDR im Nordberliner Stadtteil Buch. Es war 1976 eröffnet worden, vier Jahre vor dem benachbarten Stasi-Krankenhaus, und stand nur der Nomenklatura der DDR, Diplomaten, verdienten Parteimitgliedern und prominenten Künstlern und Wissenschaftlern offen, bot ihnen beste medizinische Versorgung und luxuriöse Unterbringung.

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Nach der Wende wurde es wie die Stasi-Klinik dem Städtischen Klinikum Buch zugeschlagen, das 2001 an die Helios-Gruppe verkauft wurde. Nach dem Neubau des Klinikums Buch wurden die alten DDR-Bauten 2007 stillgelegt und stehen seither leer.

Filmproduktionsfirmen interessieren sich für solche „Lost Places“. Das galt für das mittlerweile verschwundene Oskar-Helene-Heim in Berlin-Zehlendorf, wo sogar Jodie Foster drehte, es gilt für die alte Lungenklinik Heckeshorn in Wannsee und nun eben auch für das alte Regierungskrankenhaus der DDR in Pankow.

Die Bonzen-Klinik tauchte bereits in Burhan Qurbanis Neuverfilmung von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ auf und tritt nun in „Hausen“ als Darsteller gleichberechtigt an die Seite der Schauspieler. Nach 14-wöchiger Sanierung war ein Seitenflügel im Sommer 2019 für 70 Drehtage zum Studio umfunktioniert worden, dort richtete man 17 individuelle Wohnungen ein. Auch Vorplatz, Müllschacht, Treppenhäuser wurden zu Elementen eines selbst ohne Schwabbelwände gruseligen Mikrokosmos. Das Stasi-Krankenhaus durfte ebenfalls mitspielen, dort drehte man im Heizungskeller.

Eine große Zukunft als Drehorte dürfte beiden Gebäuden aber nicht beschieden sein. Im Februar 2019 wurden Pläne publik, sie abzureißen und dort ein neues Wohn- und Gewerbequartier mit 3300 Wohnungen zu errichten. Aber vielleicht erledigt sich ihre potenzielle Zukunft als Albtraumkliniken ohnehin schon früher, wie Produzent Marco Mehlitz andeutet: „Kaum hatten wir den Drehort verlassen, brachen die ersten Wassermassen durch das marode Gebäude und zerstörten unsere Welt.“

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