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Russischer Kapitän rammte US-Tanker: Festnahme nach Verdacht auf fahrlässige Tötung bei Nordsee-Crash
Vor der Küste Englands sind zwei große Schiffe kollidiert. Die britische Küstenwache ist im Großeinsatz. Ein 59-jähriger Russe ist festgenommen worden. Laut Greenpeace wurde eine Umweltkatastrophe wohl „knapp vermieden“.
Stand:
Zwei riesige, teils ausgebrannte Schiffswracks liegen nach ihrer folgenschweren Kollision vor der englischen Nordseeküste – die Behörden ermitteln die Unglücksursache. Die Polizei nahm am Dienstagabend einen 59-Jährigen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung fest. Die deutsche Reederei Ernst Russ bestätigte Reuters, dass es sich um den russischen Kapitän des Containerschiffs „Solong“ handele. Der Mann sei weiterhin in Gewahrsam, erklärte die Polizei im britischen Humberside am Mittwoch.
Der Frachter könne demnächst vertäut und von der Küste weggeschleppt werden, teilte die britische Verkehrsministerin Heidi Alexander laut einer Mitteilung ihrer Behörde am Dienstag mit. Dann könne mit den Bergungsarbeiten begonnen werden. Eine Gefahr, dass die verunfallten Schiffe noch sinken, gibt es nach vorläufigen Einschätzungen nicht.
Die „Solong“ war führerlos nach Süden abgedriftet, nachdem es am Montagfrüh nahe der Mündung des Flusses Humber mit dem Tanker „Stena Immaculate“ kollidiert und in Brand geraten war. Zeitweise wurde befürchtet, es könne sinken oder auf Grund laufen.
Am Mittwochmorgen wurden „keine sichtbaren Flammen an Bord“ des Tankschiffs mehr gesichtet, wie die Küstenwache erklärte. Auch auf dem Frachter sei der Brand „weitgehend zurückgedrängt“ worden.
Insgesamt 36 Besatzungsmitglieder des Öltankers und des Containerschiffs wurden nach dem Unglück sicher an Land gebracht, ein Mensch kam ins Krankenhaus. Zunächst hatte der örtliche Hafenmeister gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von mehr als 30 Verletzten gesprochen.
Eine derartige Kollision zwischen einem ankernden und einem fahrenden Schiff sei „sehr selten“, sagte der Schifffahrtsexperte Abdul Khalique von der Liverpooler John Moores University. Noch sei vollkommen unklar, warum die Besatzung der „Solong“ „nicht in der Lage war, aktiv zu werden, um die Kollision zu vermeiden“. Der Frachter habe „zahlreiche Gelegenheiten“ verpasst, seinen Kurs vor dem Zusammenprall noch zu ändern.
Britischen Medienberichten zufolge waren bei einer Routinekontrolle des Frachters im vergangenen Jahr aber Mängel am Notfall-Steuerkompass sowie darüber hinaus zehn weitere Fehler festgestellt worden.
Frachtschiff rammte Öltanker
Der Öltanker war am Montagvormittag in dem stark befahrenen Seegebiet von der „Solong“ gerammt worden und anschließend in Brand geraten. Das vermisste Besatzungsmitglied stammt von der „Solong“.
Bei dem Unglück trat dem Schifffahrtsunternehmen Crowley zufolge Flugzeugtreibstoff aus. Insgesamt hatte der Tanker 220.000 Barrel (knapp 35 Millionen Liter) Kerosin geladen, heißt es. Die Küstenwache teilte mit, derzeit würden notwendige Maßnahmen gegen Umweltverschmutzung geprüft. Der BBC zufolge hatte der vor Anker liegende Tanker Treibstoff für das US-Militär geladen.
Laut dem Betreiber der „Stena Immaculate“, der US-Reederei Crowley, wurde mindestens ein Abteil des Tankers bei der Kollision „aufgerissen“. Luftaufnahmen zeigten ein klaffendes Loch in der Mitte des 140 Meter langen Schiffes..
