Gesellschaft: Mein kulinarisches
Ursula Heinzelmann ist weltweit auf der Suche nach den besten Rüben, dem besten Käse, dem besten Sauerkraut. Hier steht die Quintessenz: von Abfall bis Zen. Teil X einer Serie.
Stand:
ABFALL
Seit ich bei René Redzepi im Kopenhagener „Noma“ Kerbelstängel statt -blätter auf dem Teller hatte, denke ich anders über das Konzept Abfall in der Küche. Radieschen-, Rote-Bete- und Kohlrabigrün sind köstlich. Nur bei Karottengrün komme ich mir wie ein Kaninchen vor.
BLUT- UND LEBERWURST
Habe ich als Kind gehasst. Inzwischen schleppe ich sie sogar nach England. Die Blutwurstmanufaktur in Rixdorf (blutwurstmanufaktur.de) ist kein Geheimtipp, die Fleischerei Naesert in Friedrichshain (fleischerei-naesert.de) und ihre großartige Leberwurst hingegen müssen noch richtig entdeckt werden.
CHEESE
Ohne Wein bekomme ich nach etwa einem Tag Entzugserscheinungen, bei Käse dauert es kaum länger. Was in den letzten Jahrzehnten beim handwerklich erzeugten Käse in Deutschland abgeht, ist unglaublich. In Brandenburg an der Spitze: die Ziegenkäse vom Schleusenhof Regow (schleusenhof.de).
DUNLOP, FUCHSIA
Englische Kollegin und Autorin mehrerer großartiger Bücher zum Thema chinesische Küche, vor allem aus Sichuan, wo sie gelebt und auf professionellem Niveau kochen gelernt hat. Berät in London das Restaurant Bar Shu, in Berlin würde ich mit ihr zu Herrn Wu ins Hot Spot gehen (restaurant-hotspot.de).
ESSEN UND KOCHEN IM FILM
Einige Lieblingstitel: Tampopo (welch ein Humor!), Ratatouille (oh wie wahr!), Sideways (Pinot Noir!), Mugaritz BSO (Musik!), Pranzo di Ferragosto (Rom im August!), Eat Drink Man Woman (diese Schneidetechnik!), How to cook your life (siehe unter Z).
FISHER
Julia Child kennen wir jetzt alle dank der wunderbaren Meryl Streep, aber ihre schreibende Kollegin MFK Fisher ist immer noch ein Geheimtipp. In ihren Geschichten und Berichten geht es vordergründig ums Kochen und Essen, eigentlich handeln sie vom Leben schlechthin. Vorbild.
GEBURTSTAGSTORTE
Tut einmal im Jahr richtig gut. Meine muss eine Schwarzwälder sein, mit vielen Kirschen und Schlagsahne – bloß keine Buttercreme!
HIGHLAND CATTLE
Ja, ich esse Fleisch. Vegetariern sei gesagt: Kühe müssen, um Milch zu geben, Kälber bekommen – auch männliche. Aber Landschaft, Tiere und Menschen sollen zusammenpassen. Peter Lemke bekommt das vor den Toren Berlins besonders gut hin (melchhof.de).
INDISCHE KÜCHE
Mit ihr verhält es sich wie mit Innereien: Entweder man liebt sie oder findet sie ungenießbar. Für mich ist beides Bereicherung. Indien ist extremer, anstrengender und schöner, als man sich vorstellen kann. Ich habe dort gelernt, dass unser westliches Entweder-Oder-Denken manchmal lebensfremd ist. Und habe leider immer noch kein wirklich gutes indisches Restaurant in Berlin gefunden.
JÄGERFREUNDE
Wichtig für die Fleischversorgung. Besonders jagende Winzer, weil die Hirsche, Rehe und Wildschweine in ihren Revieren sich wahrscheinlich an jungen Rebtrieben und -trauben satt und aromatisch gefressen haben.
KRAUT VON KIMMICH
Als ich das erste Mal mitbekommen habe, dass Deutsche „Krauts“ sein können, war das nicht ganz einfach. Doch seitdem ich Jörg Kimmichs Bio-Filderkraut kenne, kann ich damit ganz gut leben. Eine neue Dimension von Sauerkraut (kimmichs.de).
LOX AND DUTCH HERRING
Berlin ist meine Stadt, New York wäre auch nicht schlecht. In Läden wie Russ and Daughters (russanddaughters.com) fühle ich mich bei all dem Eingelegten und Geräucherten genauso heimisch wie bei Rogacki an der Wilmersdorfer (rogacki.de).
MOHN
Mohn macht doof, hat mein Opa gesagt. Schmeckt aber gut. Weichardt bäckt die besten Mohnhörnchen (weichardt.de), das Café Buchwald üppig-mohnschwarzen Blechkuchen mit Streuseln (konditorei-buchwald.de), und zu Weihnachten schichtet meine Mutter Mohnpielen mit Schrippen, Milch und Rosinen ein (Rum nicht vergessen!).
NATRIUMCHLORID
Ich bin salzsüchtig, gebe ich zu, und hasse nichts mehr, als wenn Köche beleidigt sind über mein Nachsalzen ihrer kostbaren Werke. Salz ist wie die Lautstärke beim Musikhören. Am liebsten drehe ich mit den knusprigen Maldon-Meersalzflocken aus Essex an den Dezibels.
