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Kanadas Premier Justin Trudeau

© Blair Gable/REUTERS

Coronavirus in Kanada und den USA: Warum Kanada besser auf die Pandemie reagierte

Anders als die USA hat Kanada die Ausbreitung des Coronavirus deutlich verlangsamt. Doch die Sorge vor einem Rückschlag wächst.

In langsamen und kleinen, für viele Kanadier zu kleinen Schritten versucht Kanada nach dem nahezu totalen „Lockdown“ in der Coronakrise zu einem normaleren Leben zurückzukehren. Immer wieder mahnen neu auftretende regionale Krisenherde zu Vorsicht. Das abschreckendste Beispiel einer überstürzten Öffnung bietet das Nachbarland USA.

Tatsächlich hat Kanada in den vergangenen fünf Wochen einen Anstieg der Infektionszahlen um insgesamt lediglich rund 10.000 gesehen – von knapp über 100.000 auf nunmehr rund 115.000 Fälle, etwa 306 Fälle pro 100.000 Einwohner. Pro Tag kamen landesweit im Juni nur 300 bis 400 Neuinfektionen hinzu. Anfang Juli waren es noch weniger. Ende April, auf dem Höchststand von Kanadas Coronakrise, waren es täglich über 2000 Neuinfektionen, teilweise sogar mehr. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen wurden täglich zwischen 160 und 180 neue Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 gemeldet.

Trudeau hat ein Ohr für die Experten

Doch der zu Krisenbeginn befürchtete Zusammenbruch des Gesundheitswesens wurde vermieden. Die USA, mit einer acht Mal so großen Bevölkerung, verzeichnen bislang insgesamt gut 4,1 Millionen Infektionen – 1191 Infektionen pro 100.000 Einwohner.

Rund 145.000 Tote, die im Zusammenhang mit Covid-10-Infektionen stehen, sind zu verzeichnen. In Kanada dagegen starben bis Mittwoch 8908 Menschen im Zusammenhang mit Covid-19. Derzeit kommen täglich nur wenige Todesfälle hinzu.

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Während US-Präsident Donald Trump sich regelmäßig über den Rat der Gesundheitsexperten hinwegsetzt und eine Strategie vermissen lässt, bewegten sich in Kanada Politik, Gesundheitsbehörden und Mediziner weitgehend im Gleichschritt. Trudeau verwies bei seinen Entscheidungen stets auf den Rat der Experten, parteipolitisch wurde das Virus nicht instrumentalisiert.

Konservativ und liberal geführte Provinzen arbeiten mit der Bundesregierung zusammen. Einmal pro Woche konferieren die Regierungschefs der 13 Provinzen und Territorien in einer Telefonschalte mit Trudeau.

Kanada erließ früh strikte Corona-Regeln

Kanada ging mit seinem „Lockdown“ Mitte März sehr weit. Er betraf alle Sektoren - das Wirtschaftsleben, Schulen, Kindertagesstätten und öffentlichen Dienst. Auch als abzusehen war, dass die schlimmsten Szenarien nicht Realität würden, zögerten die meisten Provinzen lange mit dem Start der „Wiedereröffnung“. Schulen blieben – abgesehen von Québec – vor den Sommerferien überall geschlossen.

Innerhalb Kanadas ist bisher kein uneingeschränkter Reiseverkehr möglich: Die vier Atlantikprovinzen haben eine „Blase“ geschaffen und lassen Tourismus nur unter sich zu. Wer aus anderen Provinzen kommt, muss zunächst in Quarantäne.

Kanadas Premierminister Justin Trudeau.
Kanadas Premierminister Justin Trudeau.

© Reuters/ Blair Gable

In weiten Teilen der bevölkerungsreichsten Provinz Ontario dürfen nun Restaurants nicht nur auf ihren Terrassen, sondern auch innen Gäste bewirten. Toronto und einige andere Städte im Südwesten der Provinz, die noch etwas höhere Infektionszahlen haben, müssen aber noch warten, bis sie von der Provinzregierung grünes Licht für weitere Erleichterungen erhalten. Dass einige Provinzen nicht nur Restaurants, sondern auch Pubs und Bars Innenbetrieb erlauben, sehen Gesundheitsexperten mit Sorge.