Der Tanker fährt unter US-Flagge, die „Solong“ unter portugiesischer. Nach Informationen der BBC war der Tanker eines von mehreren Schiffen, die im Rahmen eines sogenannten Tankersicherheits-Programms der US-Regierung sicherstellen sollen, dass das Militär Transporte durchführen kann.
Die Reederei des Containerschiffs dementierte unterdessen Berichte, wonach die „Solong“ mehrere Behälter mit Natriumcyanid geladen hatte. Natriumcyanid ist eine giftige Substanz, die das Ökosystem belasten kann. Die Container seien jedoch leer gewesen, hieß es in einer Mitteilung des in Hamburg ansässigen Unternehmens Ernst Russ. Sollte der Frachter nahe Land untergehen oder auf Grund laufen, wird aber befürchtet, dass Diesel im Tank des Schiffs die Küste verpesten könnte.
Greenpeace besorgt
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace in Großbritannien äußerte sich hinsichtlich möglicher Umweltschäden besorgt. „Sowohl die hohe Geschwindigkeit als auch die Videos von den Folgen geben Anlass zu großer Sorge“, sagte ein Sprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Es sei aber noch zu früh, das Ausmaß von Schäden für die Umwelt zu bestimmen, erklärte der Sprecher zunächst weiter.
Nach einer unmittelbaren Verschmutzung am Tag des Unglücks gebe es dem jetzigen Stand nach jedoch „keine weiteren Berichte über Verschmutzungen des Meeres“, sagte Virginia McVea von der britischen Küstenschutzbehörde am Mittwoch. Eine Umweltkatastrophe im Mündungsgebiet des Humber sei „möglicherweise knapp vermieden worden“, erklärte Greenpeace.
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„Eindeutig etwas schiefgelaufen“
Dem Experten David McFarlane von der Beratungsfirma Maritime Risk and Safety zufolge ist bei der Überwachung des Schiffsverkehrs durch beide Schiffe „eindeutig etwas schiefgelaufen“, sagte er der AFP. Wenn dies in angemessener Weise geschehen wäre, „hätte dieser Zusammenstoß vermieden werden können“.
Aufschluss über die mögliche Kollisionsursache könnten demnach der aufgezeichnete Funkverkehr sowie die Videodaten beider Schiffe geben. Die Suche nach den entsprechenden Geräten könnten die Ermittler allerdings erst nach Erlöschen des Brandes einleiten.
„Mehrere Explosionen an Bord“
Es sei zu früh, um über die genaue Unglücksursache zu spekulieren, sagte auch der Geschäftsführer der Reederei Stena Bulk, Erik Hanell. Das Unternehmen Crowley, das die Technik der „Stena Immaculate“ betreut, teilte bei X mit, der Tanker habe vor Anker gelegen, als er von dem Frachter gerammt worden sei. Dabei sei ein Tank mit dem Flugzeugtreibstoff beschädigt worden und ein Feuer ausgebrochen. Es habe „mehrere Explosionen an Bord“ gegeben.
Unterdessen hat das deutsche Havariekommando ein Mehrzweckschiff zur Unterstützung entsendet. Die „Mellum“ der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes soll heute Mittag eintreffen. Sie sei unter anderem mit Technik zur Brandbekämpfung sowie zur Aufnahme von Öl ausgerüstet. Rund 20 Menschen seien an Bord, hieß es vom Havariekommando.
Zudem stehe ein Flugzeug vom Typ DO 228 auf Abruf bereit. Die Bundeswehr bezeichnet es als „Öljäger“, weil es mit leistungsstarken Kameras und Sensoren dabei helfen könne, Schadstoffe im Wasser zu finden. Auch ein Bergungsschiff befinde sich bereits auf dem Weg zur Unglücksstelle.
„Wir müssen zunächst sehen, dass wir auch dicht an das Schiff herankommen“, sagte ein Sprecher des beauftragten Unternehmens. Das hänge von der Rauch- und Temperaturentwicklung ab. Die Umstände sind nach den Angaben des Sprechers günstig. „Das Feuer ist deutlich kleiner geworden als noch in der Nacht.“ Die Gefahr, dass der Tanker auseinanderbreche, sei klein. Beide Schiffe seien nicht länger ineinander verkeilt. (Tsp/dpa/AFP/Reuters)
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