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Leihmutter-Babys. Viele Eltern können sie aufgrund der Reisebeschränkungen nicht abholen.

© Andreas Stein/dpa

Eltern dürfen wegen Coronavirus nicht einreisen: Das Geschäft mit Leihmutter-Babys in der Ukraine

Bestellt und nicht abgeholt: Viele müssen auf ihre Leihmutter-Babys warten, weil sie wegen des Coronavirus nicht in die Ukraine reisen dürfen – auch Deutsche.

Das Geschrei Dutzender Babys durchdringt das kleine Hotel Venice am Stadtrand von Kiew. Neugeborene Jungen und Mädchen liegen hier in ihren Bettchen – zur Welt gebracht von Leihmüttern. Wegen der Reisebeschränkungen in der Coronavirus-Pandemie können sie nicht abgeholt werden.

Lebendig gewordene Kinderwünsche von Paaren, die aus vielerlei Gründen nicht selbst Nachwuchs bekommen. Ukrainische Frauen haben die Kinder der biologischen Eltern ausgetragen. Was etwa in Deutschland verboten ist, hat sich in der Ukraine – in nächster Nachbarschaft zur EU – zum Geschäft entwickelt. Das Business mit den Babys und dem Elternglück ruft auch Kritiker auf den Plan.

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„65 Neugeborene“, sagt Dmitri Lagodny etwas ratlos. Er managt das zur Kinderstation umfunktionierte Hotel, das hinter einer Mauer samt Stacheldraht und Kameraüberwachung steht. Die Flaggen Deutschlands, Chinas, Argentiniens, Frankreichs und Italiens wehen im Wind.

Sie geben einen Hinweis darauf, woher die vermögenden Kunden kommen. China führt. Weil seit März in der früheren Sowjetrepublik Ukraine wegen der Corona-Pandemie die Grenzen dicht sind, kommen die leiblichen Eltern kaum noch ins Land, um ihre Kleinen abzuholen.

Auch deshalb wandte sich die Firma BioTexCom im Mai per Videobotschaft in mehreren Sprachen an die Öffentlichkeit. Der Appell sollte Druck auf die Behörden im Ausland machen, sich für eine Lösung einzusetzen, damit die Eltern reisen können. „Wir hoffen, dass die Lage sich bald entspannt, wenn bei uns der internationale Flugverkehr am 15. Juni wieder freigegeben wird“, sagt Firmenchef Albert Totschilowski der Deutschen Presse-Agentur.

Nach langem Warten: Eine Argentinierin hält ihr Leihmutter-Baby erstmals in den Armen.
Nach langem Warten: Eine Argentinierin hält ihr Leihmutter-Baby erstmals in den Armen.

© Efrem Lukatsky/dpa

Doch Hilfe aus Deutschland zum Beispiel ist kaum zu erwarten. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied im vergangenen Jahr in einem Fall, dass die Ukrainerin die leibliche Mutter des Kindes bleibe. Die Deutsche, die ihr Kind mit Hilfe einer Leihmutter zur Welt brachte, konnte sich demnach auf dem deutschen Standesamt nicht als Mutter eintragen lassen, wie aus dem BGH-Beschluss hervorging. Ihr bliebe nur die Adoption, hieß es.

Viele schreckt das aber nicht ab. Die Ukraine ist wegen ihrer liberalen Gesetze längst eines der Zentren für künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft in Europa. Das Komplettpaket von der Entnahme der Eizellen und Spermien, über die Befruchtung und die Verpflanzung in die Leihmutter bis zur Geburt kostet je nach Aufwand zwischen 30 000 und 50 000 Euro. „Die Ukraine hat mit dem günstigen Preis einen Standortvorteil“, sagt Totschilowski zur Frage, warum das Geschäft ausgerechnet hier so blühe.

Leihmütter erhalten 15.000 Euro bei erfolgreicher Geburt

Die Leihmütter selbst erhalten demnach etwa 15.000 Euro bei erfolgreicher Geburt. Hinzu kommen Kost und Logis und ein Taschengeld während der Schwangerschaft. Davon leben die Frauen besser als viele andere in dem verarmten Land.

Bei rund 300 Euro liegt das Monatseinkommen im Durchschnitt. Vorwürfe, er benutze die Frauen, weist Totschilowski zurück. „Wenn das eine Ausbeutung der Frau ist, dann eine freiwillige, mit ihrer Zustimmung“, sagt der 43-Jährige. Viele meldeten sich sogar für eine weitere Schwangerschaft.

Krankenschwestern kümmern sich rund um die Uhr um die schreienden Neugeborenen. Beinahe täglich kommen neue hinzu. Von den Leihmüttern werden sie gleich nach der Geburt getrennt, damit keine Bindungen entstehen. Dicht an dicht stehen in einem der Säle etwa 30 Bettchen.

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Zutritt hat wegen der Corona-Gefahr nur Personal. 58 Pflegerinnen wechseln im Schichtbetrieb Windeln, füttern und baden die Säuglinge und gehen mit ihnen an der frischen Luft spazieren. „Uns blutet das Herz“, sagt eine Schwester, weil die Kinder ohne Eltern leben.

Nur wenige Eltern schaffen es bisher, mit Sonderflügen und Spezialgenehmigungen aus dem Ausland hierher zu kommen. Sie müssen nach der Landung selbst erst in Quarantäne für zwei Wochen, ehe sie zu ihrem Nachwuchs dürfen. Ende Mai landete ein Charterflug mit elf Paaren aus Argentinien.

Sie nahmen die Kleinen diese Woche feierlich und mit Freudentränen bei einer Zeremonie in Empfang. „Wir sind sehr glücklich und feiern das Leben“, sagte die 46-Jährige Maddie. Mit ihrem Mann Ricardo habe sie zwölf Jahre versucht, ein Kind zu bekommen. Vor 23 Tagen wurde ihr Sohn Noah geboren.

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„14 Kliniken haben heute derartige Kinder bei sich“, sagte die parlamentarische Menschenrechtsbeauftragte Ljudmila Denissowa. Sie erhält Dutzende Anfragen verzweifelter Eltern, die zu ihren Kindern wollen. Die Klinik von Geschäftsmann Totschilowski organisiert regelmäßige Videoschalten mit den Eltern, die dann ihre Kleinen sehen und sich nach ihrem Befinden erkundigen können.

Allein im vergangenen Jahr trugen Leihmütter in der Ukraine rund 1500 Kinder aus, wie das Justizministerium auf dpa-Anfrage mitteilte. Davon hätten 137 Babys mindestens einen deutschen Elternteil gehabt. Mit der Zahl der von Leihmüttern zur Welt gebrachten Kinder steigt aber auch die Kritik.

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Der Kinderbeauftragte des Präsidenten, Nikolai Kuleba, beklagte die Ausbeutung ukrainischer Frauen. „Es ist eine Sklaverei, die aufgrund der Armut zunimmt“, schrieb er bei Facebook. Die Frauen würden wie Gebärmaschinen behandelt.

Totschilowski denkt aber bereits weiter. Er setzt auf Technologien der Zukunft, eine künstliche Gebärmutter etwa. „Derartige Apparate wird es innerhalb der nächsten sieben bis zehn Jahre geben“, meint er.

Sein seit 2010 bestehendes Geschäft für künstliche Befruchtungen will er am liebsten auch nach Deutschland erweitern. In der Nähe von Leipzig habe er bereits ein Gebäude für eine Klinik gekauft. Nur die Verbote in Deutschland hindern ihn bislang an seinen Aktivitäten. (dpa)

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