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Landesmuseum Zürich. Der zackige Anbau der Architekten Christ & Gantenbein wurde 2016 fertiggestellt.

© Schweizerisches Nationalmuseum

Die schönsten Bahnhofsviertel: Nächster Halt: Zürich

Viel zu teuer, um hier Urlaub zu machen. Aber für einen Zwischenstopp optimal. Rund um den Bahnhof gibt es ein bisschen Russische Revolution, Kichererbsensalat und kostenlose (!) Fahrräder.

ZUM EINSTEIGEN

Wer aus der Hintertür des Bahnhofs heraustritt, steht praktisch schon mit einem Bein im Landesmuseum (1). Im vergangenen Jahr wurde der zackige Anbau der Architekten Christ & Gantenbein fertiggestellt, der ungewöhnliche Aus- und Durchblicke auf das burgähnliche Stammhaus eröffnet. Die aktuelle Sonderausstellung, zum 100. Jahrestag der Russischen Revolution, beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen den linken Rebellen und der Schweiz. Das ein enges war, denn ausgerechnet das Land der Banker gewährte den Kommunisten Asyl. Und auch Lenin war Bahnfahrer: Am 9. April 1917 bestieg er, zusammen mit seiner Gattin und seiner Geliebten, in Zürich den Zug nach Petrograd, vormals St. Petersburg, wo ein paar Monate später die Oktoberrevolution begann. Selbst wenn die Zeit zum Besuch einer der Schauen des kulturhistorischen Museums nicht reicht (eine andere widmet sich dem Wetter): Im fantastischen Museumsshop bekommt man auf die Schnelle alle Mitbringsel, die man braucht – Schweizer Design at its best.

ZUM PROMENIEREN

Im Laufe der Jahrhunderte ist der Platzspitz (2) ziemlich geschrumpft – Bahnhof und Museum nahmen dem einst barocken Park Raum weg. Dennoch, zur kleinen Erfrischung zwischen zwei Zügen kann man im lauschigen Platzspitz prima promenieren. Das hätte in den 1980er Jahren niemand getan. Damals drängten sich jeden Tag Tausende von Drogensüchtigen im „Needle Park“, kauften, konsumierten, prostitutierten sich, „ein stinkendes, blutiges Schlachtfeld“, wie Zeitzeugen sich erinnern. Viele starben vor Ort – „eine der größten sozialen Katastrophen der Schweiz“, so der „Tagesanzeiger“ im Rückblick. 1992 wurde der Platzspitz für ein Jahr geschlossen und wieder in den grünen Park verwandelt, der er war, als James Joyce ihn zu seinem Lieblingsort erklärte. Der irische Schriftsteller hat einige Jahre in Zürich gelebt, hier ist er auch gestorben. In der Altstadt, im Strauhof, ist ihm eine kleine Ausstellung gewidmet; Fotos zeigen den elegant gekleideten Autor, lässig an die Reling gelehnt, hinter sich die Spitze, an der die beiden Flüsse Limmat und Sihl aufeinandertreffen. Weshalb man am Platzspitz auch zur kleinen Stadtrundfahrt aufs Schiff steigen kann.

Lindenhof. Die älteste öffentliche Grünanlage der Stadt.
Lindenhof. Die älteste öffentliche Grünanlage der Stadt.

© imago/Travel-Stock-Image

ZUM KUTSCHIEREN

Ratlos schaut sie sich um. Wo denn die Bahnhofstraße (3) sei, möchte die fein gemachte Dame wissen. Dabei steht sie mittendrauf. Aber hier, am unteren Ende, entspricht die Avenue nicht ganz den gehobenen Erwartungen. Mango, Zara, Esprit, die gleichen Ketten wie überall – soll das die legendäre Luxusmeile sein? Die Dame müsste nur ein bisschen weiter geradeaus laufen, weg vom Bahnhof Richtung Zürichsee, vorbei am von Touristen übervölkerten Café Sprüngli, und die Bahnhofstraße sähe immer mehr so aus, wie die süddeutsche Dame sie sich vorstellt. Nur – interessiert sich ernsthaft jemand für Dolce & Gabbana, Rolex & Co? Die Mieten in der Gegend sind horrend, viele einheimische Geschäfte wurden verdrängt. Und das hat schon Gottfried Benn gewusst, dass man auch an der teuren Bahnhofstraße am Ende doch nur bei der eigenen Armseligkeit landet. Also: geschenkt.

Kraft sparen – Tram fahren. Zürich ist eine der wenigen westlichen Metropolen, die keine U-Bahn hat, die Reise mit der Straßenbahn gehört daher zu den authentischen Erlebnissen. Einmal mit der 11 bis zum Bürkliplatz am Zürichsee und zurück, das lohnt sich, denn die Architektur ist ein paar Blicke wert. Werner Huber, Autor eines Buchs über die 1,4 Kilometer lange Nobelmeile, empfiehlt, den Blick zu heben: „über die Ladenfassaden hinaus“.

