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„Mehr Heimtücke geht nicht“: Solingen-Attentäter muss lebenslang in Haft und in Sicherungsverwahrung
Vor etwas mehr als einem Jahr hatte ein Syrer auf dem Solinger Stadtfest auf mehrere Personen eingestochen. Drei Menschen starben. Nun erhielt der 27-Jährige vor Gericht die Höchststrafe.
Stand:
Erleichterung über die Höchststrafe, aber Wut auf das Verhalten des Attentäters: Dass er während der Urteilsverkündung immer wieder gelächelt habe, mache sie wütend, sagt die Überlebende Lea Varoquier (26) aus Solingen. Tatsächlich hatte Issa al Hasan sogar mit nach oben gerecktem Daumen den Saal betreten.
Im Prozess um den Messeranschlag von Solingen hat das Oberlandesgericht Düsseldorf am Mittwoch den 27-jährigen Syrer schuldig gesprochen. Das Gericht verurteilte Issa Al H. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf stellte bei der Urteilsverkündung zudem die besondere Schwere der Schuld fest und verhängte eine Sicherungsverwahrung im Anschluss an die Haftstrafe (AZ: III-5 St 2/25).
Issa al H. hatte beim Solinger Stadtfest am 23. August vergangenen Jahres mit einem Messer auf Besucher eingestochen. Er tötete eine 56-jährige Frau und zwei Männer im Alter von 56 und 67 Jahren. Acht Personen wurden verletzt.
Damit entsprach das Gericht der Forderung der Bundesanwaltschaft und sämtlicher Nebenklägeranwälte. Sie hatte dem Mann unter anderem dreifachen Mord und Verbindungen zur islamistischen IS-Miliz vorgeworfen. Die Verteidiger hatten sich lediglich gegen die Sicherungsverwahrung ausgesprochen und behielten sich Rechtsmittel gegen das Urteil vor.
Zudem sprach das Gericht den Opfern Schmerzensgeldsummen zwischen 30.000 und 120.000 Euro zu, räumte aber ein, dass die Summen wohl nicht realisiert werden könnten.
Issa al H. habe aus niedrigen Beweggründen und in Heimtücke auf die feiernden Menschen in Solingen eingestochen, weil er als Anhänger des IS in ihnen „Repräsentanten der westlichen Gesellschaft“ gesehen habe, erklärte die Bundesanwaltschaft.
Richter: Angeklagter hat sich seit 2019 radikalisiert
„Der Angeklagte hat sich seit 2019 massiv islamistisch radikalisiert“, sagte Richter Winfried van der Grinten. Auf seinem Tiktok-Profil habe er selbst IS-Propaganda verbreitet. An seinen Internet-Aktivitäten könne man ablesen, wie er sich immer weiter in der islamistischen Ideologie verfing.

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Der 27-Jährige habe mehrmals gelogen, attestierte ihm der Richter. Seine Aussage, wonach er das Leid der Menschen in Gaza nicht mehr ertragen habe, sei allenfalls ein Begleitmotiv. Er habe sich mit den Zielen des IS identifiziert.
So habe er den Anschlag auch als Rache für IS-Kämpfer bezeichnet, die bei einem Rückzugsgefecht getötet wurden. „Ich schwöre, ich werde euch zerstückeln. Ich werde euch in Stücke reißen“, habe er in seinen Videos angekündigt. Das Anschlagsziel habe er selbst ausgewählt. Mit dem Anschlag habe der IS erneut sein menschenverachtendes Gesicht gezeigt.
„Massiv belastendes Ereignis“ für die ganze Stadt Solingen
Mit einem Tranchiermesser mit 19 Zentimeter Klingenlänge habe er auf seine Opfer eingestochen, bis sich ihm Robert K. In den Weg gestellt und trotz mehrerer Verletzungen Widerstand geleistet habe. Erst da habe der Syrer seine Angriffe gestoppt und sei geflüchtet.
Die Tat sei nicht nur für die unmittelbaren Opfer, sondern für alle Konzertbesucher und die ganze Stadt Solingen ein massiv belastendes Ereignis gewesen, sagte der Richter. So sei ein erfahrener Rettungssanitäter in der Folge ein Jahr arbeitsunfähig gewesen.
