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Essen & Trinken: Mein kulinarisches ABC (2)

Unsere Kollegin Susanne Kippenberger machte kürzlich den Anfang, nun verrät der Tagesspiegel-Gastro-Papst seine Vorlieben: Von Adrià bis Zucker.

ADRIÀ, FERRAN

Es gibt keinen besten Koch der Welt, auch Adrià ist es nicht. Aber er hat mit der Idee der kulinarischen Dekonstruktion („Molekularküche“) eine Tür geöffnet, hinter der allerhand Geniales und genauso viel Blödsinn steckten. Die Schließung seines Restaurants „El Bulli“ allerdings ist eines der vielen Zeichen dafür, dass das Thema langsam ausgereizt ist.

BIO

Interessiert mich nicht besonders. Seit das Etikett auf wirklich jedem Kram klebt, gilt die Grundregel: Die wirklich guten Produkte sind die ohne. Na, die wirklich schlechten wahrscheinlich auch.

CHAMPAGNER

Ja doch, es gibt die gleiche Qualität zum halben Preis anderswo. Aber nie die Aura, die dichte, feine Perlage, den Hauch von Brioche. Wer nur aufs Etikett aus ist und aufs Knallen und Zwitschern, der geht zu Aldi oder kauft blind Muah&Schangdong; wer Qualität sucht, wird beim kleinen Spezialhändler meist individueller bedient. Gerade gut & besser: Gonet-Medeville, 1er Cru ab 32,90, www.weinundglas.com. Irrsinnig intensiv & teuer: Bollinger Vielles Vignes, aus Pinot-Noir-Reben der Prä-Reblaus-Zeit.

DIÄT

Ja, ja. Nächstes Stichwort!

E SPRESSO

Ein Restaurantkritiker sollte zu Hause eine dreifach hartverchromte Fumagalli monumentale für 2000 Euro zu stehen haben, an der er dann für die erste Tasse des Tages eine halbe Stunde rumlaboriert? Das fehlte noch. Fragen Sie George Clooney, der macht es richtig.

F ALAFEL

Ist Allerweltsmampf, fast überall auf der Welt. Im Pariser „As du Fallafel“ (Schreibweise richtig, 34, Rue des Rosiers) allerdings geniales Fast Food, eine Art Kichererbsendöner im Pita-Brot. „Eins reicht aus, um aus Ihnen einen Vegetarier zu machen“, stöhnte die New York Times, „zumindest für dieses eine Essen“. So ist es.

G UIDE MICHELIN

Stern oder nicht Stern, ein atavistisches, grausames Prinzip, das genau deshalb so erfolgreich ist. Und trotz aller Kritik recht häufig durchaus den richtigen Weg weist.

H AWAII-TOAST

Hier stellvertretend für alles, was nach Kindheit und ersten Kochversuchen schmeckt. Bitte nur im Original! Wer ihn mit Gruyere und frischer Ananas macht, produziert was ganz anderes und hat das Prinzip nicht verstanden.

I IIIH

All das exotische Heuschreckenzeug, das Anthony Bourdain und andere reisende Haudegen nur deshalb runterschlucken, weil sich das später so toll ans Fernsehen verkaufen lässt. Sonst alles gern. Naja, Seegurke ist schon okay, aber es geht auch ohne.

J US

Es gibt nun mal keine gute Fleischsauce ohne einen guten, bis auf die Substanz eingekochten Jus, dunkelbraun, nach Braten duftend. Wer den Aufwand nicht scheut, präpariert ihn selbst, die anderen müssen ihn kaufen. Aber NICHT in den Gläsern namens „Fond“ aus dem Supermarkt, denn das ist nur Wasser mit Aroma. Sondern von Axel Hirtzbruch, der mal im Adlon war und seine konzentrierten Produkte angemessen „Glace“ nennt: Vom Kalb 7,10 Euro bei Coledampfs, Prinzenstr. 85 am Moritzplatz.

K LOSTERBRÄU

Alpirsbacher. Ein Bier, das zeigt, wie Bier geschmeckt hat, als es noch nicht mit Hopfenpellets standardisiert und uniformiert wurde: komplex wie guter Wein. Nicht so bitter wie der nordische Typus, aber auch nicht süß, „vollmundig“, wenn es denn unbedingt eine Schublade sein soll. Wird in Berlin bei „Wiesenstein“ ausgeschenkt, aber kürzlich sind erste Flaschen in Hoffmanns-Filialen aufgetaucht.

L ANGUSTINEN

Auch Scampi, Kaisergranat, dänisch Jomfruhummer. Haben roh wie gegart eine unvergleichliche Textur und sind sehr anpassungsfähig, ohne ihren Charakter aufzugeben. Best ever: knapp gegart auf einem heißen Stein mit Austernmayonnaise im Kopenhagener „Noma“.

M ARGARINE

Neudeutsch auch: Analogbutter. Ja, der Krieg ist die Mutter aller Dinge, meinetwegen. Aber dann hätte man dieses Zeug doch nach dem Krieg wieder verbieten können, oder? Siehe auch: Analogkäse, Formvorderschinken, Rama Cremefine.