ZUM AUSRUHEN

Wäre das Wort nicht so überstrapaziert, man würde den Lindenhof (4) eine Oase nennen. In der Altstadt gelegen, ist er eine Art romantisches Hochplateau, auf das man über kopfsteingepflasterte Gassen und Treppen gelangt.

Ein bisschen Bergsteigen gehört in der Schweiz immer dazu. Auf der grünen Höhe, der ältesten öffentlichen Grünanlage der Stadt, spielen die Einheimischen Boccia und Schach, die Kleinen schaukeln. Man kann sich auf die Bank setzen (gratis!) und James Joyce lesen, oder einfach auf die Limmat und die Bäume und über die alten Wohnhäuser mit ihren hübschen Fensterläden hinwegschauen und ins Grübeln kommen: warum in der Schweiz erst 1971 das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Eine der Linden wurde aus diesem Anlass gepflanzt.

Zukunft besichtigen: Die Stadt bekommt eine zweite Bahnhofstraße

Im Edelkaufhaus Globus. Geschmackvolle Warenarrangements zu Schweizer Preisen.
Im Edelkaufhaus Globus. Geschmackvolle Warenarrangements zu Schweizer Preisen.

© Globus

ZUM GUCKEN

Etwas zurückgesetzt von der Bahnhofstraße, hinter der kleinen Grünanlage mit dem Denkmal Pestalozzis, des Reformpädagogen und Aufklärers, steht das Edelkaufhaus Globus (5). Geschmackvolle Warenarrangements, zu Schweizer Preisen. Also rollt man nach unten, in die Lebensmitteletage, betrachtet die malerischen Auslagen wie im Museum – auch ohne dass man etwas kauft, ein ästhetischer Schmaus. (Wobei: die Hausmarke Schokotrüffel sollte man sich nicht entgehen lassen.) Vor der Haustür kann man sich Fahrräder ausleihen. Für ganz umsonst. „Züri rollt“, heißt die Devise.

ZUM EINKAUFEN

Es lohnt sich, das Rad zu nehmen. Denn das interessantere Bahnhofsviertel liegt ein bisschen weiter weg: auf der anderen Seite der Bahngleise. „The wrong side of the tracks“, wie Marilyn Monroe so eine Lage zu nennen pflegte. Heutzutage ist die falsche Seite meist die richtige, da buntere, innovativere, kreativere. Nach dem Verschwinden der Drogenszene haben sich hier im Norden Designbüros ebenso angesiedelt wie die Architekturzeitschrift „Hochparterre“ und Galerien. Die denkmalgeschützten historischen Gebäude sind angenehm unrausgeputzt, blaue Plaketten erzählen ihre Geschichte. Und dem alten Viadukt (6) wurde neues Leben eingehaucht. In den sanierten Bahnbögen findet man anstelle der Bahnhofstraßen-Ketten lauter individuelle Geschäfte. Secondhand- und originelle Mode-, Möbel- und Fahrradshops, soziale Einrichtungen, eine Markthalle mit Delikatessläden und Restaurants. Im „Bogen F“ kann man Singer-Songwriter hören, im „Club el Social“ Tango tanzen, im „Westflügel“ Möbel und Bücher kaufen. Oder sich einfach auf die Josefwiese legen, wie es die Zürcher tun.

In den sanierten Bahnbögen findet man lauter individuelle Geschäfte.
In den sanierten Bahnbögen findet man lauter individuelle Geschäfte.

© Nelly Rodriguez

ZUM KUNST SCHAUEN

Wenn Sie ein großes orangefarbenes M sehen, folgen Sie ihm. Es leitet Sie zur Migros, wo Sie echte Schweizer Schokolade zu zivilen Preisen bekommen. Gleich um die Ecke vom Kaufhaus Globus liegt eine ganze „Migros City“, im Bahnhof gibt’s auch eine Filiale. Lange bevor Aldi und Lidl auf die Welt kamen, wurde die Migros gegründet, bald 100 Jahre ist das her. Dabei ist die Migros weit mehr als ein Supermarkt. „Meine Migros“, nennen die Schweizer sie, wie eine gute Mutter. Als Solche ist sie auch Rundumversorgerin. Der Genossenschaftsbund hat alles im Angebot, von der Pauschalreise über Versicherung und Volkshochschule bis zur Kunst. Ein Prozent des Umsatzes wird seit der Nachkriegszeit in Kultur und Weiterbildung investiert. Gleich gegenüber vom Viadukt residiert das „Migros Museum für Gegenwartskunst“ (7) im alten backsteinernen Löwenbräu-Areal mit modernen Anbauten. Die Bierproduktion wurde schon 1986 eingestellt, in dem Gebäudekomplex fanden etliche Institutionen der Kultur ein Zuhause, darunter die Kunsthalle Zürich, Galerien wie Hauser & Wirth, Verlage wie Patrick Frey. Wer zwischen all der geistigen Nahrung Substantielleres braucht, kann praktisch nebenan in der Alpenrose einkehren, einem behaglichen Gasthaus mit Schweizer Küche und sozialem Engagement: Die Stiftung Arbeitskette beschäftigt psychisch und körperlich beeinträchtigte Menschen.