Issa al Hasan habe einen Hang zu schwersten Straftaten. Anzeichen für eine innere Abkehr seien nicht zu erkennen. „Es ist ihm aber nicht gelungen, die Menschen in Solingen zu radikalisieren“, sagte der Richter. Ein Jahr später hätten sie wieder ein Stadtfest feiert.
Drei Tote, acht Verletzte
Bei der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest waren am 23. August 2024 drei Menschen getötet und acht teilweise lebensgefährlich verletzt worden. Der Syrer hatte von hinten gezielt jeweils auf den Hals von Besuchern des Festes eingestochen. Zwei Menschen hatte er knapp verfehlt. Er wurde einen Tag später gefasst.

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Der Anschlag hatte bundesweit eine Debatte über die Flüchtlings- und Asylpolitik ausgelöst. In Nordrhein-Westfalen wurde in der Folge ein Sicherheitspaket mit Dutzenden Maßnahmen beschlossen.
Das Gericht kam nach nur 18 statt der ursprünglich veranschlagten 24 Prozesstage zu seinem Urteil. Ein Psychiater hatte dem Angeklagten einen Intelligenzquotienten von 71 attestiert, aber keinen Grund für eine verminderte Schuldfähigkeit gesehen. Ein IQ von 69 oder niedriger gilt als geistige Behinderung.
Issa al Hasan hatte bereits zu Prozessbeginn gestanden, den Messerangriff begangen zu haben. Der Anschlag von Solingen war der erste in Deutschland seit der Attacke auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016, zu dem sich der IS bekannt hatte.
Beweislage eindeutig
Vor dem Anschlag hatte der abgelehnte Asylbewerber ein Bekennervideo aufgenommen und den Treueschwur auf den IS-Kalifen abgelegt. Dem psychiatrischen Gutachter hatte er sich mit den Worten vorgestellt: „Ich bin Issa, ich habe drei Leute umgebracht. Da bekommt man 80 Jahre. Ich warte auf den Tod.“
Seine Tat hatte er zunächst als Rache für die Massaker „der Kreuzzügler“ an Muslimen in Bosnien, dem Irak und weiteren Ländern bezeichnet, ein anderes Mal waren es die toten Kinder im Gazastreifen und die Waffenlieferungen Deutschlands an Israel, die ihn zu der Tat getrieben hätten.
Eigentlich habe er ja einen Brandsatz auf die israelische Botschaft in Berlin werfen wollen, aber dann habe er in Solingen die Vorbereitungen zum Stadtfest wahrgenommen.
Hohes Rückfallrisiko
Der Psychiater attestierte dem Angeklagten ein hohes Rückfallrisiko. Zur islamistischen Ideologie komme bei ihm ein Mangel an Empathie und eine Faszination für Gewalt.
Nebenklage-Vertreter Simon Rampp hatte gesagt, der Angeklagte habe friedlich feiernde Besucher des „Festivals der Vielfalt“ im Dunkeln und von hinten mit einem Messer angegriffen. „Mehr Heimtücke geht nicht.“
„Solche Leute haben auf der Straße nichts zu suchen“, sagte ein Nebenklage-Vertreter. Die Höchststrafe sei in diesem Fall „das Mindeste“.
Der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) hat das Urteil begrüßt. Es sei gut, „dass unser Rechtsstaat schnell gehandelt hat und es heute zu einem Urteil gekommen ist“, erklärte Kurzbach. Der Täter bekomme seine Strafe.
„Wir in Solingen denken aber heute nicht zuerst an den Täter, sondern sind in Gedanken bei den Opfern und ihren Familien“, betonte das Stadtoberhaupt. „Wir werden sie nie vergessen.“ Keine Strafe könne den Schmerz der Angehörigen heilen. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Jochen Ott, erklärte in Düsseldorf, das Urteil sei „ein wichtiges Zeichen für die Hinterbliebenen, Überlebenden und Angehörigen der Opfer“.
Ein Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags prüft derzeit, wieso die Abschiebung von Issa al Hasan ins Erstaufnahmeland Bulgarien scheiterte. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wird weiter versucht, die Hintermänner des Anschlags zu ermitteln. (Reuters, epd, dpa)
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