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Nicht wundern, nur freuen. In dieser Projektion moderieren Caren Miosga (links) und Ingo Zamperoni nicht mehr die „Tagesthemen“ um 22 Uhr 15, sondern die „Tagesschau“ um 20 Uhr.

© picture alliance/dpa, Montage: Tsp

Vorschlag für eine grundlegende Programmreform: Fernsehen neu denken

ARD/ZDF 2023: „Tagesthemen“ und „heute“ raus, „Tagesschau“ und „heute-journal“ im XXL-Format rein.

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Am Donnerstag hat Adrian Schulz, Volontär des Tagesspiegels, aufgeschrieben, was er künftig in den Programmen von ARD und ZDF sehen will: „Message statt Massagesessel“ ist sein Anspruch, den die Öffentlich-Rechtlichen erfüllen sollen. Formuliert war der Text aus der Perspektive der Altersgruppe, die das lineare Fernsehen am wenigsten nutzt – der 14- bis 29-Jährigen. Jene Kohorte, die ohne ARD und ZDF nicht fernsehen möchte, das sind die über 60-Jährigen. So stellt sich der verantwortliche Medienredakteur dieser Zeitung eine grundlegende Programmreform vor.

Entlang meiner fernsehsoziologischen Analyse, wonach Fernsehen Dumme dümmer macht und Schlaue schlauer, plädiere ich für ein gemeinsames Fernsehprogramm von ARD und ZDF, das beide schlauer macht. Ich weiß, worüber ich fantasiere: Ich schaue seit 60 Jahren fern und schreibe seit 35 Jahren übers Fernsehen.

Fangen wir mit dem Morgenprogramm an: Da ist es egal, wer von beiden, wer von ARD und ZDF das „Morgenmagazin“ gestaltet. Inhalte und Dramaturgie sind so unterschiedlich nicht, vielleicht wird beim ZDF in Berlin etwas frecher gefragt und vermittelt die Szenerie nicht ganz so viel Puschenhaftigkeit wie das WDR-Wohnzimmer in Köln.

Danach schalte ich sofort ab, so sehr ist das Allerlei aus Ratgeber-Kochen-Rote-Rosen-Rosenheim-Cops-Bares-für-Rares in seiner Wiederholeritis entbehrlich. „hallo Deutschland“ und sein ARD-Gegenstück „Brisant“ sollen mich mit boulevardesk-emotionalen Stoffen in den Abend geleiten. Entspann’ Dich, kein Stress, relaxen. Das wird nix, ich kann im flachen Wasser zwar nicht ertrinken, aber Schwimmen lernen kann ich auch nicht.

Das Erste verzichtet auf Quizduselei, das Zweite auf das „Soko“-Allerlei

Der Vorabend wird rigoros entschlackt – keine „Sokos“ mehr, egal, wo immer diese Instant-Krimis spielen und bei denen der Mörder immer Punkt 18 Uhr 57 gesteht, weil um 19 Uhr „heute“ startet. Das Erste verzichtet künftig auf seine Quizduselei, wo Bildung mit Kreuzworträtsel-Wissen verwechselt wird. Stattdessen ein Wissenschaftsmagazin, „Terra X“ vom ZDF hat da die Nase weit vorn, dafür stellt das Erste seine Börsenpropaganda ein und sorgt für eine Wirtschafts- und Verbraucherberichterstattung, die den Namen wirklich verdient. Und die „Kulturzeit“, aktuell bei 3sat versteckt, bekommt endlich Sichtbarkeit. Wissenschaft – Wirtschaft – Kultur, dieser Dreiklang lässt mich Harfenmusik hören.

Habe ich „heute“ um 19 Uhr vergessen? Nein, ich halte dieses Schlagzeilen-Fernsehen für ein leerlaufendes News-Karussell, ganz besonders nervt der Sport-Blinddarm mit „Schönen-Abend-auch-von-mir“-Lehmann.

Wir müssen groß denken. Also: weg mit „heute“, dafür eine „Tagesschau“ um 20 Uhr auf 30 Minuten verlängert, damit würden die „Spezials“ im Zweiten und die „Brennpunkte“ im Ersten inkludiert. Themen bekämen den großen Atem, Höhe, Breite. Länge. Endlich.

Die Dauerwurst des Krimis würde ich mit eiserner Quote beschneiden. „Tatort“, „Der Alte“, der Bozen-Krimi, „Ein starkes Team“, „Jenseits der Spree“ – alles auf die Hälfte reduziert, das ist immer noch überreichlich viel. Der Dokumentarfilm bekommt seinen Platz, Realität statt fiktionalisierter Realität. Diese qualvollen Musikshows wandern bitte schön in die Mediatheken zur gefälligen Verwendung oder in die Dritten zur allfälligen Schunkelei.

Wichtig ist, dass alle Programme ab 20 Uhr, von den Live-Sendungen abgesehen, mit 20 Uhr oder früher in den Mediatheken verfügbar sind. Überhaupt die Mediatheken: Am Donnerstag vor einer Woche wurde das politische Magazin „Monitor“ ersatzlos aus dem ersten Programm gestrichen. Die ARD-Programmdirektion wollte unbedingt eine Serie auf dem angestammten „Monitor“ zeigen. Kann sie ja machen, der Zuschauer ist mittlerweile mobil und hätte, bei entsprechender Information, „Monitor“ mit Georg Restle auch in der Mediathek angesehen. Nix gegen nahrhafte Serienkost, aber die Reihenfolge muss doch diese sein: erst Information mit politischer Relevanz und dann der serielle Eskapismus.

„Markus Lanz“ vor das „heute-journal“

Talkshows? Ja, aber wenn ja, wie viele und warum diese und keine anderen? Noch mal nachdenken über die vorhandenen Formate, Stückzahl kann abgesenkt werden, nur „Markus Lanz“ rückt auf 21 Uhr vor und läuft bis 22 Uhr, dem Startpunkt des „heute-journals“ (die „Tagesthemen“ sind ja mit der Aufrüstung der erweiterten „Tagesschau“ um 20 Uhr beschäftigt). Und wenn das ZDF-Magazin mehr Platz braucht, dann her damit - für erweiterte und live geführte Politiker-Interviews sowie deutlich mehr Auslandsberichterstattung statt fortgesetzter Ethnologie des Inlands.

Wichtig: Das internationale Kino, vor allem seine Klassiker, gewinnt Programmfläche. Ein Kulturgut wie „Casablanca“ muss immer wieder sein, dann kann auch „Drei Aschenbrödel suchen eine Haselnuss“ zum x-ten Mal wiederholt werden.

Und der Sport, der heilige Fußball? Der wird Pay-TV. Ehe jetzt der Massenaufschrei kommt: Mein Fernsehprogramm, es ist mein und nur mein Wunschprogramm, frei von allen Bedenken und Einwänden, es kostet im Monat nur noch 14 Euro.

Bleiben vom jetzigen Rundfunkbeitrag noch 4,36 Euro übrig. Damit kann der Fußballfan seinen Fußball einkaufen gehen, der Quizfreund holt sich sein TV-Kreuzworträtsel XXL, der Krimi-Süchtige gönnt sich seine Überdosis, der Schlager wird auf Silbereisen-Länge verewigt.

Die Satire bleibt, sofern der Maßstäbe setzende Jan Böhmermann mit seinem „ZDF Magazin Royale“ weiter satirisch alles machen darf. Betonung auf satirisch.

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