zum Hauptinhalt
Greta Thunberg auf der „Malizia“ vor Gebäuden von New York

© Jen Edney/Team Malizia/dpa

Segelreise nach New York: Greta Thunberg hat bewiesen, dass es anders geht

Eine ungewöhnliche Schiffsreise geht heute mit der Ankunft Greta Thunbergs in New York zu Ende. Mit ihrer Atlantiküberquerung hat sie eine Brücke geschlagen.

Die Bedeutung von Schiffsreisen hat letzthin doch sehr nachgelassen. Wenn man bedenkt, dass der Mensch sich die Welt in früheren Jahrhunderten vor allem unter Segeln erschlossen hat, dann zeigt der Mangel an Interesse an solchen Unternehmungen, wie wenig es noch zu entdecken gibt. Menschen müssen jedenfalls keine Ozeane mehr überqueren, um Weltbilder zu stürzen.

Dennoch hat jetzt ausgerechnet die zweiwöchige Segelreise eines 16-jährigen Mädchens für enormes Aufsehen gesorgt. Am 14. August brach Greta Thunberg an Bord der „Malizia“ im englischen Plymouth zu einer Atlantiküberquerung auf. 14 Tage später erreicht sie ihr Ziel, New York, als die Morgensonne dort gerade durch niedrige, milchige Wolken dringt. Über der Skyline hängt ein trüber Tag.

Vor dieser imposanten Kulisse hat sich schon oft das Spektakel einer Ankunft abgespielt, die immer auch etwas von einer metaphorischen Landnahme hat. Egal ob es Max Schmeling oder Albert Einstein waren, die an den Piers der White Star Line amerikanischen Boden betraten. Welche Bedeutung könnte die Reise von Greta Thunberg nach Amerika gewinnen?

Für ein Fazit ist es noch zu früh. Von der Passage selbst lässt sich kaum Bemerkenswertes berichten, außer dass Thunberg und ihre vier Begleiter sie auf einem extravaganten 18-Meter-Racer absolviert haben, der für Rennen um die Welt konstruiert ist. Das hohe Tempo, das die Crew um den deutschen Skipper Boris Herrmann zeitweilig erreichte, hat die imposante Distanz von 3500 Seemeilen rapide zusammenschmilzen lassen.

Täglich meldete sich das Malizia-Team mit mindestens einem Foto und Video von Bord. Man sah romantische Sonnenunter- und -aufgänge, kämpfte sich durch vom Sturm aufgewühlte Seen, aber die große Kluft zwischen dem Bordalltag und dem Laben an Land vermochten sie nicht zu überbrücken. Das war es nicht, was Gretas Seereise zu einem außergewöhnlichen Ereignis macht.

Lernen, was Verzicht bedeutet

Die Klimaaktivistin, die erst vor einem Jahr mit ihrem mehr oder weniger stillen Protest auf den Stufen des schwedischen Parlaments begann, hat in sehr kurzer Zeit sehr viel bewirkt. Auf sie geht die Fridays-For-Future-Bewegung zurück, die Politisierung einer Schülergeneration, die von ihren Regierungen Antworten auf das Problem des Klimawandels erwarten.

Der Klimaschutz ist zu einem zentralen politischen Thema geworden, was Thunberg auf sämtliche Titelseiten der wichtigen Magazine gebracht hat. Jüngst kürte sie „GQ“ zum „Game Changer oft he Year“.

Da sich der gefragte junge Politstar in den Kopf gesetzt hat, einen eigenen Beitrag zur CO2-Reduktion zu leisten und deshalb auf Flüge zu verzichten, suchte sie nach einem Weg, klimaneutral zum UN-Klimagipfel in New York zu gelangen, der im September stattfinden wird.

Boris Herrmann und Pierre Casiraghi boten als „große Greta-Fans“ ihre Unterstützung an. Sie verfügen mit der vom Yachtclub de Monaco finanzierten Malizia über eines der wenigen Segelboote, das schnell genug für einen termingerechten Atlantiktörn und darüber hinaus mit einem vollkommen emissionsfreien Energiesystem ausgerüstet ist.

Bei der Abfahrt in Plymouth unterstrich Herrmann den symbolischen Charakter, den der Transport Gretas nach Amerika besitzt. Sie würden demonstrieren, sagte er, „dass es nicht einfach ist, auf fossile Brennstoffe zu verzichten, aber möglich“.

Einmal kurz musste der Schiffsdiesel angeworfen werden

Wie heikel dieses Versprechen sein würde, zeigte sich bereits beim Start. Das Malizia-Team hatte angekündigt, sich von elektrogetrieben Motorbooten aus dem Hafen bugsieren zu lassen. Der Wind blies dann allerdings so heftig, dass Herrmann einmal kurz den Schiffsdiesel anwerfen musste, um seine Millionen Euro teure Yacht vom felsigen Ufer freizumanövrieren.

Nach wenigen Tagen wurde bekannt, dass zwei Mitarbeiter des Rennteams der Yacht nach Amerika hinterherfliegen würden, um diese wieder nach Europa zurückzusegeln. Das schien Gretas Ökobilanz gehörig durcheinander zu bringen. Welchen Sinn hatte ihr Verzicht, wenn er an anderer Stelle erhöhte Emissionen verursachte?