N OUVELLE CUISINE

Wird heute in Deutschland meist als historischer Irrweg missverstanden und mit Loriot als „übersichtlich“ verhöhnt. War aber – beginnend 1970 – der große Befreiungsschlag, der alles, was uns heute schmeckt, erst möglich gemacht hat. Frische, Leichtigkeit, regionaler Bezug, Kreativität, alles steckte von Anfang an drin.

O LIVENÖL

Kochen ohne Olivenöl geht auch, ist aber sinnlos. Am besten schmeckt es allerdings mit Roggenbrot einfach nur so – und schlägt manchmal das darauf folgende Menü kulinarisch um Längen. Ob es im Hals kratzt oder nicht, ist eher eine Sorten- als Qualitätsfrage; die besten Sorten kommen tatsächlich aus klinisch sauberen High-Tech-Betrieben und nicht aus verwitterten Fachwerkmühlen. Sehr gut: das spanische „Dauro“, für 12,90 in den Berliner Filialen von „Wein & Vinos“.

P INOT NOIR

Wer sich sein Leben lang mit Wein beschäftigt, der landet, was Rote angeht, unweigerlich beim Spätburgunder, das ist nun mal so. Ich kann mir bestenfalls das untere Viertel leisten, aber das reicht völlig. Die wirklich fabelhaften Givrys von Joblot oder die nicht minder feinen Kaiserstühler von Holger Koch gibt es bei www.pinard-de-picard.de.

Q UENELLES DE BROCHET

Deutsch: Hechtklößchen. Die göttlichen Monsterdinger, die ich 1977 in der Auberge Bressanne in Bourg-en-Bresse gegessen habe, bien sûr mit Krebssauce („Nantua“), haften nach fast 35 Jahren immer noch im Gedächtnis. Ich fürchte, die Streberteller unserer aktuellen Drei-Sterne-Köche halten nicht so lange, schon deshalb, weil man sich an diesen lauen Landschaften nie derart die Zunge verbrennen kann.

R IESLING

Der Weißwein schlechthin. Ich denke immer wieder, man müsse schon aus Gründen der Rebsorten-Antidiskriminierung mal was anderes aufmachen, das geht ja auch ganz gut, aber auf halbem Weg fange ich an, zu überlegen, wie jetzt ein Glas Riesling wäre. Besser! Man kann aus Riesling auch Sekt machen, muss aber nicht. Gerade sehr gern: Keller, Emrich-Schönleber, Schäfer-Fröhlich, Battenfeld-Spanier.

S LOW FOOD

Gute Idee, nette Leute, tolle Produkte. Leider nützt das alles wenig, wenn von den hochverehrten Streuobstwiesen muffiger Apfelsaft kommt oder der Mensch in der Küche all die schönen Zutaten ahnungslos slow zu schauderhaften Großmuttergerichten verkocht.

T RÜFFEL

Göttliche aromatische Gratwanderung zwischen schwarz und weiß – aber ständig droht der Absturz in die Niederungen des synthetischen Trüffelöls, das immer im Spiel ist, wenn schlechte Köche außerhalb der Saison mit irgendwas Getrüffeltem drohen. Am 15. Januar lädt Ralf Bos, einer der größten Händler, zur Trüffelparty ins Berliner Intercontinental. Da kann nichts schiefgehen. (Anmeldung: 2602-0).

U SA

Dry aged beef, Thomas Keller, Napa Valley, Culinary Institute, Cajun Food, Katz’ Deli, All clad, Micro Vegetables – großartig. Ein kulinarisch extrem unterschätztes Land. Und ja, ab und zu bin ich auch bei McDonald’s.

V EGETARIER

Bin ich nicht. Ich kann verstehen, dass man die Welt so sieht und finde zumindest, dass niemand Billigfleisch der üblichen Supermarktqualität braucht. Weniger Fleisch essen ist also gut, und deshalb wundere ich mich, dass es unsere Top-Köche in ihre Menüs so selten Gemüsegänge einbauen, bestenfalls mal was mit Nudeln. Das ist denkfaul. Große Ausnahme: Michael Hofmann im „Margaux“. Von dessen Niveau sind unsere vegetarischen oder veganen Restaurants weit entfernt.

W OHLFAHRT, HARALD

Er war nie Avantgarde, hat kaum Gerichte komponiert, die ikonischen Rang beanspruchen können. Und möglicherweise ist er auf irgendwelchen Ranglisten schon von Joachim Wissler entthront worden. Aber wenn es um Geschmack geht, sind seine bei aller Komplexität leicht verständlichen Menüs immer noch das Maß aller Dinge.

X AVIER

Name einer traditionellen Suppe mit Eierstich, Reismehl und/oder Geflügel. Nur deshalb noch bekannt, weil der Buchstabe X in den kulinarischen Lexika sonst fehlen würde.

Y SOP

Ehrlich? Kein sehr wichtiges Kraut, ein wenig eindimensional, da gibt es viel Besseres. Aber wollen Sie hier was lesen über all die Flaschen Chateau d’Yquem, die ich nie getrunken habe?

Z UCKER

Wenn schon, denn schon. Auf die Erdbeeren eine Schippe drauf, das muss sein. Auf den Pflaumenkuchen, na klar. Und zuckerreduzierte Marmelade ist was Furchtbares. Aber deshalb nun jeden Menügang ein wenig süßlich abstimmen? Gottlob scheint diese Mode langsam durch zu sein.

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