Tatsächlich sind die derzeitigen Zahlen mit Vorsicht zu genießen. In mehreren kanadischen Provinzen sind die Behörden aufgrund des Anstiegs von Neuinfektionen alarmiert.

„Es besteht die Gefahr einer explosiven Zunahme, wenn wir nicht vorsichtig sind“, mahnt die Leiterin der Gesundheitsbehörde von British Columbia, Bonnie Henry. Nach mehr als 100 neuen Infektionen am vergangenen Wochenende warnte sie davor, Corona-Maßnahmen zurückzunehmen. Landesweit wurden am 20. Juli sogar 770 Neuinfektionen gemeldet.

In der Nachbarprovinz Alberta wurden von Donnerstag bis Sonntag insgesamt 488 neue Fälle registriert. Erstmals seit Anfang Mai lag die Zahl der täglichen Neuinfektionen über 100.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]

Dies könne ein Zeichen sein, dass die Bevölkerung „selbstzufrieden“ werde, meinte die Chefmedizinerin der Provinz, Deena Hinshaw. Der in vielen Teilen des Landes extrem heiße Sommer lässt Menschen in Parks und an Seen strömen. „Social distancing“, das Behörden und Politiker immer wieder anmahnen, fällt da schwer. Die Bilder von überfüllten Stränden und Parks entsetzten manche Politiker.

Viele Todesfälle tragen Alters- und Pflegeheime

Trotz immer wieder aufflackernder „Hotspots“: Kanadier können derzeit ohne Einschränkungen in die EU einreisen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung von 38 Millionen Einwohnern sind die rund 8900 Todesfälle ein hoher Wert. Fast 7000 Fälle meldeten die oft schlecht ausgestatteten und nicht auf die Krise vorbereiteten Alters- und Pflegeheime.

Besonders schlimm war es in Québec. Die Tragödien, die sich in den Pflegeheimen abspielten, wo alte Menschen isoliert von ihren Angehörigen starben, lieferten erschütternde Bilder und Geschichten. Sie werden, so hoffen die Kanadier, zu einer völligen Neuorientierung in der Versorgung alter Menschen in Kanada führen.

Kanadische Touristenboote (unteres Schiff) an den Niagarafällen dürfen nur bis zu sechs Personen mitnehmen, US-amerikanische Boote (oberes Schiff) dürfen bis zu 50 Prozent ausgelastet sein.
Kanadische Touristenboote (unteres Schiff) an den Niagarafällen dürfen nur bis zu sechs Personen mitnehmen, US-amerikanische Boote (oberes Schiff) dürfen bis zu 50 Prozent ausgelastet sein.

© Carlos Osorio/Reuters

Im Rückblick verhinderten Versäumnisse zu Beginn der Krise im Februar und bis Mitte März, dass Kanada noch besser durch die Krise kam. Selbst die Chefin der Gesundheitsbehörde sah noch im Februar nicht den Ernst der Lage, mit der Kanada konfrontiert werden könnte. Noch Mitte März zweifelte Gesundheitsministerin Patty Hajdu am Sinn von Reisebeschränkungen, die dann wenige Tage später in Kraft gesetzt wurden.

Und über den Sinn von Gesichtsmasken wurde in Kanada bis zuletzt gestritten. Nur zögerlich wurde Maskentragen in geschlossenen Räumen verpflichtend eingeführt. Dass die täglichen Fallzahlen Ende Juli wieder ansteigen - teilweise gibt es pro Tag rund 700 Neuinfektionen und damit fast so viele wie zuletzt in Deutschland mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern - könnte dazu führen, dass die Maßnahmen verschärft werden.

Dass die weitgehende Schließung der Grenze zu den USA jetzt um einen weiteren Monat bis 21. August verlängert wurde, findet große Zustimmung. Die Kanadier wollen nicht, dass US-Amerikaner das Virus einschleppen. Mit bangem Blick schauen die Kanadier aber auch auf die „Hotspots“ in ihrem Land. Mühsam erreichte Erfolge sollen nicht zunichte gemacht werden.

Howard Njoo, stellvertretender Chef der kanadischen Gesundheitsbehörde, mahnte am Dienstag: „Wir brauchen nur ein paar Funken, um zurückzufallen und eine Situation zu schaffen, in der wir nicht mehr sein wollen.“

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