ZUM AUFTANKEN

Die Zukunft kann man auch schon besichtigen. Zürich bekommt nämlich eine zweite Bahnhofstraße, die den Namen Europaallee (8) trägt. Im Moment ist sie noch ziemlich steril, das Viertel wird, parallel zu den Gleisen, weitgehend aus dem Boden gestampft, entworfen von Stararchitekten wie Max Dudler und David Chipperfield. Bis es nicht nur fertiggestellt, sondern auch wirklich eingelebt ist, wird es wohl noch viele Jahre dauern. So lange kann man sich in einem der diversen Restaurants vergnügen, wie dem jungen „Jack und Jo“, das sich „Slow Fast Food“ verschrieben hat.

Historischer Anker des neuen Viertels ist die alte Sihlpost von 1930. Dort kann man auch zwischen zwei Zügen schnell reinspringen und sich originellen Reiseproviant besorgen. In der Ex-Post hat nämlich eine Filiale von „Hiltl“ eröffnet, dem ältesten vegetarischen Restaurant der Welt, das verdammt jung aussieht. Die Inhaberfamilie betreibt sogar eine eigene vegetarische Metzgerei. Hier, mit der schönen Adresse Europaallee 1a, dominiert das Selbstbedienungsbuffet mit einheimischen und fernen Speisen, südafrikanischem Blumenkohl- oder indischem Kichererbsensalat. Die Preise sind egalitär: Alle Gerichte kosten das Gleiche, 100 Gramm zum Mitnehmen 3,50 Franken (3,25 Euro), zum Bleiben einen Franken mehr. Für ein halbes Glas Hauswein, 0,1l, zahlt man sagenhafte neun Franken. Immerhin, das Wasser ist umsonst. Und Sie befinden sich in einer Stadt, in der die Currywurst mit Brot, auf Pappe serviert, 8,50 Franken kostet.

Wer mehr Muße hat, dem sei der Besuch einer anderen, weniger hektischen Filiale empfohlen, nämlich die Hiltl-Dachterrasse an der guten alten Bahnhofstraße 88, der Eingang an der Seite so versteckt, dass fast nur Einheimische den Weg finden. Lohnt sich dank der Verglasung auch bei schlechtem Wetter: Man sitzt unter Palmen. Und wundert sich, wie gut ein Birchermüsli schmecken kann.

Reisetipps für Zürich

(1) LANDESMUSEUM ZÜRICH
Museumstraße 2, Di-So 10-17 Uhr, Do bis 19 Uhr.

nationalmuseum.ch/d/zuerich

(2) PLATZSPITZ

Täglich geöffnet; nachts schließt der Park zur selben Zeit wie der Hauptbahnhof, circa 0.30 bis 4 Uhr. Kürzlich erschien ein neues Buch: „Platzspitz – Insel im Strom der Zeit“ (NZZ Libro, 28 Euro). Die Schiffe legen alle 30 Minuten zur einstündigen Rundfahrt ab (CHF 9,40).

zsg.ch/de/limmat-schifffahrt.html

(3) BAHNHOFSTRASSE
bahnhofstrasse-zuerich.ch

Das Café Sprüngli sitzt in der Nr. 21, am Paradeplatz; traditionelles Schweizer Design findet man beim Schweizer Heimatwerk in der Nr. 2.

Werner Hubers Buch über die Bahnhofstraße ist im Verlag „Hochparterre“ erschienen (95 Euro).

(4) LINDENHOF

Immer geöffnet, auch nachts schöne Ausblicke.

Vom Hauptbahnhof aus starten täglich Führungen durch die Altstadt (Erwachsene 25 Franken, Kinder 12,50).

zuerich.com/de/besuchen/touren-ausfluege/altstadt-geschichten.

(5) GLOBUS

Schweizergasse 11

globus.ch/filialsuche/store/101.

Hier, wie am Viadukt und am Landesmuseum, befinden sich Filialen des Gratis-Radverleihs „Züri rollt“.

zuerich.com/de/besuchen/sport/zueri-rollt

(6) VIADUKT

im-viadukt.ch

Die Markthalle ist Mo-Sa 9-20 Uhr geöffnet.

(7) MIGROS MUSEUM

Limmatstraße 270, Di, Mi, Fr 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Sa/So 10-17 Uhr.

migrosmuseum.ch

lowenbraukunst.ch

(8) EUROPAALLEE

europaallee.ch

Das Hiltl in der alten Sihlpost hat die Hausnummer 1a.

hiltl.ch/de/standorte/sihlpost

Migros Museum für Gegenwartskunst. Ausstellungsansicht „Museum Revisited 1996-2016“.
Migros Museum für Gegenwartskunst. Ausstellungsansicht „Museum Revisited 1996-2016“.

© Nicolas duc

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