Herrmann hatte seine liebe Not, das Missverständnis auszuräumen. „Wir bringen Greta emissionsfrei nach Amerika“, sagte er, die Flüge seiner Helfer wären ohnehin angefallen. Dass eine Rennmaschine wie die Malizia mit ihrer eigenen Ökobilanz an Grenzen stoßen muss, ist Kritikern nur schwer verständlich zu machen.

Ihr Denkfehler besteht darin, Gretas Aktion als kategorischen Imperativ zu betrachten. Als würde ein berechtigtes politisches Argument erst durch das persönliche Opfer moralisch legitimiert. Eine gute Aktion ist demnach nur die, die von Widersprüchen frei ist. Doch ohne Kompromisse dürfte die Anpassung des westlichen Lebensstils an die wissenschaftlichen Erfordernisse nicht zu haben sein.

Überdies spielt Moral bei der Frage, was man selbst für den Klimaschutz tun kann, keine Rolle. Auf den Einzelnen kommt es nicht an. Das Klimaziel einer Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 Grad ist nur in kollektiver Anstrengung zu erreichen. Ob Hinz oder Kunz, du oder ich, sich dem anschließen, indem wir mehr Fahrrad fahren, Fassadendämmungen verbessern und auf Plastikbesteck verzichten, fällt kaum ins Gewicht.

Obwohl es früher schon Versuche im Segelsport gab, sich klimaneutral über die Weltmeere zu bewegen, nehmen die Anstrengungen derzeit zu, die extremen Konstruktionen der Imoca-Klasse ohne Wettbewerbsverluste in kleine Energiewerke umzurüsten. So will der britische Segelstar Alex Thomson bei seinem Neubau ("Hugo Boss") ebenfalls auf fossilen Brennstoff verzichten.

Der Atlantik, "Zentrum unserer Welt"

Gretas Reise ist ein Anstoß. Das Mädchen hat eine ziemliche Tortur hinter sich. Denn es ist kein Spaß, auf einem Boot gefangen zu sein, das unter entsetzlichem Lärm erst tagelang gegen Wellen anbolzt, dann unter noch größerem Lärm und einem ständigen Pfeifton mit hoher Geschwindigkeit durchs Meer pflügt.

Wasser fließt in Sturzbächen über das Deck, die Stöße und abrupten Bewegungen erfolgen so unvorhersehbar, dass man sich ständig festkrallen muss und der Körper kaum je völlige Entspannung findet.

In einem ihrer Videos aus den letzten Tagen auf See sind Greta Thunberg die Mühen deutlich anzusehen, die es ihr macht, sich in dem tosenden, schäumenden Tumult verständlich zu machen. Der 22-Sekunden-Clip wurde bereits mehr als eine Million Mal gesehen. Denn er zeigt das Meer aus einer brutalen Perspektive. Mittendrin Greta, die stellvertretend für alle jene, die nie einen Imoca-Racer betreten werden, zeigt, dass man über sich selbst hinauswachsen kann, wenn man sich selbst treu bleibt.

Last Exit. Bei der Einfahrt nach New York erstirbt der Wind. Greta Thunberg und ihre Gefährten an Bord der Malizia müssen, das Ziel vor Augen, sich in Geduld üben.
Last Exit. Bei der Einfahrt nach New York erstirbt der Wind. Greta Thunberg und ihre Gefährten an Bord der Malizia müssen, das Ziel vor Augen, sich in Geduld üben.

© Team Malizia

Bei der Ankunft am Mittwoch wird der Malizia-Crew dann noch einmal die Bürde ihres CO2-Verzichts vor Augen geführt, als nämlich der Wind erstirbt und das Boot vor Brooklyn in der Flaute festhängt. Ein Motor könnte jetzt helfen.

Diese Überfahrt hat Greta für sich selbst unternommen und bewiesen, dass es anders geht. Nicht für jeden. Und nicht, wenn die Umstände nicht danach sind. Dennoch wird die Reise als etwas in Erinnerung bleiben, mit dem sich viele Menschen identifizieren.

Sie schlägt die Brücke, die den Atlantik von jeher zum „Zentrum unserer Welt“ macht, wie es der US-Historiker Leonard Outhwaite 1957 formulierte. Und sie tat es auf die beschwerliche Art unter Segeln, die an uralte Traditionen und Sehnsüchte rührt. Amerika ist das Produkt dieser Segel, weil auf den Schiffen der Auswanderer jener Funke von Europa aus ins Land getragen wurde, der bis heute Amerikas Führungsanspruch entzündet.

Welche Flamme Thunberg zu entfachen vermag in dem tief gespaltenen, auch in der Klimafrage zerrütteten Land, wird interessant. Es ist auch die Frage: Wofür brauchen wir Greta noch? Überstrahlt der Starkult mittlerweile die kleinen politischen Fortschritte? Steht Gretas Ruhm der Sache im Weg?

Beim Einlaufen in New York passiert Greta Thunberg wie Millionen Menschen vor ihr die Staue of Liberty mit ihrem in den Himmel gereckten Arm und der Fackel. Warum sollte davon kein Hoffnungsschimmer ausgehen? Die UN schicken eine kleine Eskorte von Segelschiffen hinaus.

Zur Startseite