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Kolumne: Elena Senft schaltet nie ab: Die Amigo-Republik Osnabrück

Familie Wulff hatte ein wirklich bescheidenes Jahresende. So viel Mitleid muss erlaubt sein.

Anzunehmen, dass sie das alte Jahr lieber parkettsicher tanzend auf der Jacht eines befreundeten Unternehmenschefs begossen hätten, anstatt „Bild“-Chef Kai Diekmann hinterherzutelefonieren, um journalistische Recherchen zu unterbinden und sich die Haare zu raufen. Christian Wulffs Anruf hatte Folgen: Zum ersten Mal gibt es eine lustige Radio-Comedy, ein Genre, das sich bislang konsequent durch absolute Humorlosigkeit auszeichnete, und die bei Facebook noch mehr die Runde macht als seinerzeit das Youtube-Video, in dem ein Esel einen Touristen vergewaltigen will.

Bisher hegte ich Christian Wulff gegenüber eine gewisse Grundsolidarität, obwohl mir eigentlich grauhaarige Bundespräsidenten besser gefallen, die erzählen, wie sie früher mit Murmeln gespielt haben und auf dem Acker Kartoffeln stahlen, um ihre Familie durchzubringen. Diese Solidarität rührt nicht zuletzt daher, dass auch meine Eltern aus Osnabrück kommen und in ihrem Haushalt mindestens ein „Ich komm zum Glück aus Osnabrück“-Heckscheibenaufkleber existiert, über dessen Anbringung an einem Familienfahrzeug schon mal nachgedacht wurde.

Eine kurze Zusammenfassung der Causa Wulff, die ich gerne jetzt schon „Rubikon-Affäre“ taufen möchte: Christian Wulff hat einen umstrittenen Hauskredit bei einem Ehepaar namens Geerkens aufgenommen, die „Bild“ wollte darüber berichten, Christian Wulff bekam davon Wind und rief scheinbar wutentbrannt Chefredakteur Diekmann an und gab auf dessen Mailbox seine sofortige Trennung vom Springer-Blatt bekannt, mit dem er bis dato zusammenarbeitete. Der Bundespräsident war gerade auf einer Rundreise auf der Arabischen Halbinsel. Tatsächlich schien bis zu diesem Zeitpunkt noch alles in Ordnung zwischen „Bild“ und Wulff: Man berichtete von der romantischen Nacht der Wulffs im „1000 Nights Camp“ und davon, dass Bettina Wulff extra an Wollsocken gedacht habe.

Im Zuge der ganzen Affäre sind einige interessante Aspekte bisher zu Unrecht unbeachtet geblieben: Warum hat meine Familie keine Osnabrücker Amigos? Woher stammt Christian Wulffs unglaublich bellizistisches Vokabular? Warum hat das biedere Einfamilienhaus in Großburgwedel bei Hannover eigentlich 500 000 Euro gekostet?

Wulff hätte man ein wenig besseren Umgang mit Mailboxen zugetraut, denn er ist ein medienerfahrener Mann. Jeder 15-jährige Teenager weiß, dass man niemals wütend auf eine Mailbox spricht. Geht einer nicht ans Telefon, dann ruft man halt 34 Mal an, bis der Angerufene es dann doch hört. Und spätestens nach dem vierten Mal aber bitte mit unterdrückter Nummer, damit man es im Notfall abstreiten kann. Selbst die Elterngeneration pflegt dezenten Umgang mit Anrufbeantwortern. Mütter legen, sobald eine Mailbox antwortet, hysterisch auf, um Kosten zu verhindern. Und sehr alte Verwandte atmen höchstens laut auf den Anrufbeantworter, um sich kurz nach Ablauf der Redezeit mit einem kräftigen „Hallo??“ zu vergewissern, ob wirklich niemand dran ist.

Eigentlich wollte ich etwas über Jahresvorsätze schreiben. Einfach weil es sich so aufdrängt. Viele Dinge habe ich bereits vor dem Jahreswechsel erledigt, damit es dann nicht ganz so dicke kommt und man sofort überfordert alles wieder abbläst: Ich habe den Oleander auf der Terrasse mit Noppenfolie verpackt und ich habe von Sommer- auf Winterreifen gewechselt. Nun muss ich nur noch Bildungslücken auffüllen. Die Sache mit dem Rubikon muss ich noch mal nachlesen. Dann ist hoffentlich auch bald wieder Ruhe.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Christine Lemke-Matwey und Jens Mühling.

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