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Gisèle Pelicot vor der Urteilsverkündung am Donnerstag

© dpa/CHRISTOPHE SIMON

Nach Urteil im Fall Pelicot: Jetzt müssen wir über „Ja heißt Ja“ nachdenken – auch in Deutschland

Das Urteil im Fall Pelicot, 20 Jahre für den hauptangeklagten Ex-Mann, ist hart und richtig. In Deutschland sind die Strafen geringer. Sie raufzusetzen gilt als wenig zweckdienlich. Was man tun kann.

Ariane Bemmer
Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Stand:

20 Jahre Haft, das ist die Höchststrafe, und sie wurde ausgeschöpft. 20 Jahre sind – alltäglich verstanden – fast dasselbe wie lebenslänglich, und der Fall Pelicot rechtfertigt das.

Er ist eine Anordnung aus dem Horrorfilm gewesen: Ein Ehemann, der seine Frau betäubt zum sexuellen Missbrauch im Internet anbietet, Männer aus der mehr oder weniger nahen Umgebung des Paars, die das Angebot annehmen, und sich dabei vom Hausherrn filmen lassen.

50 Männer, die über die wehrlose Gisèle Pelicot hergefallen sind, waren mitangeklagt. Auch sie wurden bei geringeren Haftstrafen allesamt schuldig gesprochen.

Lebenslänglich für Vergewaltigungen?

Eilmeldungen mit der News „20 Jahre Haft für Vergewaltigung“, wie sie am Donnerstag auf Millionen Smartphones aufploppte, werden von deutschen Gerichten bis auf Weiteres nicht ausgelöst werden. Hier kommen für solche Gräueltaten maximal 15 Jahre zusammen.

Es ist naheliegend, jetzt höhere Haftstrafen auch für Deutschland zu fordern. Warum nicht lebenslänglich? Wenn das nur einer einzigen Frau eine Vergewaltigung ersparen könnte, wäre es doch gut.

Aber da ist das juristische Denken vor, das eine derartige Heraufsetzung für wenig wahrscheinlich hält – und auch für wenig zweckdienlich: Denn Strafmaße verhindern keine Vergewaltigungen.

In einzelnen Situationen ist das sicher richtig. Und dennoch ist die Frage, was wie bestraft wird, nicht trivial. Auch dadurch macht eine Gesellschaft klar, wie wichtig ihr welche Werte und Rechtsgüter sind.

Internet als wichtiger Bestandteil des Horrors

Wahr bleibt auch der Einwand, dass wichtiger Bestandteil des Horrors von Gisèle Pelicot das Internet war. In dessen dunklen Ecken fallen jene Hemmschwellen, die Menschen sonst in der Spur gehalten und dafür gesorgt haben, dass monströse Ideen genau das bleiben: Ideen, die eben nicht zur Tat werden.

Eine Reaktion auf diese wegfallenden Hemmschwellen im digitalen Raum sollte sein, die im analogen Raum vorhandenen Hemmschwellen zu stärken. Sie gleichsam immer höher zu bauen, auf dass sie auch in den digitalen Abgründen weithin sichtbar sind.

„Ja heißt Ja“ würde die Sinne schärfen

Eine solche Schwelle könnte das „Ja heißt Ja“ sein, das eine ausdrückliche Zustimmung vor dem Sex verlangt. Die Frau müsste bildlich gesprochen wach auf der Bettkante sitzen und Ja sagen, bevor es zum Äußersten kommt.

In Deutschland gilt seit 2017 der Grundsatz „Nein heißt Nein“, was – vergleichbar der viel diskutierten Widerspruchslösung bei der Organspende – Einverständnis erstmal voraussetzt, dem im gegensätzlichen Fall aktiv widersprochen werden kann.

In Fällen, in denen Frauenhass oder sonstige mentale Störungen über Taten wie Vergewaltigungen ausgelebt werden, hilft das alles natürlich nicht viel.

Aber bei vielen anderen Menschen würde eine „Ja heißt Ja“-Regelung womöglich den Blick schärfen auf einen zwischenmenschlichen Akt, dessen grundsätzliche Alltäglichkeit unter minimal veränderten Bedingungen schnell zu einer maximalen Straftat werden kann.

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