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„Star Wars: Mandalorian“ ist der Beweis: Warum Disney einfach cleverer als Netflix ist
Netflix haut neue Staffeln meistens auf einen Schlag raus. Disney+ dagegen veröffentlicht auch Staffel 3 der „Star Wars“-Serie „Mandalorian“ Woche für Woche. Warum das sinnvoller ist.

Stand:
Das Jahr 2013 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte des Fernsehens. Damals erschien die Serie „House Of Cards“ auf dem Streamingdienst Netflix und es war das erste Mal, dass gleich eine ganze Staffel einer neuen Serie veröffentlicht wurde. Statt also eine Woche lang auf die neue Folge zu warten, konnten Zuschauer:innen die ganze erste Staffel des Polit-Thrillers mit Kevin Spacey am Stück verschlingen.
Das sogenannte „Binge Watching“ (englisch: binge = verschlingen) wurde populär. Warum sollte man das Publikum auch warten lassen? Ein Vorteil vom Streaming gegenüber dem linearen Fernsehen besteht ohnehin darin, dass sich der eigene Serienkonsum nicht mehr nach den Sendezeiten richten muss. Und wenn sowieso auf Abruf geschaut werden kann, warum sollte ein Streamingdienst dann eine Serienstaffel zurückhalten, die eh schon fertig produziert ist?
Netflix veränderte die Sehgewohnheiten. Seit der Einführung der VHS-Kassette mit ihren Möglichkeiten zur Aufzeichnung und Wiederholung hatte das Fernsehen keine so tiefgreifende Veränderung mehr erlebt. Es gab keinen Grund, warum irgendjemand zum alten Modell zurückkehren sollte, Serienfolgen im wöchentlichen Rhythmus zu veröffentlichen – oder vielleicht doch?
Seit der Disney-Konzern 2019 einen eigenen Netflix-Konkurrenten an den Start brachte, den Streamingdienst Disney+, tut er nämlich genau das.
Die Veröffentlichungspolitik hinter Disney+-Serien wie „The Mandalorian“ wirkt wie aus der Zeit vor 2013. Das mag irritieren. Auf die jeweils neue Folge muss man nämlich eine Woche lang warten, ganz so wie früher. Bei vielen Jüngeren dürfte Ratlosigkeit vorm Tablet herrschen: „Papa, warum sind die anderen Folgen noch nicht da?“
Auch ich fand es zunächst merkwürdig, auf das jeweils nächste Kapitel der Abenteuer des Kopfgeldjägers „Mando“ und seines Schützlings Grogu alias „Baby Yoda“ eine Woche lang warten zu müssen, anstatt mich einen Samstag lang im Wohnzimmer einzuschließen und die ganze Staffel am Stück zu bingen.
„The Mandalorian“ wird altmodisch Woche für Woche veröffentlicht
Die Entscheidung, die heiß erwartete erste „Star Wars“-Realserie stückchenweise zu veröffentlichen, mag bei Disney ursprünglich einem profanen Grund geschuldet gewesen sein: 2019 beim Start von Disney+ fehlte es schlicht an neuen Inhalten. Wahrscheinlich wollte man das bisschen Material, das da war, strecken, damit die Leute ihre Abos nicht gleich nach einem Monat wieder kündigen.
Doch auch heute, vier Jahre, drei „Star Wars“- und sieben Marvel-Serien später, hat sich Disney nicht von dem altmodischen Modell verabschiedet.
Bingen, das digitale Verschlingen
Die Disney-Strategie dürfte der Erkenntnis geschuldet sein, dass Bingen nicht so sinnvoll ist, wie man vielleicht denken mag. „Bingen“ kommt von „to binge on sth.“, also übersetzt: etwas verschlingen. Wer das tut, hat weniger Zeit zum Durchdenken – und wendet sich anschließend rasch etwas Neuem zu, statt sich wochenlang mit derselben Serie zu befassen.
Ich fühle mich nach dem Bingen einer guten Serie so, als hätte ich ein leckeres Gänge-Menü verschlungen: Es war lecker, genug gewürdigt habe ich die Speisen aber nicht. Und mir ist jetzt ein bisschen schlecht.
