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Unter Druck: Journalisten im Weißen Haus (Archivbild).

© Mario Tama/Getty Images

Hate-Speech: Wenn Journalismus zur Mutprobe wird

Angriffe auf Journalisten und Hasskommentare gegen sie im Netz nehmen erschreckend zu. Forscher belegen erstmals, welche Auswirkungen das auf ihre Arbeit hat.

Der Artikel über den Pegida-nahen Obdachlosen-Hilfsverein erschien am Tag vor Heiligabend, 10.18 Uhr. Binnen 24 Stunden erhielt er auf Facebook Hunderte Kommentare, mehrere der im Artikel beschrieben Protagonisten hatten die Facebookseite des Autors entdeckt und entluden dort ihren Hass: "Was für ein Idiot der Schreiberling", postete einer. "Sie haben die Berechtigung verloren, die Luft dieses Planeten zu atmen." Ein anderer unterstellte dem "Münchhausen der Linksfaschisten" ein "faschistisch-liberales Weltbild". "Hetzer" schreibt einer per Direktnachricht. 

Harte Reaktionen auf Berichte oder Kommentare von Journalisten gab es schon immer, manchmal auch persönliche Angriffe. Wer sich in den Medien exponiert, muss mit Kritik rechnen. Doch das Tempo ist im Internet und in den sozialen Netzwerken wesentlich höher, die Hemmschwelle niedriger, die Wortwahl weit schärfer und die Verbreitung vielfältiger als zur Zeit der postalisch versandten Leserbriefe. Für einen Artikel über Google-Suchanfragen, bei denen die Suchmaschine das Wort "Ungläubige" durch "töten" ergänzte, wurde eine Journalistin als "islamophobe Schlampe" beleidigt. Das war nur ein Bruchteil dessen, was sie an Vorwürfen ertragen musste.

Inzwischen gibt es viele Erhebungen zu Hasspostings im Internet – von Universitäten, Umfrageinstituten oder der Amadeu Antonio Stiftung. Doch nun haben Forscher erstmals derartige Angriffe auf Journalisten systematisch ausgewertet. Ein Team um den Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick kontaktierte Ende 2016 mehr als 18.000 in Deutschland beschäftigte Journalisten, die anonym ihre Erfahrungen aus den vergangenen zwölf Monaten äußerten. 783 davon beantworteten zumindest einen Teil der Fragen, 400 drangen bis zum Ende der Onlinebefragung vor. 

Gefragt wurde nach verbalen Beleidigungen, aber auch Aufrufen zur Gewalt und/oder Straftaten. Die Antworten geben einen Überblick, welchen Anfeindungen Journalisten ausgesetzt sind, was die Gründe dafür sind, wie sich dies auf den Berufsalltag auswirkt und wie Journalisten und Redaktionen darauf reagieren.

Die Lage:

Die aktuelle Kriminalstatistik weist aus, dass 2015 das Aufkommen strafbarer Hasskommentare online um 176 Prozent gestiegen ist. Viele Medien kapitulieren davor. Die Forscher führen an, dass mehr als ein Drittel der befragten Tageszeitungsredaktionen Artikel zu bestimmten Themen nicht mehr auf Facebook veröffentlicht, die Hälfte fühlt sich durch die Moderation ihrer Onlineforen überfordert. Zwei Drittel der befragte Journalisten beklagen, dass hasserfüllte Angriffe zunehmen, 42 Prozent schildern das aus eigener Erfahrung. Die Hälfte wurde bereits einmal Ziel von Angriffen, 38 Prozent erleben das regelmäßig.

Die Anonymität, die das Netz ermöglicht, erleichtert das Pöbeln und Beleidigen. Es zeigt sich allerdings, dass die Angriffe die Journalisten längst nicht nur online erreichen. Facebook und Twitter sind keinesfalls die Hauptquelle von Hass und persönlichen Attacken. Die meisten Betroffenen, 35 Prozent, werden wegen ihrer Arbeit persönlich angegriffen. Wiederum drei Viertel davon schilderten den Forschern, dass sie mehrmals oder sogar regelmäßig auf diese Weise bepöbelt wurden. Einerseits in Interviews, wo die Journalisten Schmähungen ihrer Gesprächspartner zu ertragen hatten. Oder auf Demonstrationen, wie Pegida-Veranstaltungen, wo viele Reporter beschimpft werden. Auch im Verlauf von Veranstaltungen der NPD wird es oft gefährlich, wenn alkoholisierte Rechtsextremisten beginnen, Reporter zu provozieren und anzurempeln.

