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TV-Berichterstattung zur Queen: Globale Gemeinde
Geschätzte vier Milliarden Menschen verfolgen weltweit die Trauerfeierlichkeiten für die Queen im Fernsehen. ARD, ZDF, RTL & Co. bleiben neun Stunden auf Sendung.
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„Tagesschau entfällt“, der kleine Hinweis, eingeblendet um zwölf Uhr am Montagmittag, sagt klar und deutlich, dass es an diesem Tag Wichtigeres gibt, als die Nachrichten.
Die Fernsehberichterstattung zu den Trauerfeierlichkeiten für die Queen beginnt bereits drei Stunden zuvor, um neun Uhr, mit den Bildern von verwaisten Londoner Straßen. Und natürlich mit Expertenrunden zu allem, was die verstorbene Königin und ihre Familie betrifft. Das touchiert Politisches, aber auch Menschliches, wie die Tatsache, dass die Queen zuletzt den Stock ihres im vergangenen Jahr gestorbenen Ehemannes Prinz Philip benutzt hat.
Wer an diesem Montag vor dem Fernseher sitzt, um die Trauerfeierlichkeiten für die Queen zu verfolgen, darf sich als Teil einer Gemeinde von weltweit etwa vier Milliarden Fernsehzuschauern fühlen. Diese Zahl wird früh schon im ZDF genannt.
Man muss gewiss kein Royalist sein, um sich faszinieren zu lassen von den Aufnahmen, die das Fernsehen vor allem von zwölf Uhr an überträgt. Solche Bilder kann kein anderes Land. Jahrhundertealte Traditionen, Farben und Uniformen vermitteln den Eindruck, als würde hier eine Choreographie der Werte des christlichen Abendlandes gezeigt.
Gäste aus 120 Ländern
Die über 500 Staatsgäste aus 120 Ländern in aller Welt finden wiederholt Erwähnung, auch die Tatsache, dass Wladimir Putin nicht eingeladen war. US-Präsident Joe Biden gehört mit 79 Jahren wohl zu den wenigen, die vielleicht die Krönung der Queen als Junge im Fernsehen verfolgt haben könnten. Mit 277 Millionen TV-Zuschauern weltweit war das 1953 das erste globale Fernsehereignis. Die Trauerfeier für Prinzessin Diana vor 25 Jahren sahen etwa 2,5 Milliarden Menschen.
Einig sind sich die Kommentatoren, dass dies das größte Staatsbegräbnis aller Zeiten ist, dass es so etwas kaum je wieder geben wird. Von dem 70 Jahren der Pflichterfüllung im Dienst an ihrem Volk ist vor allem im Gottesdienst die Rede, das wird auch alles übersetzt.
Neun Stunden überträgt allein das ZDF. Auch das Erste und RTL beginnen um neun Uhr, Sat 1 steigt etwas später ein. CNN bringt immer mal wieder eine Bildergalerie mit Aufnahmen der Queen aus verschiedenen Epochen, untermalt mit klassischer Musik. Ohne Worte. Das wirkt ergreifender als manches Nonstop-Geplapper der Experten.
Keine Ermüdungserscheinungen
Stoff zum Erzählen gibt es freilich genug an diesem Tag. Am Nachmittag kommen die Beziehungen zu den Enkelkindern zur Sprache, die Rolle des Glaubens im Leben der Queen, ihre Tagebücher, die Erinnerung an die Trauerfeier für Prinz Philip vor anderthalb Jahren.
Niemand zeigt heftige Ermüdungserscheinungen, weder die Royals, die wieder hinter dem Sarg hergehen, als er am Nachmittag zum Altar der St. George’s Chapel in Windsor getragen wird, noch die Experten, obwohl letztere in den Gesichtern der königlichen Familie schon Anzeichen von Erschöpfung zu erkennen glauben nach dem langen Tag.
Zuschauer, die seit fast acht Stunden durchhalten, hören den Dekan von Windsor, David Conner, den tiefen und unkomplizierten Glauben der Queen würdigen, der so viele Früchte getragen habe. Bei diesem eher familiären Trauergottesdienst halten sich die Kommentatoren im Vergleich zum Vormittag zurück.
ZDF-Chefredakteur Peter Frey wagt nach neun Stunden vor dem Mikrofon ganz am Schluss die Prognose, dass dieser Tag auch in die Fernsehgeschichte eingeht mit Milliarden von Menschen, die Abschied genommen haben von der bekanntesten Frau der Welt. Unter den deutschen Sendern wird deutlich, dass die öffentlich-rechtlichen Sender für solche Ereignisse am besten gerüstet sind.
Lila gemusterte Tapete
Bei Sat 1 stört schon die kleinbürgerliche Kulisse, teils mit lila gemusterter Tapete hinter blauweißen Vasen und einem altrosa Sofa, teils mit unruhig zusammengestellten Blumensträußen. Möchte man wirklich bei den Bildern vom Auszug des Sarges aus der Kirche von Ross Antony hören, dass "unsere Königin ja immer gern Lila getragen hat"?
Das Erste mit Leontine Gräfin von Schmettow und das ZDF mit Diana Zimmermann beschränken sich während der Feier auf Übersetzungen und notwendige Informationen zu den ausgewählten Liedern und Lesungen. Sie zeigen schon früh, wie die eigentlichen Gemeindemitglieder und verdiente Briten als erste Platz nehmen, den Gesichtern nach stolz wohl auch, dabei sein zu dürfen.
Von der Hochzeit zur Bahre
Dank der Kommentatoren versteht man die großen Bögen, die geschlagen werden, zum Beispiel bei dem Lied "Der Herr ist mein Hirte", das bereits bei der Hochzeit der späteren Queen 1947 hier in der Westminster Abbey wurde. Die Berichterstattung zeigt die riesige Projektionsfläche, die die Royals eben auch bieten zwischen hohen Werten und großen Traditionen, wie man sie aus Shakespeares Dramen kennt, und dem Klatsch der Boulevardblätter.
Die Privatsender RTL und Sat 1 haben unter anderem Eduard Prinz von Anhalt und Heinrich Prinz von Hannover als Experten gewonnen. Letzterer beobachtet, wie sich an diesem Tag Großbritannien noch einmal als Weltreich präsentiert.
Man spricht über die Körpersprache der Prinzen William und Harry und ihrer Frauen, über die Rolle des Leichenschmauses beim Staatsempfang des Außenministers, der auf die Zeremonie in der Westminster Abbey folgt.
Und man lernt, dass der Klöppel von Big Ben an diesem Tag mit Leder überzogen wurde, um den Klang zu dämpfen bei den 96 Glockenschlägen, die für jedes Lebensjahr der Queen zu hören sind.
Der Klang bleibt in den Ohren der Zuschauer, egal, ob sie in einem afrikanischen Dorf leben, in einer asiatischen Metropole, in Neuseeland oder in Alaska. Nach 70 Jahren im Dienst stiftet die Queen noch auf dem Weg zum Grab globale Gemeinschaft.
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