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Sonntags sind die Autobahnen in Bogota von 7 Uhr morgens bis 14 Uhr für Autos gesperrt.

© picture alliance/dpa/ADFC

Autofrei in Bogota: Jeden Sonntag ein gigantisches Sportfest

Immer wieder sonntags verwandeln sich Bogotas Autobahnen von Bogota in einen großen Freizeitraum für Radfahrer, Inlineskater und Spaziergänger.

Der hohe Spritpreis und die Debatte über ein Importstopp von Erdgas und Erdöl aus Russland sowie die weltweite Rohstoffknappheit haben nicht nur in Europa eine Diskussion über autofreie Sonntage ausgelöst. Während jedoch im Autoland Deutschland ein solcher Vorstoß erst einmal einen Abwehrreflex auslöst, sind südamerikanische Millionenstädte da schon weiter. Sie verwandeln ihre Innenstädte bereits seit Jahren immer wieder sonntags in autofreie Räume und schaffen so einzigartige Freizeiterlebnisse. Ein Beispiel ist Kolumbiens Hauptstadt Bogota.

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Täglich quält sich dort die Blechlawine über die Carrera 7, die vielleicht wichtigste Verkehrsachse der Neun-Millionen-Einwohner-Metropole auf 2600 Meter Höhe in den Anden. Die Menschen kämpfen jeden Tag aufs Neue mit Staus und Verkehrsproblemen – Bogota hat immer noch keine U-Bahn. Seit einigen Jahrzehnten aber gibt es eine Besonderheit in der Andenmetropole auf 2600 Meter Höhe: „Ciclovia“ nennen die Kolumbianer ihr wöchentlich wiederkehrendes gigantisches Sportfest – auch auf der ansonsten chronisch überlasteten Carrera 7. An Sonn- und Feiertagen haben Radfahrer, Fußgänger und Inline-Skater allein die Macht über die Stadt-Autobahnen. Viele Helfer und Helferinnen der Stadtverwaltung sorgen dafür, dass sich Fußgänger und Autofahrer dann nicht mehr in die Quere kommen.

Allein in Bogota sind 120 Kilometer Straßennetz für Autofahrer gesperrt

Wörtlich übersetzt heißt „Ciclovia“ eigentlich „Fahrradweg“, doch dahinter steckt weit mehr. „Ich genieße diese Freiheit mitten in der Stadt Sport treiben zu können“, sagt Angela Giraldo, eine junge Mutter, die mit ihrer kleinen Tochter über den Asphalt läuft. Ohne Angst, dass ein Auto ihr zu nahe kommen könnte. Allein in Bogota sind es dann insgesamt rund 120 Kilometer Straßennetz, das für Autofahrer gesperrt bleibt und für sieben Stunden allein den Freizeitsportlern gehören. Ganz früh um kurz nach sieben Uhr ist die Menge der Frühaufsteher noch überschaubar, ab 10 Uhr aber schwillt der Strom der Jogger und Radfahrer an. Dahinter steckt eine logistische Meisterleistung, denn die Verkehrsachsen einer Millionen-Metropole wie Bogota zu sperren, ist so aufwendig wie einen Stadt-Marathon zu organisieren. Das aber passiert in Bogota, Medellin oder Cali mehr als fünfzig Mal im Jahr und ist längst eingespielte Routine. Ebenso schnell wie die Straßen um 7 Uhr morgens gesperrt sind, so sind sie ab 14 Uhr auch wieder für die Autos freigegeben. Ähnliche Konzepte gibt es auch in anderen lateinamerikanischen Metropolen wie zum Beispiel in Rio de Janeiro.

Nicht nur aufgrund der hohen Spritpreise wird auch in Deutschland über einen autofreien Sonntag nachgedacht.
Nicht nur aufgrund der hohen Spritpreise wird auch in Deutschland über einen autofreien Sonntag nachgedacht.

© Nicolas Armer/dpa

„Wir wollen die Welthauptstadt des Fahrrads werden“, sagte Bogotas grüne Bürgermeisterin Claudia Lopez selbstbewusst. Tatsächlich ist das Radwegenetz deutlich ausgebaut worden, es gibt in der ganzen Stadt inzwischen eine baulich abgetrennte fahrradfreundliche Infrastruktur. Bogotas fahrradfreundliches Konzept hat auch volkswirtschaftliche Konsequenzen. Fahrradgeschäfte erleben einen regelrechten Boom. Es gibt inzwischen immer mehr Reparaturwerkstätten aber auch Verkaufsläden, sowohl für hochwertige neue Fahrräder, aber eben auch für gebrauchte. Wo Zehntausende Menschen Sport treiben, gibt es auch Nachfrage nach frischen Säften, Wasser oder handwerklicher Hilfe. Fliegenden Werkstätten, die helfen, platte Fahrradreifen wieder zu flicken, haben ebenso Hochbetrieb wie die Orangensaftpressen. Im Stadtzentrum nutzen Künstler und Musikgruppen das lockere Ambiente als Kulisse für ihre Auftritte. Ein klein wenig kommt an diesen autofreien Stunden das gute alte Marktleben zurück in die Innenstadt, denn Radfahrer haben gegenüber Autofahrern einen Vorteil: Sie können auch mal spontan stehen bleiben, wenn ihnen etwas gefällt.

Von den sechs Spuren der Carrera 7 sind drei für die Sportler reserviert

Autos fahren in Bogota trotz der „Ciclovia“, aber nur über die Nebenstraßen oder Ausgleichsrouten. Von den sechs Spuren der Carrera 7 sind drei für die Sportler reserviert, die anderen drei für die Autos. Allerdings nur in eine Richtung. Manchmal müssen die Fahrzeuge die „Jogger-Autobahnen“ überqueren. Dann halten die Helfer ein Stopp-Schild in die Luft, um die Sportler aufzuhalten. Für ein paar Sekunden nur haben dann die Autos doch noch einmal Vorfahrt, ehe die Straße dann wieder den Fitness-Begeisterten gehört.

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