An zweiter Stelle nach der direkten Konfrontation folgen in der Studie Angriffe über die Kommentarfunktion zu online veröffentlichten Artikeln. An dritter Stelle stehen die Kommentare in sozialen Netzwerken. Am Ende rangieren Leserbriefe, E-Mails, Anrufe oder Mitteilungen über die private Homepage. Ziel sind vor allem Mitarbeiter überregionaler Medien, die über Politik berichten und solche, die sich zu Islam oder Pegida äußern.

Wie reagieren die Betroffenen darauf?

Der überwiegende Teil der Journalisten ist für eine Auseinandersetzung mit Hassangriffen, etwa in Form von Analysen und Kampagnen, aber auch strafrechtlich. Nur fünf Prozent lehnen das ab. 68 Prozent der direkt und mehrfach bepöbelten Journalisten antworteten, sie ließen sich auch auf Diskussionen mit den Absendern von kritischen Äußerungen ein.

Doch nicht wenige schotten sich auch ab. Fast 80 Prozent gaben an, einen großen Teil der hasserfüllten verbalen Angriffe auf ihre Person zu ignorieren. Fast ebenso viele haben zumindest schon professionellen Rat eines Juristen, der Polizei oder einer Gewerkschaft gesucht. 

Wirkung haben die Hassnachrichten dennoch: Jeder Zweite gab an, die Angriffe belasteten ihn psychisch, beruflich und privat. Dabei müssen die Journalisten nicht einmal selbst Ziel des Angriffes sein, auch das bloße Wissen darum reicht. Die Hälfte gibt an, das psychische Wohlbefinden werde beeinträchtigt: Sie fühlen sich in ihrer Berufsausübung eingeschränkt, berichten von Hilflosigkeit und Schwierigkeiten bei der Verarbeitung – wenn die Angreifer und Pöbler das als Ziel hatten, haben sie es bereits erreicht. "Diese Ereignisse verfolgen mich gelegentlich auch im Schlaf", zitieren die Forscher einen, der auf Demonstrationen angegriffen wurde. "Die Folgen sind Angstzustände und ein Gefühl der Ohnmacht." Das Publizieren von Artikeln zu kritischen Themen wird zur Mutprobe, konstatieren die Forscher.

Betroffene schilderten den Wissenschaftlern, dass sie Außenreports mitunter auch ablehnen, um das Risiko insbesondere körperlicher Angriffe zu minimieren. Auf Veranstaltungen der NPD und anderer radikal-aggressiver Gruppen bewegen sich Reporter nur noch in Gruppen, sobald die Hemmungen der Teilnehmer sinken. Bei Demonstrationen schauen sie, "wo das nächste Polizeiauto ist".

Die Studie zeigt auch, dass Journalisten wegen des Hass- und Gewaltrisikos mittlerweile die Schere im Kopf ansetzen – also einmal mehr überlegen, ob sie ein Thema aufgreifen, dass Anlass für neue Angriffe sein könnte. Die Beschäftigung mit solchen Fragen benötige zunehmend mehr Zeit, die für die eigentliche Arbeit fehle, klagen die Befragten. Viele sehen in Hass und Aggression seitens des Publikums eine Beschneidung der Pressefreiheit. Ein Betroffener schildert, er "musste mehrfach aus Recherchen aussteigen, weil ich meine persönliche Sicherheit gefährdet sah".

Wie reagieren die Redaktionen?

Ein Drittel der Journalisten fühlt sich von der Redaktionsleitung mit ihrer Sorge alleingelassen. 40 Prozent schildern, dass ihre Redaktionen einen regelmäßigen internen Austausch über Hasspostings, Gewaltdrohungen oder Übergriffe organisieren. Ein Viertel der Journalisten kann auf juristischen Beistand bauen. Schulungsangebote mit Experten oder die Möglichkeit zur vertraulichen Aussprache sind sehr selten.

Mittlerweile reagieren einzelne Journalisten mit Humor. Eine Gruppe überregional tätiger Kollegen (auch der ZEIT) präsentiert in ihrem Programm Hate Poetry regelmäßig ausgewählte Hasskommentare auf unterhaltsame Art. Sie schaffen Aufmerksamkeit für das Problem wachsender verbaler Aggression. Und Lachen stärkt bekanntermaßen die psychische Gesundheit und mindert Stress.

Dieser Text von Tilman Steffen erschien zuerst bei Zeit Online.

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