
© dpa/Federico Gambarini
Die Lage ein Jahr nach dem Anschlag von Solingen: „Es könnte jederzeit etwas passieren“
Wären die Fälle nicht so unterschiedlich, man hätte in den Monaten vor der Bundestagswahl von einer Serie an Anschlägen sprechen können. Wie sicher ist Deutschland aktuell?
Stand:
In Solingen tötet ein Mann im August 2024 drei Menschen mit einem Messer und verletzt acht weitere. Vor Gericht gesteht im Mai dieses Jahres ein 27-jähriger Syrer die Tat. In Magdeburg rast kurz vor Weihnachten ein saudischer Psychiater in einen Weihnachtsmarkt. In München steuert ein afghanischer Asylbewerber im vergangenen Februar ein Auto in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi. Es gibt weitere Anschläge und Übergriffe, vor allem kurz vor der Bundestagswahl in diesem Jahr. Klingenlängen, die Sicherung von Stadtfesten und allem voran Migration bestimmen die politische Debatte in diesen Monaten.
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Am Samstag jährt sich die Tat von Solingen und ein Jahr danach stellt sich die Frage: Ist es wirklich sicherer geworden in Deutschland? Und gab es gar, wie manche vermuten, einen Grund für die Häufung der Übergriffe?
Gefahr durch islamistischen Terrorismus sehr groß
Sicherheitsexperte Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College in London, verneint beides im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“ und betont: „Bei den Anschlägen im Vorfeld der Bundestagswahl muss man differenzieren: Bei Solingen etwa handelte es sich um einen islamistischen Terroranschlag. In Magdeburg spielten psychische Probleme eine Rolle. Der Täter hatte sich sogar vom Islam losgesagt und als AfD-Anhänger bezeichnet. Und in Aschaffenburg lag überhaupt keine politische Motivation vor.“
Bei dem Messerangriff in Unterfranken hatte mutmaßlich ein Afghane ein marokkanisches Kleinkind und einen Deutschen getötet und drei weitere Menschen schwer verletzt.
Grundsätzlich sei die Gefahr durch islamistischen Terrorismus nach wie vor sehr groß, sagte Neumann. „Seit dem Überfall der Hamas auf Israel 2023 wird massiv im Internet mobilisiert. Der Druck im Kessel ist riesengroß. Es könnte jederzeit etwas passieren.“
Die Zahl der versuchten Anschläge sei gewachsen, so Neumann. „Viele gelingen allerdings nicht. Das hat zum einen mit dem Alter der Attentäter zu tun. Viele sind sehr jung, erst Teenager. Andere werden durch die Sicherheitsbehörden verhindert.“
Noch Mitte August hatte eine 13-Jährige eine Psychiatrie-Angestellte mit einem Messer schwer verletzt. Die Angreiferin war wegen islamistischer Gewaltfantasien eingewiesen worden.
Ohne die Informationen aus den USA stünde Deutschland „ziemlich blank“ da
Hinweise auf bevorstehende Angriffe kommen häufig aus den USA. „In Deutschland werden rund achtzig Prozent der verhinderten Anschläge dadurch entdeckt, dass die USA einen Hinweis geben“, sagte Neumann. In Sicherheitskreisen sieht man daher das Agieren des amtierenden US-Präsidenten teils mit Sorge, teils mit Gelassenheit. Bisher hat sich demnach in der täglichen Zusammenarbeit nichts geändert. Hinweise würden weiterhin ausgetauscht – übrigens in beide Richtungen.
Neumann warnt jedoch: „Mit Trump steht das latent auf dem Spiel. Könnten wir mit den amerikanischen Informationen nicht mehr arbeiten, wären unsere Nachrichtendienste ziemlich blank, denn sie hören nicht ab, sind extrem bürgerrechtskonform und verlassen sich auf ebendiese Informationen.“
Der Sicherheitsexperte kritisiert: „Ich finde das heuchlerisch, denn die amerikanischen Erkenntnisse sind ja nicht besser zustande gekommen. Ich glaube auch nicht, dass Trump den Informationsfluss komplett unterbinden würde – er würde ihn sich bezahlen lassen.“ Deutschland solle daher selbst entsprechende Fähigkeiten aufbauen. „Dazu braucht es Experten, die technologieaffin sind, bessere technische Ausstattung und mehr Befugnisse analog zu Frankreich oder den Niederlanden, damit wir auf europäischer Ebene wieder ernst genommen werden“, so Neumann.
Issa al H., der derzeit für die Tat in Solingen vor Gericht steht, lies laut dpa Ende Mai eine Erklärung verlesen und erklärte, er habe schwere Schuld auf sich geladen. Ein psychiatrischer Gutachter berichtete demnach, ihm habe der Syrer erzählt, dass ihn Bilder aus Gaza bewegt hätten. Ein Unbekannter habe ihn online kontaktiert und zu einem Anschlag aufgefordert. Der Angeklagte, so der Gutachter, habe sich selbst als Opfer bezeichnet.
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