OXFORD SYMPOSIUM
Jedes Jahr im Sommer treffen sich Essensbegeisterte aus aller Welt im St. Catherine’s College zu einer Wochenendkonferenz, dem „Oxford Symposium of Food and Cookery“. Akademiker und Praktiker sind dabei, Köche und Schreiber, Ingenieure und Verleger (oxfordsymposium.org.uk). Geistige Heimat.
PETER KLANN
So heißt mein Leib- und Seelenbäcker, und sein Soluna-Laden am Südstern ist Quelle für Stärkendes (vom Roggen-Rundling bis zu Dinkelseelen), das Kauwerk, Sinne und Geist lange und wohltuend beschäftigt. Danke.
QUARK AUS ASENDORF
Mein Frühstück besteht in der Regel aus getoastetem dunklen Brot, mit viel Quark und Salz. Am liebsten mag ich den weißen Käse, wenn er nur abgetropft und noch stückig ist. Zu den besten gehört der handgeschöpfte Schichtkäse von der Molkerei Grafschaft Hoya aus dem niedersächsischen Asendorf (in Berlin bei Brot und Butter erhältlich) – für Feiertage die Version mit der Sahneschicht.
REZEPTE
Schreibe ich natürlich auch. Können aber immer nur Anregungen und Hinweise sein. Jeder Mensch ist anders, jeder Herd auch. Rezepte gelingen nur, wenn man die eigenen Sinne einsetzt.
SCHREIBEN
Ist mir ein Bedürfnis. Gedrucktwerden auch. Und das ist heutzutage gar nicht so einfach, wenn frau ihren Lesern Aufmerksamkeitsspannen zutraut, die einen Absatz überschreiten. Meine kulinarische Lieblingszeitschrift heißt deshalb nicht ganz uneigennützig „Effilee“, weil ihr Macher Vijay Sapre mutig gegen den Strom schwimmt und an die Intelligenz seiner Leser glaubt (effilee.de).
TELTOWER RÜBCHEN
Es gibt nur wenige Gemüse, die so eng mit ihrer Heimat verbunden sind wie diese verknubbelten, würzigen Rübchen. Sobald man sie auf anderen, zwangsläufig besseren Böden anbaut als dem kargen Teltower Kiessand, verlieren sie ihr besonderes Aroma, das schon beim Schälen wie Meerrettich in die Nase steigt (teltower-ruebchen.com).
UNTERNEHMER
Ich mag Menschen, die sich immer wieder neu aufstellen, statt über die Widerwärtigkeiten des Lebens zu klagen. Zum Beispiel Willy Andraschko mit seiner Kaffeerösterei (andraschkokaffee.de). Oder Sascha Rimkus und Andreas Klöckner von Goldhahn & Sampson, die Andraschkos Kaffee verkaufen – und außerdem eine tolle Auswahl an Kochbüchern, Weinen und Leckerschmeckereien (goldhahnundsampson.de).
VERÄNDERUNG
Gehört zum Leben. Stehenbleiben und Festklammern ist Tod. Orte verändern sich ständig, während Duft und Geschmack mit durchs Leben reisen. Wenn ich Butterkuchen backe oder Rhabarberkompott koche, bin ich näher bei meinen Großmüttern, als wenn ich die Häuser besuche, in denen sie gelebt haben.
WEIN
Muss sein. Welcher? Puh! Das ist abhängig von Stimmung und Wetter (bin schon froh, dass ich vor 20 Jahren auf meinen Lieblingsmann gestoßen bin!). Wo? In Berlin im Weinstein (weinstein.eu), in Paris in Willi’s Winebar (www.williswinebar.com), in London in der Bar des St. John (stjohnrestaurant.com) und im Providores (theprovidores.co.uk), in New York im Terroir, um die Ecke von Momofuku Ssäm Bar (wineisterroir.com).
X STATT U
Marketing-Blödsinn hasse ich. Angeblich gibt es bald so viele PR-Menschen wie unabhängige Journalisten, und über zwei Drittel der Schreiber übernehmen Pressetexte, ohne sie zu hinterfragen. Beim Essen und Trinken steht die erste Stufe der Wahrheitsfindung so gut wie jedem offen: die eigenen Ohren, Augen, Finger, Nase und Mund aktivieren!
YES PLEASE SUPPEN
Eigenwerbung, zugegeben, weil ich die Rezepte für die Frisch-Suppen, die die Engländerin Gemma Michalski seit 2007 produziert, selbst entwickelt habe. Die gemüsig-leichten Suppen sind auch für mich die optimale Lösung fürs schnelle Mittagessen (yesplease.de).
ZEN
Ist als Begriff für mein Ideal in der Küche vielleicht zu hochgegriffen, aber ich mag es schlicht und geradlinig. Aufwendige Technologie und sehr viele Zutaten täuschen oft nur fehlende Inhalte vor.
Ursula Heinzelmann ist gelernte Sommeliere, sie lebt als Autorin in Berlin und schreibt über Essen und Trinken. Ihre Bücher erscheinen im Scherz Verlag.
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