Auch für die Streamingdienste hat das Binge-Modell Nachteile: Die Aufmerksamkeit für eine auf einen Schlag veröffentlichte Serie verpufft oft bereits nach einem Wochenende, weil anschließend kaum noch jemand darüber redet. Der von früher bekannte, wöchentliche Veröffentlichungsrhythmus dagegen verschafft einer Serie auch längerfristig Aufmerksamkeit.
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Die Vorteile des wöchentlichen Modells
Altmodisch zu sein, erweist sich in diesem Fall als clever. Eine über den Zeitraum von acht Wochen hinweg veröffentlichte Serie wie „The Mandalorian“ bleibt bestenfalls auch acht Wochen lang im Gespräch. Jede Woche sorgen neue Posts, Tweets und TikTok-Videos, in denen das Seriengeschehen kommentiert und der neueste Twist bewertet wird, für erhöhte Aufmerksamkeit.
Bei „The Mandalorian“ oder jüngst auch der Zombie-Serie „The Last of Us“ wird eine Woche lang über Folge 1 geredet, anschließend eine Woche lang über Folge 2 und so weiter. Es ist eine Art von großem Gespräch, das auch durch die Medien, neue Artikel und Podcastfolgen am Laufen gehalten wird. Und gerade eine Serie wie „The Mandalorian“ trägt mit ihren vielen Überraschungen dazu bei:
In Folge 5 der zweiten Staffel kam es zur Rückkehr einer bei Fans sehr beliebten Figur, in Folge 8 kehrte ganz am Ende eine noch viel beliebtere Figur zurück. Wäre die Staffel auf einen Schlag veröffentlicht worden, hätte sich das Gespräch über die Season mit großer Sicherheit vor allem um das Ende gedreht und kaum um etwas anderes.
Auch mir gefällt es, mich Woche für Woche mit einer Serie zu beschäftigen. Ich freue mich auf die neuen Folgen, ich diskutiere eine Episode nach der anderen. Ich weiß, dass alle Fans gleichermaßen auf demselben Stand sind. Das ist ein großer Unterschied zu einer Serie des Netflix-Modells, bei dem der eine Zuschauer die ganze Serie an einem Samstag durchgeschaut hat und der andere auch drei Wochen nach der Veröffentlichung noch bei Folge zwei hängt, sodass ein Gespräch über die Serie sinnfrei wäre.
Es ist schwer, mit anderen Menschen über eine Binge-Serie zu sprechen. „Hast du schon Folge 10 gesehen, die ist der Hammer!“ – „Keine Spoiler bitte, ich bin erst bei Folge 4.“
Auch Netflix verändert sich
Auch Netflix dürfte längst erkannt haben, dass das Binge-Modell, das als die Zukunft des Fernsehens propagiert wurde, seine Grenzen hat. Die vierte Staffel der Hit-Serie „Stranger Things“ wurde zum Beispiel zwar nicht wöchentlich, aber zumindest in zwei Teilen veröffentlicht. Der erste Schwung an Folgen kam im Mai 2022, der zweite erst im Juli.
Damit fielen sicher nicht zufällig beide Teile in unterschiedliche Quartale, sodass der Börsenkonzern in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsberichten starke Abrufzahlen an seine Investoren melden konnte. Jede der beiden „Stranger Things“-Teile wurde begleitet von einer eigenen Welle an Social-Media-Posts, Tweets und TikTok-Videos, was den Abrufzahlen genützt haben dürfte.
Das starke „Breaking Bad“-Spin-off „Better Call Saul“ wurde auf Netflix sogar wöchentlich veröffentlicht, so wie „The Mandalorian“ auf Disney+. Netflix produzierte die eigensinnige Anwaltsserie nicht selbst, sie entstand bei dem US-Sender AMC. Entsprechend musste sich der Streamingdienst an den Veröffentlichungsrhythmus des TV-Kanals halten.
Es war ein Glücksfall. Eine so einzigartige Serie wie diese hätte ich nicht gerne verschlingen wollen. Den mit viel Geduld für Stimmung und Zwischentöne inszenierten Niedergang des Anwalts Jimmy McGill (Bob Odenkirk) habe ich Woche für Woche sehr genossen.
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